| # taz.de -- Psychiater über Dolmetschen beim Arzt: „Wenige Ärzte sind inter… | |
| > Mike Mösko hat in Hamburg ein Pilotprojekt zum professionellen | |
| > Dolmetschen im Gesundheitswesen mit initiiert. Doch nur wenige ÄrztInnen | |
| > nutzen es. | |
| Bild: Nicht die Regel: migrantische Familie beim Arzt, begleitet von einem Dolm… | |
| taz: Herr Mösko, warum gibt es hierzulande so wenige Profi-DolmetscherInnen | |
| im Gesundheitswesen? | |
| Mike Mösko: Es gibt bei Verantwortlichen im Gesundheitssystem (Politiker, | |
| Krankenkassen, Ärzte, Verbände) eine Menge ablehnender Haltungen, wie etwa, | |
| dass Migranten nicht mehr motiviert seien, [1][Deutsch zu lernen], wenn man | |
| ihnen einen Dolmetscher zur Seite stelle. Inzwischen gibt es einen | |
| Hoffnungsschimmer: Im Koalitionsvertrag der jetzigen Regierung steht | |
| erstmals, dass Dolmetschen zumindest im Gesundheitswesen als gesetzliche | |
| Regelleistung verankert werden soll. Wir hoffen, dass das | |
| Gesundheitsministerium in den nächsten Monaten einen Gesetzesentwurf | |
| vorlegt. | |
| taz: Wer dolmetscht bisher beim Arztbesuch? | |
| Mösko: Die gängige Praxis ist immer noch: Wenn du mich als deine Ärztin | |
| oder deinen Arzt verstehen willst, bring jemanden zum Übersetzen mit. Das | |
| hat zur Folge, dass die PatientInnen Freunde, Verwandte, aber auch Kinder | |
| zum Dolmetschen mitbringen. Oder man fragt MitarbeiterInnen – | |
| ArztkollegInnen, Pflege- oder Reinigungskräfte, auch Google Translator. All | |
| das hat sich als schwierig erweisen: Da wurden teils wichtige Diagnosen und | |
| Behandlungsinformationen nicht übersetzt, sodass PatientInnen nicht | |
| ausreichend versorgt wurden. | |
| taz: Woher wissen Sie das? Sie können die Dolmetschenden ja nicht | |
| überprüfen. | |
| Mösko: Genau diese Ungewissheit ist das Dilemma. Wenn Angehörige | |
| übersetzen, wissen Sie nicht, was bei den PatientInnen ankommt. Es gibt ein | |
| nachgestelltes Video von KollegInnen aus der Schweiz. Da kommt ein Patient | |
| zur Nachbesprechung der Blutuntersuchung zum Hausarzt. Der Arzt will dem | |
| türkischen Patienten sagen, dass er eine leichte, gut behandelbare Diabetes | |
| hat. Der hat seinen Neffen zum Übersetzen mitgebracht, der dem Onkel aber | |
| sagt: „Es ist alles in Ordnung.“ Der Neffe übersetzt es deswegen nicht, | |
| weil seine Tante an Diabetes starb. Daher fürchtet er, dass er dem Onkel | |
| dann auch mitteilen würde: „Du stirbst.“ | |
| taz: Werden PatientInnen manchmal wegen der Sprachbarriere abgewiesen? | |
| Mösko: Ja, und gar nicht so selten. Bei unseren Befragungen unter | |
| PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen haben 17 Prozent angegeben, dass | |
| sie schon PatientInnen wegen der Sprachbarriere abgewiesen haben. Bei | |
| diabetologischen Praxen lag die Quote bei 20 Prozent. | |
| taz: Gibt es derzeit gar keine Profi-DolmetscherInnen beim Arztbesuch? | |
| Mösko: Doch, als Bottom-up-Bewegung. Es gibt viele Initiativen, die sich | |
| für DolmetscherInnen im Gesundheitswesen einsetzen. Bei Qualifikation und | |
| Bezahlung herrscht allerdings ein Flickenteppich. Es gibt zum Beispiel eine | |
| sehr starke Bewegung, die MigrantInnen empowern will – wie die | |
| „[2][Stadtteilmütter]“, die Migrantenfrauen als Dolmetscherinnen einsetzen | |
| wollen. VertreterInnen dieser Projekte plädieren für eine eher geringe | |
| Qualifizierung, etwa als mehrtägige Fortbildung. In diesem Modell ist die | |
| Dolmetscherin auch Begleiterin und Kümmerin. Andere plädieren für das | |
| akademische Dolmetschen, das sich aufs Übersetzen beschränkt. Da sind die | |
| Anforderungen höher und umfassen Qualifizierungsprogramme, die bis zu | |
| mehreren Jahren reichen. | |
| taz: Wie steht es um die Bezahlung der Dolmetschenden? | |
| Mösko: Auch das ist nicht einheitlich geregelt. Viele Organisationen | |
| arbeiten mit Ehrenamtlichen. Der Durchschnittslohn für professionelles | |
| Dolmetschen im Gesundheits- und Gemeinwesen wiederum beträgt 20 Euro pro | |
| Stunde. Aber man könnte sich auch am Tarifsystemen von Gerichtsdolmetschern | |
| orientieren, die 80 Euro und mehr pro Stunde bekommen. Das gilt aber vielen | |
| als zu teuer. Es ist schwer, einen Konsens zu finden, da es keinen Verband | |
| der Dolmetschenden im Gesundheitswesen gibt, der der Politik gegenüber | |
| Forderungen stellen könnte. | |
| taz: Wie funktioniert nun Ihr Hamburger Pilotprojekt? | |
| Mösko: Der Verein Seelische Gesundheit und Migration ([3][Segemi]) hat vor | |
| sieben Jahren den Hamburger Dolmetscherpool initiiert, um diese Lücke zu | |
| füllen. Bis dato gab es in Deutschland zwar viele Einzelzentren, die sich | |
| auf die Versorgung Geflüchteter spezialisiert hatten – wie die | |
| Bundesarbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Folteropfer und | |
| Flüchtlinge. Es blieb aber die Frage: Wie steht es um die Regelversorgung | |
| durch einen niedergelassenen Hausarzt oder Psychiater? Wir stellten fest, | |
| dass in Hamburg nur wenige Ärzte eine andere Sprache sprechen und ein | |
| Angebot für Geflüchtete machen können. Um niedergelassenen Ärzten | |
| professionelle DolmetscherInnen anbieten zu können, hat uns auf unser | |
| Drängen die Hamburgische Bürgerschaft dann eine – inzwischen verstetigte – | |
| Förderung für unser Pilotprojekt bewilligt. Umgesetzt haben wir das Projekt | |
| in Zusammenarbeit mit der Psychotherapeutenkammer Hamburg und dem | |
| Paritätischen Wohlfahrtsverband Hamburg. | |
| taz: Wie genau haben Sie es umgesetzt? | |
| Mösko: Da unser Verein Segemi sehr gut vernetzt ist, haben wir zunächst | |
| versucht, [4][Dolmetschende für den psychlogisch-psychiatrischen Bereich] | |
| zu finden. Dann haben wir flächendeckend inseriert und PsychiaterInnen und | |
| PsychotherapeutInnen gesucht, die sich beteiligen wollen. Von 1.600 in | |
| Hamburg niedergelassenen [5][PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen] | |
| nehmen derzeit 80 teil. Das sind fünf Prozent. | |
| taz: Und wie interessiert sind somatische, mit körperlichen Symptomen | |
| befasste Praxen? | |
| Mösko: Die fehlende Bereitschaft ist ein großes Problem. Hamburgs | |
| Sozialbehörde hat neben dem Fonds für psychotherapeutisch-psychiatrische | |
| Arztbesuche auch einen für Dolmetscher bei somatischen Ärzten aufgelegt. | |
| Von 4.000 Hamburger Praxen haben sich auf unsere Anfrage lediglich sechs | |
| gemeldet. | |
| taz: Während das Hamburger Werner-Otto-Institut von Anfang an dabei ist. | |
| Mösko: Ja. Es ist eine sozialpädiatrische Einrichtung für Kinder und | |
| Jugendliche mit psychischen oder körperlichen Erkrankungen. Um auch | |
| Müttern, die nicht gut Deutsch sprechen, zu erklären, wie sie damit | |
| umgehen, fragt das Institut bei uns an. Dolmetschende aus dem Segemi-Pool | |
| übernehmen dann den Termin. Inzwischen haben wir 84 DolmetscherInnen und 50 | |
| Sprachen im Pool. | |
| taz: Wie prüfen Sie deren Qualifikation? | |
| Mösko: Ein schwieriges Thema. Wir haben im Zuge wissenschaftlicher | |
| Untersuchungen festgestellt, dass ein Viertel der Dolmetschenden bundesweit | |
| keine Qualifikation hat und die übrigen eine Schulung von rund 20 Stunden. | |
| Deshalb sind im Segemi-Projekt eine Fortbildung sowie eine Supervision pro | |
| Jahr verpflichtend. Außerdem haben wir ein Feedback-System der | |
| Behandelnden. Darüber hinaus haben wir eine umfangreiche | |
| Mindestqualifizierung für DolmetscherInnen im Umfang von 500 Stunden mit | |
| externer Prüfung entwickelt und wissenschaftlich erprobt. | |
| taz: Wo liegt das größte Problem für die Dolmetschenden? | |
| Mösko: In der Rollenfindung. Viele Menschen dolmetschen, um ihren | |
| [6][Landsleuten zu helfen.] Das kann dazu führen, dass sie sich nicht | |
| genügend abgrenzen und auf Bitten der PatientInnen ihre private | |
| Telefonnummer herausgeben. Wir bestärken unsere Dolmetschenden darin, das | |
| abzulehnen und nicht am Wochenende weiter ehrenamtlich zu dolmetschen. Aber | |
| diese Abgrenzung fällt vielen unglaublich schwer. | |
| taz: Ist Ihr Projekt wegweisend für andere Bundesländer? | |
| Mösko: Bremen hat sich bereits angeschlossen und finanziert einen | |
| Dolmetscherpool für Arztbesuche. Und in Thüringen kann man kostenlos | |
| Dolmetscher sowohl im Gesundheitswesen als auch in der Verwaltung in | |
| Anspruch nehmen. | |
| 11 Aug 2024 | |
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| [2] https://www.diakonie-hamburg.de/de/rat-und-hilfe/migration/unterstuetzung_f… | |
| [3] https://www.segemi.org/ | |
| [4] /Fluechtlings-Dolmetscherin-ueber-Traumata/!5686016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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