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# taz.de -- Flüchtlings-Dolmetscherin über Traumata: „Frauen brauchen Dolme…
> Barbara Katz-Zargarizadeh übersetzt in der Trauma-Therapie afghanischer
> und iranischer Flüchtlinge. Da muss sie viele Gewalt-Erfahrungen teilen.
Bild: Hat eine labile Klientin in den Kreissaal begleitet: Barbara Katz-Zargari…
taz: Frau Katz-Zargarizadeh, Sie dolmetschen in der Trauma-Therapie
afghanischer und iranischer Flüchtlinge. Warum belasten Sie sich damit?
Barbara Katz-Zargarizadeh: Weil es hierzulande viel zu wenig iranische oder
afghanische Psychotherapeuten und Psychiater gibt, die diese Menschen
direkt – ohne Sprachmittler – in ihrer Muttersprache versorgen könnten. Das
wäre die beste Lösung, aber solange das nicht der Fall ist, baue ich
zusammen mit meinen KollegInnen gern die [1][sprachliche und kulturelle
Brücke]. Es ist einfach unbedingt erforderlich.
Warum?
Die Flüchtlinge kommen mit so viel im Rucksack her – schlimme Erfahrungen
in der Heimat und auf der Flucht, schwierige Erfahrungen hier, im
Ankunftsland. Da muss man sich einfach bemühen, zumindest einigen von ihnen
ein Ventil zu liefern. Außerdem kann dieser psychische Ballast sehr
konfliktträchtig sein. Es ist also auch im Interesse der
Mehrheitsgesellschaft, dass diese Menschen [2][psychologisch betreut]
werden.
Woher können Sie Persisch beziehungsweise Farsi?
Ich war mit einem Iraner verheiratet und habe mich – auch, weil unsere
Kinder bikulturell aufwachsen sollten – intensiv damit beschäftigt. Ich war
bereits Diplom-Dolmetscherin für Englisch und Französisch und wollte
eigentlich noch einen Abschluss in Farsi machen, um auch in dieser Sprache
hauptberuflich arbeiten zu können. Aber als ich mich 2012 darum bemühte,
bot keine Universität in Deutschland ein Farsi-Dolmetscherstudium an. Ich
habe mir dann weiterhin privat gute Lehrer gesucht – und natürlich viel bei
Besuchen im Iran und durch Kontakte mit Iranern hier in Deutschland
gelernt.
Und wie kamen Sie zum Dolmetschen in der Trauma-Therapie?
Über die Anfrage einer Hamburger Flüchtlings-Erstaufnahme im Oktober 2015.
Ich habe erst gezögert, weil ich keine Persisch-Muttersprachlerin bin und
noch nie in diesem Bereich gedolmetscht hatte. Dann habe ich mir gesagt: Du
bringst das erforderliche Sprachniveau mit und hast gelernt, was
professionelles Dolmetschen bedeutet: das Gesagte unter Kenntnis der
kulturellen Besonderheiten korrekt und ohne Weglassungen oder Hinzufügungen
übersetzen. Die eigene Meinung außen vor lassen, Vertraulichkeit wahren.
Das wollte ich sichergestellt wissen. Deshalb habe ich zugesagt und
gleichzeitig begonnen, mich intensiv mit der Thematik zu beschäftigen.
Wie verlief der Start?
Erstaunlich gut. Mit der Trauma-Therapeutin stimmte die Chemie von Anfang
an. Im Vorgespräch habe ich ihr erklärt, wie ich arbeite: Wenn ich etwas
nicht verstehe – weil es ein Dialekt ist oder ich den Begriff oder
kulturellen Hintergrund nicht kenne –, dann sage ich das. Auch das ist ein
professioneller Zugang. Es kommt leider immer wieder vor, dass ungeschulte
Laiensprachmittler sich nicht so verhalten – aus Angst, sich eine Blöße zu
geben. Aber das kann schwerwiegende Folgen haben.
Ist die Dreier-Konstellation nicht schwierig für eine Therapie-Situation?
Ja, und zwar sowohl für den Behandler als auch für den Klienten. Für den
Behandler – sei er Psychotherapeut oder Psychiater – ist es meist
ungewohnt, nicht allein mit dem Klienten zu arbeiten. Und auch wenn ich es
bei „meiner“ Therapeutin nicht gespürt habe: Manch ein Behandler fürchtet,
die Kontrolle über das Gespräch zu verlieren. Denn der Klient nimmt den
Dolmetscher als die Person wahr, die seine Sprache spricht und seine Kultur
kennt. Das schafft Nähe, und deshalb schaut er eher ihn an als den
Therapeuten. Der ist aber auf Blickkontakt angewiesen, um zu spüren, in
welche Bahnen er das Gespräch lenken muss. Dieser Blickkontakt zwischen dem
Behandler und dem Klienten muss also immer wieder hergestellt werden.
Und wie ist es für die Klienten?
Auch ihnen fällt es möglicherweise schwer, sich zwei Personen zu öffnen.
Oft erlebe ich auch zunächst Erstaunen, weil ich so gar nicht iranisch oder
afghanisch aussehe und trotzdem dolmetschen will. Dann erzähle ich kurz,
warum ich Farsi spreche, und bisher haben alle Klienten dann schnell
Vertrauen gefasst. Außerdem wird gleich zu Beginn klargemacht, dass alles,
was gesagt wird, von mir absolut vertraulich behandelt wird.
Ist Ihr Frausein für manche Klienten ein Problem?
Das habe ich noch nie erlebt. Ich habe das Gefühl, dass Männer manche Dinge
vielleicht sogar leichter sagen können, wenn da eine Frau als Dolmetscherin
sitzt. Bei Frauen sollte meiner Erfahrung nach generell darauf geachtet
werden, dass sie in der Trauma-Therapie weibliche Sprachmittler bekommen.
Außerdem hilft es manchmal, wenn da nicht ein Dolmetscher aus der eigenen
Kultur sitzt.
Geht es um Tabu-Themen?
Ja. Da ist zum einen – zum Beispiel in Afghanistan – die in der eigenen
Kultur oft geduldete häusliche Gewalt gegen Frauen. Und das nicht nur durch
den Ehemann, sondern auch durch Männer aus der Schwiegerfamilie. Ein
weiteres Tabu-Thema ist der Schwangerschaftsabbruch. In einem mir bekannten
Fall war der Ehemann einverstanden. Aber die Schwiegermutter verbot es und
die Schwangere beugte sich. Stark tabuisiert ist auch sexualisierte Gewalt
gegen Jungen und Männer durch Männer.
Und wie ertragen Sie all diese schrecklichen Geschichten?
Die Antwort ist nicht ganz leicht. Als ich 2015 anfing, hat mich die
Therapeutin, mit der ich zusammenarbeitete, oft aufgefangen. Wenn ich etwas
sehr Schlimmes gedolmetscht habe, hat sie hinterher gefragt, ob wir drüber
reden sollen. Diese Gespräche waren sehr wichtig für mich.
Wäre das nicht Aufgabe einer „Supervision“?
Ja, aber die Erstaufnahme-Einrichtung bot das für Honorarkräfte wie mich
nicht an. Glücklicherweise bin ich dann auf den Hamburger [3][Verein
„Seelische Gesundheit – Migration und Flucht“, kurz Segemi,] gestoßen, d…
sich 2015 gegründet hatte. In einem bundesweiten Pilotprojekt hat er einen
Sprachmittlerpool für die ambulante Psychotherapie aufgebaut und maßgeblich
zur Akzeptanz von Sprachmittlern in der Therapie beigetragen. Neben
Fortbildungen bietet Segemi auch eine Supervisionsgruppe an, geleitet von
einem Psychotherapeuten der Hamburger Uniklinik (UKE). Das hilft enorm.
Was genau hilft?
Schon das Aussprechen dessen, was – obwohl es nicht meins ist – auf meinen
Schultern lastet, löst Spannungen und hilft, Abstand zu gewinnen. Dazu
kommt die Erfahrung, dass alle in dieser Runde solche „Rucksäcke“ tragen.
Unter fachlicher Anleitung lernen wir, damit umzugehen. Aber damit kein
irriger Eindruck entsteht: Trauma-Dolmetschen belastet nicht nur, sondern
ist auch bereichernd.
Inwiefern?
Ich empfinde zum Beispiel große Dankbarkeit dafür, dass ich in einem Land
lebe, wo ich geschützt bin und viele dieser Probleme nicht habe.
Dankbarkeit auch dafür, dass ich den Betroffenen durch mein Dolmetschen
helfen kann. Außerdem berührt mich das Vertrauen, das die Menschen mir
schenken. Das fängt an mit einem Dankeschön und kann bis zur Umarmung bei
Begrüßung oder Verabschiedung gehen, wie in der afghanisch-iranischen
Kultur üblich. Da überlege ich dann: „Ist das nicht zu nah? Du bist ja nur
als Sprachmittlerin hier.“ Aber manchmal erwidere ich die Geste, je nach
Situation.
Ein schmaler Grat.
Ja, ich bemühe mich um professionellen Abstand, aber es ist manchmal schwer
durchzuhalten – zumal ich ohnehin schwer Nein sagen kann. Ich erinnere mich
an eine der ersten Afghaninnen, die ich, zusammen mit ihrem Mann, in der
Trauma-Therapie erlebte. Dann wurde sie schwanger und überlegte, ob sie es
unter diesen schwierigen Bedingungen durchziehen sollte. Sie tat es. Es
wurde eine Risikoschwangerschaft, und ich begleitete sie zu den
gynäkologischen Untersuchungen. Nach Suizidgedanken habe ich mit ihr in der
Notaufnahme gesessen. Irgendwann habe ich ihr meine Telefonnummer gegeben.
Das ist sehr privat.
In der Tat wird stets davon abgeraten, damit man nicht bedrängt wird,
weitergehende Hilfen zu leisten – was tatsächlich passiert, denn natürlich
klammern sich diese Menschen an uns Dolmetscher, sie kennen hier ja sonst
kaum jemanden. In diesem Fall dachte ich aber: Sie kann kein Deutsch und
muss mich in dieser kritischen Situation erreichen können. Ich habe dann
auch die Geburt miterlebt.
Nicht ihr Mann?
Nein. In Afghanistan sind Männer ganz selten bei der Geburt dabei. In der
Heimat wären andere Frauen bei ihr – ihre Mutter, eine Tante. Hier hatte
sie keine von ihnen. Wegen der Labilität der Patientin hat mir der Arzt
erlaubt, mit in den Kreißsaal zu kommen.
Haben Sie noch Kontakt?
Ja, sie hat mich zum ersten Geburtstag ihres Kindes eingeladen, weil ich
doch die „Oma“ ihres Kindes sei. Ich bin hingegangen, habe aber gesagt: Ich
bin nur eine Freundin.
Besuchen Sie generell keine Klienten?
Abgesehen von diesem einen Fall nicht. Ein anderes Mal wollte mich zum
Beispiel eine afghanische Familie zum Essen einladen. Ich wusste, dass sie
groß auftischen würden, weil Gastfreundschaft Teil ihrer Kultur ist. Sie
haben aber nicht viel Geld, und ich wollte sie nicht in die Bredouille
bringen. Außerdem habe ich immer wieder Neid unter den Frauen erlebt. Ich
wollte aber in der Unterkunft kein böses Blut säen, indem ich die eine
besuchte und die andere nicht. Denn diese Frauen brauchen einander, die
müssen zusammenhalten. So habe ich meine Absage auch begründet.
Wie kam das an?
Ich weiß es nicht genau. Diese Dinge sind schwer zu vermitteln. Ein Nein
wird auch schon mal als Affront empfunden.
Was wissen Sie über psychologische Hilfe in den Herkunftsländern der
Klienten?
Ich bin nicht vom Fach, habe aber nach allem, was ich dazu gelesen habe,
den Eindruck, dass die Versorgung zumindest in Afghanistan schlecht ist.
Wenn überhaupt bekommen die Menschen „Hammer“-Medikamente und mehr passiert
nicht.
Woraus schließen Sie das?
Wenn hier im Rahmen der Trauma-Therapie gesagt wird: „Es wäre gut, wenn Sie
zusätzlich ein unterstützendes Medikament nähmen“, erlebe ich oft, dass die
Klienten scharf die Luft einsaugen oder ablehnend schauen und sagen: „Ich
habe Angst, dass ich abhängig werde.“
30 Jun 2020
## LINKS
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[3] http://www.segemi.org/
## AUTOREN
Petra Schellen
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