# taz.de -- Prozess um versuchten Femizid: Das Unerklärliche erklären | |
> Vor Gericht versucht ein Mann in Hamburg zu erklären, warum er seine Frau | |
> würgte und dabei fast tötete. Er spricht von „verletzten Gefühlen“. | |
Bild: Tränen der Wut: Protest gegen Femizide | |
HAMBURG taz | Wie erklärt man etwas so Unerklärliches – dass man versucht | |
hat, seine Ehefrau zu erwürgen? Thomas P., der in Hamburg [1][wegen | |
versuchten Mordes und 57 weiteren Taten] vor dem Landgericht steht, | |
versucht es mit verletzten Gefühlen: „Ich befürchtete, nicht mehr in ihr | |
Leben zu passen, weil sie sich in anderen Kreisen bewegte“, „Ich hatte das | |
Gefühl, ausgeschlossen zu sein“, „Ich fühlte mich rausgeschmissen“. | |
Dem 40-Jährigen wird vorgeworfen, im Mai seine zu diesem Zeitpunkt in | |
Scheidung lebende Ehefrau in der ehemals gemeinsamen Wohnung in Wandsbek | |
auf das Bett geworfen und gewürgt zu haben. Sie habe sich mit Kräften | |
gewehrt, geschrien und ihn in die Finger gebissen. Daraufhin habe er kurz | |
von ihr abgelassen, um das Schlafzimmerfenster zu schließen. | |
Anschließend soll er sie auf dem Boden mit Kabelbindern gewürgt haben, bis | |
sie bewusstlos wurde und blau anlief. Daraufhin sei P. aus der Wohnung | |
gelaufen, habe die Polizei und den Rettungsdienst gerufen und sich auf | |
einer Polizeiwache gestellt. Seine ehemalige Frau war bei Eintreffen der | |
Rettungskräfte bewusstlos und schwebte in Lebensgefahr, hat aber überlebt. | |
Am dritten Verhandlungstermin verlas die Anwältin P.s eine halbstündige | |
Aussage. P. beschreibt darin, wie sich das Verhältnis zu seiner damaligen | |
Frau verschlechterte, während sie auf der Arbeit Anerkennung fand und | |
befördert wurde, aber meist erschöpft nach Hause gekommen sei. | |
## Der Angeklagte räumte 57 Taten ein | |
[2][Neid und gekränkter Narzissmus] sprechen aus seinen Zeilen. P. nennt es | |
„Eifersucht“. „Ich war wohl ungerecht, weil ich ihr zwar den Erfolg gönn… | |
aber auch eifersüchtig war, dass sie auf der Arbeit Erfüllung fand und zu | |
Hause nur die Erschöpfung teilte“, sagt er. Er habe versucht, ihr eine | |
Freude zu machen, indem er sie zu gemeinsamen Abenden oder Urlauben | |
ermunterte, aber ihre Freude sei ihm größer erschienen, wenn sie sich mit | |
Freundinnen getroffen habe. | |
Als sie immer öfter und heftiger stritten, habe sie die Scheidung in die | |
Wege geleitet. Er sei in eine Wohnung in der Nähe gezogen, aber weiterhin | |
zum Wäschewaschen vorbeigekommen, und um die Kinder zu sehen. | |
P. betont, wie gern er die Beziehung gerettet hätte und wie unerreichbar | |
seine Exfrau für ihn in dieser Zeit gewesen sei. Wozu er nichts sagt, ist | |
die Motivation, aus der heraus er sie 57-mal, über den Zeitraum eines | |
Jahres hinweg, heimlich mit dem Handy durch das Badezimmer-Schlüsselloch | |
[3][filmte und dabei auf ihren Vaginalbereich zoomte], während sie duschte. | |
In seiner Aussage räumte er diese Taten ein, ohne ein weiteres Wort darüber | |
zu verlieren. Auf Nachfrage des Richters ließ er über seine Anwältin | |
klarstellen, die Aufnahmen seien für seinen „privaten Gebrauch“ und nicht | |
zur Veröffentlichung bestimmt gewesen – anders als gewisse Nacktfotos, mit | |
deren Veröffentlichung er ihr nach eigener Aussage bei Streitereien gedroht | |
habe. Die Drohung habe ihm das Gefühl gegeben, ihr Verhalten beeinflussen | |
zu können. | |
## Im Ego gekränkt und im Besitzanspruch verletzt | |
Die Erklärung des Angeklagten klingt exemplarisch für einen der | |
[4][zahlreichen Fälle von Femizid oder versuchtem Femizid in Deutschland], | |
die der Polizei täglich gemeldet werden: Ein hoch narzistischer Mann sieht | |
seine Bedeutung im Leben seiner Partnerin schwinden. Ihre Unabhängigkeit | |
verletzt sein Ego und seinen Besitzanspruch, den er ihr gegenüber zu haben | |
glaubt. Als er merkt, dass er ihre Autonomie nicht verhindern kann, | |
versucht er, dennoch auf ihre Sexualität zuzugreifen und sie schließlich zu | |
töten. | |
So kann es in dem Fall von Thomas P. gewesen sein. Es kann auch ganz anders | |
gewesen sein. Bislang räumte der Angeklagte lediglich ein, was nicht mehr | |
zu leugnen war. Viele Fragen sind noch offen, wie die nach dem genauen | |
Ablauf dessen, was P. als „Gerangel“ beschreibt und die Staatsanwaltschaft | |
einen Mordversuch nennt. Auch ob, und wenn ja, wie genau die Kabelbinder | |
dabei als Tatwerkzeug zum Einsatz kamen, muss die Beweisaufnahme noch | |
klären. Die Termine der Hauptverhandlung sind bis Februar angesetzt. | |
9 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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