| # taz.de -- Ukrainischer Skateboarder zum Krieg: „Mein Vater wird nicht aufge… | |
| > Yurii Korotun war im Urlaub, als der Krieg losging. Seine Familie harrt | |
| > in einem Dorf bei Kiew aus. Nun versucht er, von Hannover aus zu helfen. | |
| Bild: Sammelt von Hannover aus Spenden: Yurii Korotun | |
| taz: Herr Korotun, woran haben Sie heute nach dem Aufwachen gedacht? | |
| Yurii Korotun: Da ist zuerst die Frage, ob meine Eltern ans Telefon gehen | |
| werden oder nicht. Heute habe ich angerufen, es hat ein paar Mal | |
| geklingelt, mein Vater ist rangegangen, aber es ist sofort wieder | |
| abgebrochen. Sie haben keinen Strom mehr, kein Internet. Meine Familie holt | |
| Benzin von einer Tankstelle, um einen Generator zu betreiben. Aber jeder | |
| Gang ist gefährlich. | |
| Zum Glück haben sie den Generator. | |
| Viele Menschen in der Ukraine haben sich auf diese Scheiße vorbereitet. | |
| Auch meine Eltern haben sich vor etwa einem Monat mit Essen eingedeckt. | |
| Jetzt hätten sie auch gar nicht mehr die Möglichkeit, einkaufen zu gehen. | |
| Im Ort backen Freiwillige in einer Bäckerei Brot. Menschen stehen in langen | |
| Schlangen an und bekommen nur einen halben Laib. | |
| Wo leben Ihre Eltern? | |
| In einem sehr kleinen Dorf names Klawdijewo-Tarassowe. Das liegt in der | |
| Nähe von Kiew. Wenige Kilometer [1][entfernt ist die Stadt Borodjanka.] | |
| Dort gibt es nichts Militärisches, nur Wohnhäuser, Schulen, ich war für | |
| Fußballspiele dort. Trotzdem wird die Stadt mit Bomben attackiert. Und | |
| gleichzeitig veröffentlichen die Russen Propagandavideos, in denen zu sehen | |
| sein soll, dass ukrainische Menschen sie mit Brot und Salz als neue | |
| Nachbarn empfangen. | |
| Und Ihre Familie konnte sich bisher nicht in Sicherheit bringen? | |
| Meine Eltern, mein Bruder und meine Großmutter haben zu Beginn des Krieges | |
| gesagt, dass sie ihr Haus nicht verlassen werden. Jetzt könnten sie auch | |
| dann nicht weg, wenn sie wollten. Die Region ist von russischem Militär | |
| eingekreist. Ich habe am meisten Angst davor, dass die Russen in das Haus | |
| meiner Familie kommen und sie verletzen. Meine Eltern haben mir gerade von | |
| Freunden aus dem gleichen Dorf erzählt, die versucht haben zu fliehen und | |
| in ihrem Auto erschossen wurden. Auch die zwei Kinder auf dem Rücksitz. | |
| Bereiten Ihre Eltern sich darauf vor, dass sie sich verteidigen müssen? | |
| Es ist so verrückt, über so etwas sprechen zu müssen. Aber ja, mein Vater | |
| wird nicht einfach aufgeben. | |
| Wo waren Sie, als Russland die Ukraine angegriffen hat? | |
| Ich war in der Türkei und bin dort gereist. Ich hatte gerade keinen Job, | |
| weil alle Ausländer aus der Ukraine ausgereist waren. Vorher war ich an der | |
| Produktion für einen Werbespot für Mercedes Benz beteiligt. Hätte Russland | |
| angefangen, Bomben zu werfen, wenn alle Botschaften voll gewesen wären? Ich | |
| denke nicht. | |
| Wie haben Sie sich gefühlt, so weit weg von Zuhause? | |
| Es war, als wenn mein Kopf explodiert. Ich war in der Altstadt von Antalya | |
| mit einem wunderschönen Blick auf die Stadt. Dort stand ich, es war kalt | |
| und ich habe noch nie so einen Schmerz gespürt. Ich weinte und schrie | |
| allein auf der Straße. Ich konnte nicht glauben, dass das passiert. Dann | |
| habe ich angefangen, meine Familie und Freunde anzurufen und Hilfe zu | |
| organisieren. | |
| Wie können Sie von außen helfen? | |
| Einige meiner Freunde haben sich auf den Weg in den Westen gemacht und ich | |
| habe nach freien Routen gesucht. Ich greife dabei auf [2][mein großes | |
| Netzwerk zurück – auf Instagram] und durch meine Jobs in der Filmindustrie | |
| und das Skateboarden. Ich sage Leuten, wohin sie spenden können und ich | |
| organisiere Geld für Dinge, die gebraucht werden. Schusssichere Westen oder | |
| Radioantennen zum Beispiel. | |
| Auch für Ihre Familie? | |
| Ich habe versucht, für meinen Vater Waffen zu organisieren. Es hat aber | |
| nicht geklappt, weil sie gar nicht in dem Dorf ankommen könnten. Ich möchte | |
| aber irgendwie dafür sorgen, dass meine Eltern sicher sind. | |
| Wie sind Sie selbst in Hannover gelandet? | |
| Meine Freundin hat auch ukrainische Wurzeln, aber sie lebt schon seit | |
| Langem in Hannover. Ich war schon zuvor hier, musste aber wieder in die | |
| Ukraine ausreisen, weil [3][das Touristenvisum nur über 90 Tage] lief. | |
| Jetzt habe ich mich bei der Ausländerbehörde angemeldet, aber ich möchte | |
| keine Hilfe vom Staat. Ich möchte kein Flüchtling sein, sondern helfen. | |
| In der Ukraine waren Sie seit der Reise nicht mehr? | |
| Nein. Und nach Istanbul hatte ich nur eine kleine Tasche mitgenommen. All | |
| meine Sachen sind noch in meiner Wohnung im Zentrum von Kiew. Meine letzten | |
| 25 Jahre. Ich habe Bücher gesammelt, Gemälde von unterschiedlichen | |
| Künstlern und meine Skateboard-Pokale. Ich hoffe, dass die Wohnung noch | |
| verschlossen ist, aber die Tür ist dünn und die Chance gering. | |
| Fühlen Sie sich manchmal hin- und hergerissen, weil Sie hier sind und nicht | |
| in Kiew? | |
| Es ist schwierig. Ich habe viel darüber nachgedacht, ob ich dort sein | |
| sollte. Ich glaube, dass ich auch von hier aus helfen kann. Weil ich so | |
| vernetzt bin, konnten wir schon viele tausend Dollar in die Ukraine | |
| schicken. Gleichzeitig kämpfen Freunde von mir – Skateboarder – gerade in | |
| Butscha, einem stark umkämpften Gebiet vor Kiew. Sie töten Menschen. | |
| Skateboarder! Auch sie brauchen manchmal Informationen oder Geld und ich | |
| versuche, sie zu unterstützen. | |
| Setzen Sie nur auf Ihre eigenen Netzwerke oder arbeiten Sie auch mit | |
| Aktivist:innen in Hannover zusammen? | |
| Ich spreche mit Leuten aus Hannover darüber, wo Menschen privat | |
| untergebracht werden können. Ich habe auch auf einer Demo vor dem | |
| Hauptbahnhof gesprochen. | |
| Haben Sie das Gefühl, dass die Demos, zu denen in Deutschland zehntausende | |
| Menschen gehen, etwas bringen? | |
| Sie sind sehr wichtig. Die Regierungen sehen dadurch, dass die Menschen die | |
| Ukraine unterstützen und sich ein Ende der Gewalt wünschen. Vielleicht | |
| greifen die Staaten dann eher ein. Und der Ukraine zeigt diese Solidarität, | |
| dass die ganze Welt an ihrer Seite steht. Genauso wichtig sind aber auch | |
| Spenden. Wir müssen diesen Terror stoppen. | |
| Haben Sie auch Kontakt zu Russ:innen? | |
| Ja, ich habe Freunde in Russland, die bei uns gewohnt haben, wenn sie in | |
| der Ukraine waren. Sie wissen alle, was passiert. Wir haben ihnen die | |
| Videos gezeigt. Aber sie sind still. Sie posten nichts. | |
| Wahrscheinlich haben sie Angst. | |
| Natürlich, aber viele andere Menschen in Russland zeigen ihren Protest. | |
| Junge Mädchen, Großmütter. Es enttäuscht mich, dass sie schweigen. | |
| Haben Sie in Hannover schon mit Menschen aus Russland gesprochen? | |
| Ja. Die russischen Leute, die in Deutschland leben, haben Zugang zu | |
| Informationen. Viele von ihnen sind solidarisch. | |
| Wie geht es für Sie persönlich jetzt weiter? | |
| Meine Freundin und ich bekommen, wenn alles gut geht, heute die Schlüssel | |
| für eine eigene Wohnung. Bisher bin ich bei Freunden untergekommen. | |
| Das heißt, dass Sie vorhaben, länger zu bleiben? | |
| Zumindest für die nächsten Monate. Ich muss mich von diesem Trauma erholen. | |
| In den ersten Tagen habe ich nicht geschlafen, viel geraucht, nichts | |
| gegessen. Jetzt mache ich wieder Yoga, fahre Skateboard. Ich versuche, eine | |
| Balance zu finden und einerseits zu helfen, aber auch auf mich selbst zu | |
| achten. Der Krieg ist aber in jeder Minute präsent. | |
| 8 Mar 2022 | |
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| [1] https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Bewohner-in-Borodjanka-bericht… | |
| [2] https://www.instagram.com/jurasssick/?hl=de | |
| [3] /Vorwuerfe-gegen-Auslaenderbehoerde/!5834966 | |
| ## AUTOREN | |
| Andrea Maestro | |
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