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# taz.de -- Psychotherapeutin über Traumata: „Auf die Familien zugehen, Gesp…
> Die Therapeutin Danja Schönhöfer leitet ein Behandlungszentrum für
> Geflüchtete in Bremen. Sie rechnet mit traumatisierten Menschen aus der
> Ukraine.
Bild: Außenministerin Baerbock schaut sich ein Aufnahmelager für Geflüchtete…
taz: Frau Schönhöfer, hatten Sie schon Kontakt zu ukrainischen
Geflüchteten?
Danja Schönhöfer: Nein. Wir haben aber Anfragen von Helfenden. Diese
erleben hautnah Menschen, die gerade dabei sind, die Tragweite dessen zu
realisieren, was ihnen geschehen ist, was sie verloren haben. Auf [1][der
Flucht waren sie aufs Überleben], aufs Vorwärtskommen fixiert. Jetzt kommen
sie zur Ruhe, haben aber keine Alltagsstruktur, die sie ablenkt. Da können
Grenzsituationen entstehen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Helfenden oft
selbst Ängste haben und sich ohnmächtig fühlen, weil ihnen der Krieg so
nahekommt.
Haben Sie Kapazitäten, um weitere Klient:innen annehmen zu können?
Das ist ein Spagat. Die Nachfrage nach Therapie und Beratung übersteigt
seit Jahren das Angebot bei Weitem. Das geht allen 40 Zentren in
Deutschland so, die ähnlich arbeiten wie wir. Auch [2][niedergelassene
Therapeut:innen], die mit Sprachmittler:innen arbeiten oder selbst
weitere Sprachen sprechen, sind mehr als ausgelastet. Deshalb müssen wir
zusätzliche Angebote entwickeln, damit keine Konkurrenzsituation entsteht.
Was werden Sie anbieten?
Einzelgespräche, aber auch stabilisierende Gruppen, sowohl für Erwachsene
als auch für Kinder. Es handelt sich um Menschen, die sich in einer akuten
Situation befinden, noch nicht wissen, wie es weitergeht und um ihre
Angehörigen und Freunde Angst haben, die noch im Land sind. Da geht es erst
einmal um die Möglichkeit zu sprechen und verstanden zu werden. Daneben ist
es wichtig, Strategien zu vermitteln, wie sie im Alltag Stress runterfahren
können, wie sie mit Schlafstörungen und Traumasymptomen umgehen, also
emotionaler Überflutung, dissoziativen Zuständen, Schock und Flashbacks.
Mit wie vielen Personen, die Hilfe brauchen, rechnen Sie?
Wir wissen aus epidemiologischen Studien, dass etwa ein Viertel aller
Geflüchteten, die in den letzten zehn, zwanzig Jahren hierhergekommen sind,
traumatisiert sind. 40 bis 50 Prozent leiden an einer Depression oder
Angststörung. Davon wird oder ist die Hälfte behandlungsbedürftig. Wobei
man dazu sagen muss, dass nicht alle Hilfe in Anspruch nehmen und manche
auch ohne Therapie Heilung erfahren. Gelungene gesellschaftliche Teilhabe
wirkt gesundheitsfördernd.
Worauf sollten Schulen achten, die jetzt ukrainische Kinder aufnehmen?
Wichtig ist, ihnen Struktur und Normalität zu geben, aber auch aktiv auf
die Familien zuzugehen, Gespräche anzubieten. Man sollte nicht invasiv
nachfragen nach Details, die traumatische Erinnerungen triggern, aber den
Krieg auch nicht verschweigen. Das würde das Gefühl der Isolation
verstärken. Die Kinder sollen wissen, dass sie sich auch mit diesem Teil
ihres Lebens zugehörig fühlen können.
Wirkt die Hilfsbereitschaft, die die Geflüchteten erleben, Traumatisierung
entgegen?
Wir wissen aus der Forschung, dass Traumatisierung kein irgendwann
abgeschlossener Prozess ist, sondern gerade für Menschen mit Kriegs- und
Fluchthintergrund in Sequenzen verläuft. Da gibt es die Sequenz der
Einwirkung von Gewalt, die der Flucht und die der Aufnahme in dem Land, in
dem die Flucht endet. Die Umstände, wie die Aufnahme verläuft, bestimmt
neben der Qualität der Gewalteinwirkung entscheidend mit, wie stark sich
eine Traumatisierung ausbildet, wie chronisch und wie einschränkend sie im
Alltag ist. Und von je mehr Sequenzen ich betroffen bin, desto komplexer
sind die Traumafolgen und umso schwieriger die Verarbeitung in der
Therapie.
Anders als viele andere hierher geflüchtete Menschen können sich die
Ukrainer:innen aussuchen, wohin sie gehen. Macht das einen Unterschied?
Ja, sehr. Das ist das Gefühl, das eigene Schicksal bestimmen und in eine
positive Richtung lenken zu können. Zum Beispiel, indem ich mir einen Ort
aussuchen kann, wo ich mich wohl und sicher fühle, wo vielleicht Freunde
oder Angehörige leben. Solche Erfahrungen der Selbstwirksamkeit können dem
Trauma entgegengesetzt werden, dessen Kern das Erleben von
lebensbedrohlicher Hilflosigkeit ist.
Welche weiteren Umstände verhindern, dass Flucht psychisch krank macht?
In der Therapie mit Geflüchteten ist immer wieder das Gefühl Thema,
unerwünscht zu sein, die Angst, wieder weggeschickt zu werden. Das
reproduziert Hilflosigkeit und Verfolgungserfahrung.
Was ist mit Menschen aus Drittstaaten, die in der Ukraine gelebt haben? An
vielen Grenzen werden diese diskriminiert.
Es ist immer eine schwierige Erfahrung, wenn man Belastungen erlebt, von
denen andere verschont bleiben. Vor allem, wenn sich das wiederholt. Das
macht etwas mit der Psyche, da entsteht schnell das Gefühl, persönlich
niemals eine Chance zu haben. Selbst wenn ganz klar ist, dass äußere
Faktoren schuld sind, bleibt das Gefühl, es habe mit einem selbst zu tun,
dass einem immer wieder etwas Schlechtes passiert. Das hat erhebliche
Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein.
Ist der Krieg in der Ukraine auch Thema in den Therapien mit Ihren
bisherigen Klient:innen?
In fast jeder, mit Kindern und Erwachsenen. Das beschäftigt alle, auch weil
die Bilder von Krieg und Flucht eigene Erfahrungen triggern. Ein junger
Mann, der selbst als Minderjähriger fast zwei Dutzend Mal an der Grenze
zurückgewiesen wurde, sagte, er sei so erleichtert, dass die
Ukrainer:innen das nicht erleben müssen. Er hat sich aufrichtig gefreut,
und ich habe mich geschämt, dass ihm das geschehen ist.
Ist Ihnen noch etwas wichtig?
Ja. Es gibt manchmal so eine Erwartungshaltung, wenn Geflohene schon lange
im Land sind und vielleicht auch ganz gut funktionieren, dass es dann doch
mal gut sein muss. Aber traumatisierende Ereignisse werden anders in der
Psyche deponiert als Erinnerungen, die nicht mit Todesängsten verknüpft
sind. In dem Moment, in dem eine traumatische Erfahrung getriggert wird,
zum Beispiel durch einen ähnlich erscheinenden Umstand oder
Stresssituationen, sind die Betroffenen nicht mehr im Hier und Jetzt,
sondern erleben auch körperlich den Moment, als wären sie wieder in der
traumatisierenden Situation. Egal wie lange sie zurückliegt.
22 Mar 2022
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## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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