# taz.de -- Ende des Musiksenders „Viva“: Das Pech der späten Geburt | |
> Der Musiksender Viva stellt zum Endes des Jahres sein Programm ein. Nach | |
> 25 Jahren. Ein persönlicher Nachruf – mit Trost. | |
Bild: Eines der ersten Viva-Gesichter: Mola Adebisi | |
Einen persönlichen Nachruf auf Viva zu schreiben, kann eigentlich nur | |
peinlich werden. Wo soll ich da anfangen? Beim Nachhauserennen nach der | |
Schule, damit ich, damals 12 Jahre alt, rechtzeitig zum Start von | |
„Interaktiv“, der Nachmittagssendung, vorm Fernseher saß? | |
Bei den hohen Telefonrechnungen, die mir Ärger mit meinen Eltern | |
einbrachten, weil ich, als Teenie, verliebt in irgendeinen dieser Sashas, | |
oder Christian Wunderlichs, oder DJ Bobos, oder HP Baxxters, bei Viva | |
anrief um live im Studio mit ihnen zu telefonieren? Oder bei den | |
aufgeregten Gesprächen mit Freundinnen am nächsten Morgen, bei denen wir | |
jedes Detail dieser Sendung ausgewertet haben? | |
Viva war meine Jugend. Und nicht nur meine, sondern die vieler, die zu jung | |
waren für MTV. Zu jung, um Kurt Cobain zu Lebzeiten mitbekommen zu haben. | |
Zu jung für die Popintellektuellen der Hamburger Schule. Zu jung für die | |
ersten Loveparades. Zu jung für die erste Britpopwelle. Wir hatten, | |
zumindest popkulturell, das Pech der späten Geburt. | |
Wir hatten Viva. Und Mola Adebisi. Und, weil Viva sich als Gegenpol zum | |
US-amerikanisch fixierten MTV verstand, die ganze Welle der deutschen Stars | |
und Sternchen: Tic Tac Toe, Blümchen, Echt, Sabrina Setlur. Viva hat | |
Karrieren gemacht – vor allem die von ModeratorInnen. Stefan Raab, Heike | |
Makatsch, Markus Kavka, Enie van de Meiklokjes, Oliver Pocher, Matthias | |
Opdenhövel, Klaas Heufer-Umlauf, Charlotte Roche. Alles Viva-Gesichter. | |
## Viva gab's noch? | |
Dabei ist die eigentliche Nachricht vom Viva-Ende gar nicht das Ende, | |
sondern, dass es Viva überhaupt noch gibt. Die Quoten waren schon lange | |
mies, den Sendeplatz teilte sich Viva seit Jahren mit Comedy Central. „Wir | |
sind euer Sprachrohr und euer Freund“, versprach Heike Makatsch 1993 zum | |
Sendestart, „und ab heute bleiben wir für immer zusammen, okay?!“. Das war | |
natürlich maßlos übertrieben. Viva war Jugendkultur. Und wie jede | |
Jugendkultur war auch Viva von Anfang an nur eine begrenzte Lebzeit sicher. | |
An das Internet und Youtube hatte damals zwar noch niemand gedacht, aber | |
das war ja auch das Schöne an Viva: Ob man, wenn man vorm Fernseher saß, | |
das neue Video der Backstreet Boys zu sehen bekam oder nicht, war | |
Glückssache. Heute kann man sogut wie jedes Video und jeden Song dank | |
Spotify und Youtube zu jeder Zeit und in Dauerschleife sehen und hören. | |
Das ist schön für die spontane Gier nach Hits, Hits, Hits, lässt aber auch | |
das Fantum schneller verfliegen. Wer heute als Star im Gespräch bleiben | |
will, braucht mehr als gute Musik: Inszenierte Nähe. Was heute die | |
Instastory ist, war zu Viva-Zeiten ein Auftritt bei „Interakiv“: 20 Minuten | |
Plausch auf der Viva-Couch, eine Playbackperformance – und das im | |
drei-Monats-Rhythmus. Näher kam man seinen Stars nicht. | |
Deswegen hat das Ende von Viva auch etwas Gutes: Heute muss kein Teenie | |
mehr nachhause rennen, um die Lieblingssendung zu sehen – Instagram und | |
Youtube sind immer da. Horrende Telefonrechnungen sind von Flat-Rates | |
abgelöst. Und die Sendungsauswertung mit den Freundinnen muss nicht bis zum | |
nächsten Morgen warten, sondern geht live per whatsapp. | |
Es ist also kein Zufall, dass Instagram fast zeitgleich zum Viva-Aus eine | |
Milliarde Nutzer vermeldet und eine neue Video-App ankündigt. Dass, | |
ebenfalls in dieser Woche, [1][die letzte gedruckte Neon erschienen ist], | |
sicher auch nicht. | |
21 Jun 2018 | |
## LINKS | |
[1] /!5511377/ | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
## TAGS | |
Youtube | |
Musikvideo | |
MTV | |
90er Jahre | |
Popmusik | |
Jugendkultur | |
Reality-Show | |
Podcast „Couchreport“ | |
90er Jahre | |
Musikvideo | |
Liebeserklärung | |
Tim Renner | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
40 Jahre MTV: Pop und Trash für die Jugend | |
Erst war MTV Plattform der Musikindustrie, später Sender kreativer | |
Realityshows. Dann kam das Internet. Erinnerungen an die globale | |
Popkulturmaschine. | |
Podcast „Couchreport“: Musikvideos sind Kunst | |
Ebow rappt nicht nur über Rassismus und Sexismus, sie dreht auch die | |
aufregendsten Musikvideos im Deutsch-Rap. Ein Gespräch über gutes | |
Musikfernsehen. | |
Band Tic Tac Toe plant Tour für 2020: Hallo zurück, liebe 90er | |
Tic Tac Toe haben Musikgeschichte geschrieben und die wohl unterhaltsamste | |
Pressekonferenz Deutschlands abgehalten. Jetzt kommen sie zurück. | |
Comeback der Musikclips: Video killed the TV-Star | |
Musikvideos sind eine Sache der 80er und 90er? Im Gegenteil: Sie haben sich | |
im Netz neu angesiedelt – mit ganz neuen Möglichkeiten. | |
Kolumne Liebeserklärung: Bei MTV sagten alle „fuck“ | |
Der Musiksender vernetzte uns mit der Popwelt, war unser Internet ohne | |
Kommentarfunktion. 2018 kommt er zurück ins Free-TV. | |
Tim Renner über Musikfernsehen: „Es gibt zu wenig Wahnsinnige“ | |
Am Samstag erraten Musikexperten in „Playlist“ auf Tele5 die Lieblingsmusik | |
von Promis. Einer von ihnen ist der Ex-Universalchef Tim Renner. | |
Musikfernsehen: In memoriam MTV | |
Heute vor 20 Jahren kam der Musiksender nach Deutschland - und prägte auch | |
hier die Jugendkultur. Sechs Autoren erinnern sich an ihr MTV, von dem nur | |
der Name geblieben ist. |