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# taz.de -- Musikfernsehen: In memoriam MTV
> Heute vor 20 Jahren kam der Musiksender nach Deutschland - und prägte
> auch hier die Jugendkultur. Sechs Autoren erinnern sich an ihr MTV, von
> dem nur der Name geblieben ist.
Bild: Happy Birthday MTV Deutschland!
Kristiane Backer war mal unsere Frau in London. Damals, als es MTV
Deutschland noch nicht gab, war sie der Andockpunkt für den damals gerade
noch größer werdenden deutschen Markt: Man schrieb das Jahr 1989, als die
modernere Version von Désiree Nosbusch in akzentfreiem Englisch erstmals
die Pausen zwischen den Clips füllte. Stets perfekt, stets clean und mit
jener Aura gepflegter Leere, die im Fernsehen einfach unerlässlich ist.
1995 ging unsere Kristiane vom Sender und konvertierte zum Islam, heute
praktiziert sie als Homöopathin. Es ist, als ob eine promovierte Physikerin
sich entschieden hätte, lieber Hebamme zu werden, weil sie die Kälte und
die Einsamkeit des Weltalls dann doch nicht aushält. MRE
Ein Mann geht die Straße entlang, bleibt stehen - und legt sich hin.
Passanten stolpern über ihn, sind besorgt, und alle Dialoge hören wir
nicht, wir lesen sie in den Untertiteln, während die eigentliche Tonspur
der Gruppe Radiohead und ihrer Single "Just" vorbehalten ist: "What
happened? Did you fall?" - "No, Im fine. Please leave me alone." Aber das
geht nicht. Immer mehr Menschen versammeln sich um unseren Helden, wollen
wissen, was er da tut und warum: "Tell us! For Christs sake!" Und wir lesen
gespannt: "Ill tell why Im lying here, but God forgive me. And God help us
all " Und alle hängen dem Liegenden an den Lippen, die er jetzt endlich
bewegt - nur dass wir es, weil jetzt plötzlich die Untertitel fehlen, nicht
verstehen. Was wir sehen, ist die Wirkung seiner Worte: Nun liegen alle so
reglos auf der Straße wie er. Man nannte es Musikvideo. Es war eine
Kunstform. FRA
Steve Blame war mein erster Schwuler. Bis er sich mit den Worten "Hi, Steve
Blame here with MTV News" in mein Leben näselte, hatte ich keine Ahnung
davon, dass Männer sich auch in Männer verlieben können. Also so
grundsätzlich. Steve Blame bewunderte ich für seinen Bart (den ich erst
viel später als "Goatie" identifizierte) und für seine unendlich lässige
Art. Er war der Gegenentwurf zu Ray Cokes, der immer wirkte wie auf - Koks:
Blame dagegen war nüchtern, leise ironisch und absolut unaufgeregt - selbst
wenn er Madonna interviewte. Was er wohl heute macht? "Eine Reihe von
Workshops zur Perfektionierung Ihrer Selbstdarstellung in allen Situationen
der Medienwelt", lese ich im Internet. So werden wie Steve Blame - wo kann
ich mich anmelden? DENK
Mit The Real World: London kam 1995 die erste Reality-Show in Europa an.
Dumpfbacken und Exhibitionisten gab es hier nicht zu sehen, dafür den
britischen Punkrocker Neil, dem ein Fan bei einem Konzert ein Stück Zunge
abbiss. Das australische Model Jacinda begleitete man zum Vogue-Shooting,
und den Amerikaner Mike feuerte man beim Autorennen an. Wie "real" die
geballte Hipness war, wen hat das interessiert? Sieben junge Menschen in
einem Loft, angesagte Musik und eine Schnittgeschwindigkeit, die keine Zeit
für Gelaber ließ - ich war jede Woche dabei. CKÄ
Als Videos bei MTV den Radiostar killten, war die Welt noch in Ordnung.
Meine Musikfernsehenwelt jedenfalls. Denn damals liefen bei MTV vor allem
so genannte Videoclips. Von richtigen Bands mit richtigen Instrumenten und
richtigen Ideen und so. Unterbrochen allenfalls durch aufwändige Trailer,
Mini-Features und geschickt lancierte Werbekampagnen, die den Sender derart
genial vermarkteten, dass ich es nicht einmal richtig bemerkte. Heute ist
es andersherum: MTV ist mittlerweile der Sender, auf dem sich der Crazy
Frog, ein grenzdebil grinsender Esel und kotzgelbe Aliens tummeln, die dem
dümmlichen Zuschauer noch dümmlichere Klingeltöne unterjubeln wollen. Und
den Sender dadurch vermarkten. Klingeltöne killen den Videostar - und meine
Musikfernsehenwelt. DAM
Der Medientheoretiker John Fiske schrieb einmal über MTV: "Es ist, es tut,
aber es bedeutet nicht." Beavis und Butt-Head verkörperten dieses Credo als
Helden und Anti-Helden zugleich - zwei Figuren mit Metalband-T-Shirts, die
laute Musik hören und sich über Toilettenpapier unterhalten. Beavis und
Butt-Head waren Protagonisten des Senders - und seine Parodie. Sie waren
Kinder einer Zeit, die von MTV ästhetisch mitgeprägt wurde. Sie waren
wunderbar. So wie MTV. Was bleibt, ist Nostalgie. RAA
31 Jul 2007
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