| # taz.de -- Tim Renner über Musikfernsehen: „Es gibt zu wenig Wahnsinnige“ | |
| > Am Samstag erraten Musikexperten in „Playlist“ auf Tele5 die | |
| > Lieblingsmusik von Promis. Einer von ihnen ist der Ex-Universalchef Tim | |
| > Renner. | |
| Bild: Die „Playlist“ kommt: Smudo, Loretta Stern und Tim Renner. | |
| taz: Herr Renner, MTV startete sein Programm Anfang der 80er Jahre mit dem | |
| Buggles-Song „Video killed the Radio Star“. Hat das Internet mittlerweile | |
| den TV-Musikvideo-Star gekillt? | |
| Tim Renner: Das Musikfernsehen hat sich erst mal selbst gemeuchelt, als MTV | |
| und Viva unter den großen Ergebnisdruck gerieten und zu | |
| Klingeltonwerbungssendern wurden. Außerdem wurden die ganzen Realityformate | |
| aus den USA übernommen. Damit hat sich das Musikfernsehen selbst an den | |
| Rand manövriert. Das Internet hat ihm dann nur den letzten Schubs gegeben. | |
| Und was bedeutet das für die Musikbranche? | |
| Es ist mittlerweile völlig irrelevant, ob irgendwas bei Viva oder MTV auf | |
| Rotation läuft. Heute ist viel wichtiger, wie die Abrufzahlen eines Clips | |
| bei Youtube und Co. sind. Aber am ärgerlichsten ist, dass sich die | |
| Öffentlich-Rechtlichen zu größten Teilen aus dem Musikfernsehen | |
| zurückgezogen haben. Ich halte das für unklug und töricht. | |
| Warum? | |
| ARD und ZDF haben Menschen wie mich einst mit Sendungen wie „Disco“, | |
| „Musikladen“ und „Formel eins“ gefangen. Um Sendungen wie „Rockpalast… | |
| gucken, hat man sich sogar mit seinen Freunden getroffen. | |
| Und jetzt wird auch noch ZDFkultur eingestellt, wo Sie ja die Musiksendung | |
| „Berlin live“ produziert haben. | |
| Es war schon keine gute Idee, die Hauptkanäle von ARD und ZDF von Popkultur | |
| freizuräumen und die auf die Nebenkanäle zu schieben. Aber besser auf einem | |
| Nebenkanal als auf gar keinem Kanal. Schade, dass es jetzt mit ZDFkultur | |
| nicht weitergeht. | |
| Bei diesen Voraussetzungen jetzt bei Tele5 mit einer Musiksendung an den | |
| Start zu gehen, wirkt arg antizyklisch. | |
| Ja, und? Die Musikverbreitungsform, die prozentual am stärksten wächst, ist | |
| nicht – wie zumeist angenommen – das Streaming, sondern das Vinyl. Auf der | |
| einen Seite hast du halt die digitale Bewegung und auf der anderen die | |
| Gegenbewegung, die ein umso haptischeres Produkt will. Ähnliches sehe ich | |
| beim Fernsehen: Klar nimmt die Verbreitung von Videoclips über Videoseiten | |
| und Social Media wahnsinnig zu. Aber es gibt für klassisches Musik-TV immer | |
| noch einen Markt. | |
| Auch bei Tele5? | |
| Gerade da. Wenn man sich anschaut, was dort mit Benjamin von Stuckrad-Barre | |
| und Oliver Kalkofe stattfindet, ist das doch ZDFkultur mit privaten | |
| Mitteln. Aber bei Ihren Fragen schwingt ja mit, ob dieses Antizyklische | |
| nicht ein bisschen wahnsinnig ist? Ja, Tele5-Geschäftsführer Kai Blasberg | |
| ist bis zu einem gewissen Grad wahnsinnig. Aber davon gibt es im | |
| Entertainmentgeschäft eh viel zu wenige. | |
| Stefan Raab predigt ja das Credo, dass wenn ihm jemand sage, dass der Markt | |
| zu sei, dann mache er es erst recht. Treibt das auch Sie an, es noch mal | |
| mit Musikfernsehen zu versuchen? | |
| Alles geht, wenn man es lange genug versucht. Außerdem sind die | |
| Voraussetzungen für eine Show wie „Playlist“ heute viel besser als früher, | |
| weil meine Generation von Kindesbeinen an popkulturell sozialisiert wurde, | |
| sehr interessiert ist und anders als unsere Elterngeneration nicht damit | |
| angefangen hat, ihre Rock-’n’-Roll-Sozialisation bei höherem Bildungsstand | |
| gegen Jazz und Klassik zu tauschen oder bei niedrigerem Bildungsstand gegen | |
| Volksmusik und Schlager. | |
| Wenn jemand Ihnen eine Playlist vorgelegt hat, auf der Volksmusik und | |
| Schlager standen, haben Sie dem dann auch gesagt, dass das von einem | |
| geringen Bildungsgrad zeugt? | |
| Vielleicht nicht in der Deutlichkeit, aber wir drei, die das analysieren, | |
| versuchen schon immer deutlich zu machen, was wir von der Auswahl halten. | |
| Sie sollen anhand der Playlist die Person erraten, die dahinter steckt. | |
| Gibt es einen Hinweis, wie Geschlecht oder das Alter? | |
| Das verrät sich von selbst. 90 Prozent der Leute beginnen solch eine Liste | |
| mit Liedern aus ihrer Kindheit. So hat man ziemlich schnell das Alter raus. | |
| Auch ob Mann oder Frau, errät man meist schnell. Nur bei Sportlern ist das | |
| schwierig, die achten fast nur auf Rhythmik. Bei der Playlist von Thomas | |
| Helmer hab ich darauf getippt, dass das ein homosexueller Mann sein müsste | |
| – oder einer, den irgendwas daran hindert, sich zu outen. Beides hat er | |
| verneint. | |
| „Playlist“, Samstag, 19.45 Uhr, Tele5 | |
| 29 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jürn Kruse | |
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