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# taz.de -- Regisseurin Maryam Zaree: „Licht auf das Verborgene werfen“
> Maryam Zarees Regiedebüt „Born in Evin“ handelt vom bekanntesten
> Foltergefängnis im Iran. Und von Menschen, die es überlebt haben.
Bild: Mit 12 Jahren erfuhr Zaree von ihrem Geburtsort: dem Foltergefängnis Evin
taz: Frau Zaree, Sie wurden 1983 im iranischen Foltergefängnis Evin in
Teheran geboren. Haben Sie Erinnerungen an diese Zeit?
Maryam Zaree: Nein, keine bewussten. Deshalb war es lange schwierig für
mich, damit umzugehen. Mein Anfang in dieser Welt ist etwas, zu dem ich
kaum eine Verbindung habe. Wenn die Erfahrung der Verfolgung und
Inhaftierung im Erwachsenenalter stattfindet, dann ist das ein bewusster
Zeitpunkt im Leben – aber wenn das nicht so ist wie bei mir, dann gibt es
irgendwie eine Form von Entkopplung.
Erst mit zwölf Jahren haben Sie durch Zufall von Ihrer Tante erfahren, dass
Sie im Gefängnis geboren wurden.
Das war für mich so, als hätte mir jemand gesagt, auf dem Mars haben sie
Menschen gefunden, die sind rosa und sehen aus wie Elefanten. Das ist
vielleicht eine komische Assoziation, aber diese Information war für mich
viel zu abstrakt. Ich hatte überhaupt keine Erinnerung an den Iran, ich
kann bis heute nicht dort hinreisen. Die einzige Vorstellung, die ich vom
Iran hatte, war, dass es irgendwie etwas Bedrohliches ist, von dem wir weg
mussten.
Ihre Eltern waren unter dem Regime von Ruhollah Chomeini politische
Gefangene. Wussten Sie das damals?
Ich glaube, dass ich vieles erahnt habe. Irgendetwas hat sich auch ohne
bewusste Erinnerung in meinen Körper und in mein Sein eingeschrieben. Meine
Mutter floh nach der Freilassung mit mir nach Deutschland. Aber mein Vater
war abwesend, weil er noch jahrelang im Gefängnis war. Also ich denke, ich
wusste viel, aber ich hatte dazu keinen Zugang. Das war auch eine
Motivation, den Film zu machen.
In Ihrer Dokumentation „Born in Evin“, die seit dem 17. Oktober in den
Kinos läuft, sprechen Sie mit vielen ehemals Inhaftierten, gleichzeitig ist
der Film eng mit Ihrer eigenen Geschichte verknüpft. Sie haben vier Jahre
lang daran gearbeitet – wie sind Sie an dieses Projekt herangegangen?
Am Anfang wollte ich gar nicht darin vorkommen. Die Idee war, andere Kinder
und Überlebende zu finden und die zu porträtieren. Und ich wollte hinter
der Kamera bleiben.
Warum haben Sie sich anders entschieden?
Es hat lange gedauert, aber irgendwann habe ich begriffen, dass der Film so
nicht funktionieren kann, weil er sich mit Verdrängung beschäftigt. Das
Ziel war ja, Licht auf das zu werfen, was im Verborgenen liegt. Ich musste
also vortreten in diese Gefilde, die mir Angst machen und nicht die
Verdrängung fortführen. Ich habe über ein Jahr Widerstand geleistet, selbst
Protagonistin zu werden. Es war sehr schwierig, das abzuwägen. Am Ende habe
ich mich doch dafür entschieden, dass auch meine Familie vorkommt.
Sie wuchsen mit Ihrer Mutter und später mit Ihrem Stiefvater in Frankfurt
am Main auf. Ihr Vater war insgesamt sieben Jahre inhaftiert, bis er auch
nach Deutschland kam. Haben Sie mit Ihrer Mutter über die Zeit in Evin
gesprochen?
Kaum. Meine Mutter konnte über ihre eigene Verwundung und die Entwürdigung,
die sie erlebt hat, nicht sprechen.
Wissen Sie denn heute, wie der Alltag für Kinder im Gefängnis aussah?
lm Film erzählen mehrere Frauen darüber, aber es gibt auch Forschung dazu.
Es gab sexuelle Gewalt, Hunderte Menschen waren auf engstem Raum
eingeschlossen. Sie wurden gefoltert und gedemütigt, auf unvorstellbar
grausame Weise. Bei den Müttern wurde das System auch auf die Kinder
ausgeweitet.
Als Sie von Ihrer Tante erfuhren, dass Sie im Gefängnis zur Welt gekommen
sind, was haben Sie da gemacht?
Ich habe einfach weitergelebt, als hätte es diese Information nicht
gegeben.
Sie haben nicht mal Ihre Mutter gefragt, ob es stimmt?
Nein. Ich habe erst Jahre später einer Freundin davon erzählt. Auch ganz
heimlich. Gefängnis stand natürlich für etwas ganz Schlimmes und ich wusste
keinen Umgang damit. Aber eigentlich gibt es doch in jeder Familie Dinge,
über die nicht gesprochen wird. Es gibt Strategien, ein Gespräch, das sich
in eine schwierige Richtung entwickelt, so umzuwandeln, dass es nicht
stattfindet. Es ist wie ein nonverbaler Vertrag, dass man dahin, wo es
wehtut oder wo es wehtun könnte, nicht geht.
Aber das, was wehtut, kam dann mit 22 Jahren zu Ihnen. Sie hatten in
Marokko eine Panikattacke.
Ja, das war eine szenische Erinnerung. Ich saß in einem Bus und konnte die
Musik dort nicht ertragen und hab mir die Ohren zugehalten. Als ich das
später meinem Vater erzählt habe, erklärte er mir, dass es eine akustische
Foltermethode im Gefängnis war, Häftlinge mit Koransuren zu beschallen.
Das klingt unheimlich. Wenn man sich nicht bewusst erinnert und dann
plötzlich etwas aufkommt, was offenbar irgendwo im Körper abgespeichert
ist.
Ich hatte das Glück, dass ich mit meinem Stiefvater darüber sprechen konnte
und das genau sein Forschungsgebiet als Psychologe war. Er hat mir sogar
Texte gezeigt über Kinder von Schoah-Überlebenden, die szenische
Erinnerungen hatten von Erfahrungen der Eltern, die sie selbst gar nicht
erlebt haben. Plötzlich gab es eine Einbettung in die Forschung und das hat
es für mich verstehbarer gemacht. Es ist schon ein sehr interessantes Feld.
Auch diese ganze nonverbale Kommunikation.
Sie meinen das Schweigen?
Na ja, ich habe so viele Streitgespräche mit meinem Stiefvater darüber
geführt, weil ich es immer Schweigen genannt habe und er nannte es immer
„das vermeintliche Schweigen“. Und heute würde ich ihm recht geben. Weil
trotzdem gesprochen wird. Wir kommunizieren über so viele Kanäle, auch über
die „Leerstellen“.
Ihr Stiefvater ist selbst Kind von Holocaust-Überlebenden und beschäftigt
sich mit der Tradierung von Traumata. Und dann kommt er mit Ihrer Mutter
zusammen, die im Iran politisch inhaftiert war, Verhaltenstherapeutin wird,
aber nicht über ihre Vergangenheit sprechen kann. Kommt Ihnen das
eigentlich auch so unglaublich vor?
Jede Geschichte für sich ist eigentlich schon so unglaublich. Da fragt man
sich schon, wie das Leben Menschen zusammenführt und wo Liebe entstehen
kann. Einerseits ist es emotional berührend, aber ich kann mir auch
rational herleiten, dass Menschen, die vielleicht eine ähnliche Verwundung
haben, die beide etwas in sich tragen, dass so erschütternd ist, sich
beieinander aufgehoben fühlen.
Haben Sie sich denn vor der Panikattacke in Marokko gar nicht mit der Zeit
im Gefängnis auseinandergesetzt?
Doch, doch. Mein Vater und ich haben irgendwann angefangen, darüber zu
sprechen. Als ich 18 wurde, hat er mir seinen Asylantrag gegeben. Da waren
sehr explizite Folterbeschreibungen und Gefängniserfahrungen notiert.
Wie haben Sie das in dem Alter verkraftet?
Ich war komplett überfordert. Ich glaube aber, mein Vater hat sich auch
hilflos gefühlt. Wie vermittelt man seinem Kind das eigene Versehrtsein? Es
ist auch interessant, dass er mir diesen Antrag gegeben hat. Die Täter sind
immer noch an der Macht, vierzig Jahre nach dem, was ihm passiert ist. Es
hat keinerlei Anerkennung für diese Verbrechen gegeben. Dann belegt so ein
Dokument auch eine Zeugenschaft, die sagt: doch, es hat etwas
stattgefunden, wir hören dich.
Weil der Antrag das Unrecht dokumentiert, das ihm widerfahren ist?
Ich hätte es nie infrage gestellt, dass ihm das passiert ist, aber für ihn
muss das wichtig gewesen sein. Mich hat nur interessiert: Wie geht es dir
damit? Wie lebst du damit?
Und, wie lebt er damit?
Die Verstörung, die da stattgefunden hat, diese Erfahrung, verletzt und
entmenschlicht zu werden, nur weil man eine andere politische Überzeugung
hatte – damit zu leben ist natürlich schwierig, aber er meistert das
heldenhaft. Da gibt es auch einen Unterschied in den Generationen.
Wie meinen Sie das?
Die erste Generation kämpft oft mit Überlebensschuld. Es wurden so viele
Menschen in den Gefängnissen ermordet und mein Vater will sich nie mit
seiner Geschichte in den Vordergrund drängen. Das macht er ja auch in dem
Film nicht. Er spricht nicht über sich, sondern fühlt sich verpflichtet,
den anderen seine Stimme zu geben.
So wie Sie vielleicht auch anfangs nur hinter der Kamera stehen wollten?
Vielleicht. Ich musste aber auch Protagonistin werden, um dem Film eine
dramatische Struktur zu geben, es war das Heldenreisenprinzip. Also jemand
zieht los und macht sich auf die Suche, damit sich der Zuschauer
identifizieren kann. Bei der Überlebensschuld gibt es aber dieses
psychologische Phänomen. Wenn Überlebende sich als Sprachrohr verstehen und
die Geschichten der anderen erzählen, ist das vielleicht auch ein Versuch,
das eigene Trauma zu relativieren.
Ihr Vater zeigt im Film ein Handtuch, das er aus dem Gefängnis mitgenommen
hat und unter seinem Bett aufbewahrt. Er erzählt, dass Gefangene alle ein
Handtuch hatten und dass es weitergegeben wurde, sobald jemand gehängt
wurde. Er war der dritte, der es benutzte. Kannten Sie dieses Handtuch
schon vor der Filmrecherche?
Ja, weil wir immer wieder über diese Zeit gesprochen haben. Oft wurden
diese Gespräche ausgelöst durch Geschichten oder Filme, die von anderen
Entrechtungen erzählt haben. Er sprach immer mit dem Vorbehalt, mich nicht
verletzen zu wollen und zu belasten. Aber er wusste: es hat eine Bedeutung,
es muss erzählt werden. Vielleicht hat er sich verpflichtet gefühlt, mir
meine Fragen zu beantworten. Ich habe so erfahren, wie Freunde von ihm
ermordet wurden oder wie die Gefängniszellen aussahen. Ich wollte das alles
bewahren. Ich hatte Angst, wenn meinem Vater etwas passiert, dann ist diese
Erinnerung verschwunden.
Der Film war also Produkt eines sehr langen Prozesses?
Ja, es hat sich über mein Leben gezogen. Es waren immer kleine
Mosaiksteine, die dazukamen. Mir wurde irgendwann klar, es ist nicht nur
die Geschichte meiner Eltern und mir. In diesem Film sollen Leerstellen von
anderen mit gefüllt werden und dadurch ist es auch nicht mehr die
Geschichte einer Person, sondern von uns allen.
War das Filmprojekt für Sie auch eine Form von Aufarbeitung?
Was mir wichtig ist: Ich wollte nichts verarbeiten. Ich habe jahrelang
Psychoanalyse gemacht. Es ging mir nicht darum, den Film zu nutzen, um in
meiner Selbstfindung weiterzukommen oder mich meiner Mutter zu nähern. Mir
ging es um die Frage: Wo ist die persönliche Geschichte auch eine
kollektive Geschichte? Wo sind die Konsequenzen eines persönlichen Traumas
eigentlich auch ein gesellschaftliches Trauma?
Also ein politischer Akt?
Ja. Diese Dokumentation ist auch mein Akt des Widerstandes gegenüber dem
Regime. Alle, die daran gearbeitet haben, ermöglichen, dass das, was in
Evin stattgefunden hat, nicht im Privaten bleibt. Die Folterstrategien
sollten den Menschen im Persönlichen brechen und ideologisch so umerziehen,
dass das Individuum ausgelöscht wird. Ich möchte mit diesem Film dieser
Ideologie die Individualität meiner Protagonisten entgegenhalten – ihre
Würde zeigen, die Schönheit ihrer Menschlichkeit. Neben meinen Eltern
erzählen viele ihre Geschichte. Ich wollte zeigen, was aus ihnen geworden
ist und wie viel Licht sie aus dem Dunkel getragen haben.
Ich fand es schon als unbeteiligte Zuschauerin sehr schwer, diesen Film
auszuhalten. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das für Sie gewesen
sein muss, sich all diese Geschichten anzuhören.
Es gibt ja auch im Film den Punkt, wo ich aufgeben will. Einerseits waren
meine Kapazitäten in manchen Momenten völlig erschöpft, andererseits hatte
ich das Gefühl, es gibt kein Zurück mehr.
Wie sind Sie vorgegangen, klar strukturiert oder eher intuitiv?
Klar strukturiert. Ich stand ja vor und hinter der Kamera und habe
gleichzeitig Dinge erfahren, die ich vorher nicht wusste. Wir haben 120
Stunden Material gesammelt. Diese Arbeit hat unser Team so oft an die
Grenzen des Aushaltbaren gebracht. Nicht nur die expliziten
Folterbeschreibungen, die wir uns stundenlang anhören mussten, waren
unerträglich. Auch die Situationen mit Personen, die nichts sagen – oder
besser – die vermeintlich nichts sagen, konnten wir kaum aushalten. Der
Tonmann hat mir einmal geschrieben, dass er fix und fertig ist, weil er die
ganze Zeit nur das Knirschen der Zähne gehört hat.
„Born in Evin“ ist Ihr Debütfilm als Regisseurin – vorher waren Sie vor
allem als Schauspielerin bekannt. War es so, dass Sie neben diesem Projekt
auch zusätzlich noch geschauspielert haben?
Also die Auseinandersetzung mit diesem Thema hatte drei Outputs, ich habe
das Theaterstück „Kluge Gefühle“ geschrieben und beim Theaterprojekt
„Denials“ am Maxim Gorki Theater mitgemacht. Daneben habe ich dann die
zweite Staffel von „4 Blocks“ gedreht und einen „Polizeiruf“ gemacht.
Ich stelle mir das skurril vor, zwischen dieser Dokumentation und dem
Schauspiel zu wechseln.
Ich weiß auch nicht, wie ich das gemacht habe. Ich habe mich extrem
überlastet gefühlt in dieser Zeit. Aber gleichzeitig hat mir das
Schauspielern auch eine Distanz zu mir und meiner Geschichte erlaubt.
Würden Sie sagen, Sie sind Schauspielerin geworden, um sich nicht mit der
eigenen Geschichte auseinandersetzen zu müssen?
Ich sage es ja in dem Film selbst, dass ich mich lange hinter den
Geschichten der anderen versteckt habe. Gleichzeitig hatte ich immer einen
großen Respekt vor diesem Beruf. Es ist eine Kunst, die uns erlaubt, viele
zu sein. Uns in andere Herkünfte, Berufe, Gedanken, die nichts mit uns zu
tun haben, hineinzufühlen. Dadurch können wir uns erweitern. Und das ist
doch letztendlich das Wunderbare an jeder Form von Kunst, uns im anderen
wiederzuerkennen.
23 Oct 2019
## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
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