# taz.de -- Prozess um versuchten Femizid: Wie jeden Tag in Deutschland | |
> Bei Femiziden ist der Täter häufig der Partner oder Ex-Partner der Frau. | |
> In Hamburg starten zwei Prozesse, deren Tathergang sich erschreckend | |
> ähnelt. | |
Bild: Der Täter filmte sein Opfer 57 Mal heimlich durch das Schlüsselloch bei… | |
Hamburg taz | Einerseits ist es Zufall, gleichzeitig aber auch nicht: In | |
Hamburg starteten mit Beginn dieser Woche gleich zwei Prozesse am | |
Strafgericht, in denen jeweils ein Mann versucht haben soll, seine | |
Ex-Partnerin mit Kabelbindern zu ermorden. Der Zufall daran ist, dass sich | |
die Prozesse ähneln: Beide mutmaßlichen Täter sind des versuchten Mordes | |
angeklagt, beide benutzten Kabelbinder als Werkzeug und in beiden Fällen | |
überlebte die Frau. | |
Doch auf den zweiten Blick ist das alles andere als ein Zufall: Schließlich | |
stirbt statistisch gesehen an jedem dritten Tag in Deutschland eine Frau | |
durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. [1][Jeden einzelnen Tag | |
registriert die Polizei einen Tötungsversuch an einer Frau]. Auch wenn | |
längst nicht alle Täter vor Gericht landen, finden sich auf den | |
Terminrollen der Staatsanwaltschaften zahlreiche Verfahren wegen versuchten | |
oder vollendeten Femizids. | |
Der Angeklagte Thomas P. wird am Montag aus der Untersuchungshaft in den | |
Gerichtssaal geführt. Er hält sich eine Mappe vor das Gesicht, als die | |
Fotograf*innen Bilder machen, anschließend verdeckt ein | |
Mund-Nase-Schutz seinen Gesichtsausdruck zum Teil. Erklären wird er sich | |
heute nicht, aber eine Regung wird er später noch zeigen. | |
Die Staatsanwältin liest die Anklage vor: P. soll seine damalige Partnerin | |
57 Mal heimlich mit seinem Handy durch das Schlüsselloch des Badezimmers | |
ihrer gemeinsamen Wohnung gefilmt haben, während sie duschte. Dabei soll er | |
den Fokus auf ihren Vaginalbereich gerichtet haben. Über fast zwei Jahre | |
habe er damit [2][tief in die Persönlichkeitsrechte der Geschädigten | |
eingegriffen und sie in ihrem intimsten Lebensbereich verletzt.] Auf jede | |
der 57 Einzeltaten steht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder | |
eine Geldstrafe. | |
## Im männlichen Besitzanspruch verletzt | |
Die 58. Tat ereignete sich im Mai: Die Geschädigte, die dem Prozess nicht | |
beiwohnt, sich aber als Nebenklägerin durch eine Anwältin vertreten lässt, | |
habe gegenüber P. verkündet, sie wolle sich scheiden lassen, er solle seine | |
Sachen packen und die Wohnung verlassen. P., der sich nach den Worten der | |
Staatsanwältin „in seinem Macht- und Besitzanspruch verletzt“ gesehen habe, | |
habe ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen, sich über sie gekniet und | |
sie gewürgt. Sie habe sich gewehrt, geschrien und in seine Hände gebissen. | |
Damit die Nachbarn nichts hörten, habe P. von ihr abgelassen und das | |
Schlafzimmerfenster geschlossen. Dann habe er sich auf ihren Brustkorb | |
gesetzt und sie mit zusammengebundenen Kabelbindern gewürgt, bis sie das | |
Bewusstsein verlor. „Er glaubte, sie getötet zu haben und verließ die | |
Wohnung“, sagt die Staatsanwältin. Auf [3][versuchten Mord in Tateinheit | |
mit gefährlicher Körperverletzung] steht eine lebenslange Haftstrafe. | |
Als der vorsitzende Richter mit der Beweiserhebung beginnt, spielt er die | |
Aufnahmen von drei Notrufen vor, die kurz nach der Tat bei Polizei und | |
Feuerwehr eingingen – zwei von P. selbst, einen von seinem Vater. „Meine | |
Frau kriegt keine Luft“, sagt P. am Telefon. Auf die Frage des Polizisten, | |
ob die Geschädigte noch ansprechbar sei, sagt er: „Sie ist blau.“ | |
Als Polizei und Rettungskräfte eintreffen, finden sie die Frau mit schwerem | |
Sauerstoffmangel in akuter Lebensgefahr vor. Den Sanitäter*innen | |
gelingt es, die Frau zu stabilisieren. Laut ihrer Anwältin trägt sie keine | |
bleibenden Hirnschäden davon. | |
## Warum rief der Angeklagte selbst die Polizei? | |
Vieles könnte sich in dem bis Februar terminierten Verfahren um die von P. | |
abgesetzten Notrufe drehen. Der Vorwurf des versuchten Mordes kann gekippt | |
werden, wenn ein Täter während der Tat einen „strafbefreienden Rücktritt“ | |
unternimmt, indem er seinen Versuch selbst torpediert, etwa durch einen | |
Notruf. | |
Dann blieben in diesem Fall „nur noch“ die Vorwürfe der gefährlichen | |
Körperverletzung und des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte. Dafür, | |
dass der Angeklagte versuchen wird, in diese Richtung zu argumentieren, | |
spricht, dass P. Emotionen zeigt, als die Notrufe eingespielt werden: Er | |
senkt den Kopf, stützt die Stirn auf die Hand, fasst sich auf die | |
geschlossenen Augen, wie um Tränen zu unterdrücken. Für den nächsten Termin | |
in der kommenden Woche hat seine Verteidigerin eine Erklärung seinerseits | |
angekündigt. | |
29 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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