# taz.de -- Verständnis für versuchten Femizid: Fast tödlich gekränkt | |
> Thomas P., der um ein Haar seine Ex-Frau umbrachte, sei wegen der | |
> Trennung verzweifelt gewesen, sagt seine Verteidigerin. Das sei | |
> nachvollziehbar. | |
Bild: Maja P. (rechts) überlebte den Angriff ihres Ex-Mannes und tritt als Neb… | |
HAMBURG taz | War es versuchter Mord? Oder versuchter Totschlag? Oder doch | |
„nur“ gefährliche Körperverletzung? Im Fall von Thomas P., der seit Ende | |
November in Hamburg vor Gericht steht, gehen die Meinungen der | |
Staatsanwaltschaft und der Verteidigung in diesem Punkt auseinander. Fest | |
steht aber: [1][Um ein Haar hätte P. seine Ex-Frau umgebracht.] Er schlug | |
sie, kniete auf ihr und würgte sie bis zur Bewusstlosigkeit. | |
Notfallsanitäter*innen retteten ihr Leben. | |
An einem Sonntag im Mai war P. mit seiner ehemaligen Partnerin Maja P. | |
(Name geändert) auf Verabredung in die ehemals geteilte Wohnung gekommen, | |
um die letzten Sachen abzuholen, die er dort noch hatte. Dem vorausgegangen | |
waren 20 Jahre Ehe, von denen die letzten fünf [2][durch Kontrollzwang und | |
Psychoterror geprägt] gewesen waren, den P. auf seine Frau ausübte. | |
Seit Maja P. sich beruflich weiterbildete, in ihrem Job eine | |
Leitungsfunktion übernommen und sich von ihm emanzipiert hatte, warf er ihr | |
täglich vor, sich für etwas Besseres zu halten und keine Zeit mehr für die | |
Familie zu haben. Dabei lag die Kindererziehung samt Elternabenden und | |
Arztbesuchen komplett bei ihr. | |
P. rief sie täglich Dutzende Male auf dem Handy und bei der Arbeit an und | |
untersagte ihr, sich zu schminken und schick anzuziehen. So sagte Maja P. | |
es vor Gericht aus und so bestätigt es die Auswertung ihres Handys, auf dem | |
die Ermittler*innen über 5.250 Whatsapp-Nachrichten und | |
anderthalbtausend eingegangene Anrufe von Thomas P. innerhalb von fünf | |
Monaten fanden. | |
## Durchs Schlüsselloch gefilmt | |
57 Mal filmte er sie zudem zu Hause beim Duschen und auf der Toilette durch | |
das Schlüsselloch der Badezimmertür. Als sie sagte, sie wolle sich trennen | |
– nachdem er eine Therapie abgebrochen hatte, zu der sie ihn gedrängt hatte | |
–, drohte er mehrfach, ihrem Chef heimlich aufgenommene Nacktbilder zu | |
schicken. | |
Obwohl P. die Taten vor dem Gericht weitestgehend einräumte, kommt es jetzt | |
auf die Details an – vor allem auf die Frage, ob P. vorsätzlich und aus | |
niedrigen Beweggründen handelte. Für das Strafmaß macht es einen großen | |
Unterschied, ob ihn die Verzweiflung trieb oder ob er aufgrund von Wut, | |
Rachsucht, Besitz- und Kontrollansprüchen handelte. | |
Am Tag der 58. Tat hatte Maja P. ihrem Ex-Partner die Wohnungstür geöffnet, | |
sie waren in die Küche gegangen und hatten sich dort ruhig unterhalten, | |
ohne zu streiten, bevor sie ihn ins Schlafzimmer schickte, damit er seine | |
Sachen nähme, die sie dort für ihn zusammengepackt hatte. Selbst ging sie | |
auf die Terrasse, um in der Sonne Kaffee zu trinken. | |
Allerdings fehlte ihr ein Polster für die Liege, und so ging sie ins | |
Schlafzimmer, um es aus dem Bettkasten zu holen. Als sie sich mit dem | |
Polster umdrehte, traf sie der Schlag aufs Jochbein. Sie fiel aufs Bett, P. | |
kniete sich auf sie und würgte sie. Sie wehrte sich, biss in seinen Finger, | |
schrie. Er ließ kurz von ihr ab, schloss das Fenster und schlug sie erneut | |
zu Boden. | |
Dort setzte er sich auf sie und würgte sie bis zur Bewusstlosigkeit. | |
Strittig ist, ob er sie anschließend mit Kabelbindern strangulierte. Die | |
Betroffene war da bereits bewusstlos, aber die Ärzt*innen fanden | |
Strangulationsspuren an ihrem Hals und die Polizei aneinandergebundene | |
Kabelbinder im Gebüsch vor dem Haus, an denen sich die DNA beider | |
Ex-Partner befand. Ein Zeuge hatte gesehen, wie P. die Kabelbinder in den | |
Busch warf. P. sagte im Prozess: „Ich habe keine Kabelbinder gegen meine | |
Frau eingesetzt.“ | |
Die Staatsanwältin führte am Mittwoch aus, warum sie sicher sei, dass P. in | |
der Nacht vor der Tat den Plan fasste, seine Ex-Frau zu ermorden, falls er | |
sie in einem letzten Gespräch nicht mehr für sich gewinnen könnte. Seinem | |
Cousin gegenüber habe er das per Sprachnachricht angekündigt und sich darin | |
auch mit den Folgen – einer Gefängnisstrafe – auseinandergesetzt. Die | |
Sprachnachrichten liegen dem Gericht vor. | |
Zudem habe P. in den Monaten der vielen Streitereien, Drohungen und | |
Kontrollversuche geäußert: „Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich | |
keiner haben.“ Auch habe er mehrfach ihr Auto manipuliert, etwa die Luft | |
aus den Reifen gelassen. Maja P. hatte einen Brief in ihrem Drucker | |
versteckt: | |
Für den Fall, dass sie verunglückte, wollte sie die Ermittler*innen | |
darauf hinweisen, dass [3][ihr Ex-Mann etwas damit zu tun haben könnte]. | |
Sie vernichtete den Brief erst, als Thomas P. in Untersuchungshaft saß. Die | |
Staatsanwältin forderte zehn Jahre und zehn Monate Haft. | |
Die Verteidigerin von P. plädierte für eine siebenjährige Haftstrafe. Dass | |
P. seine Ex-Frau habe töten wollen, sei nicht erwiesen, sagte sie, und | |
wertete den Angriff, den Maja P. nur knapp überlebte, als gefährliche | |
Körperverletzung. Ihr Mandant sei sehr gekränkt gewesen. | |
„Sind die Wut und Verzweiflung, die er spürte, als er sich auf sie stürzte, | |
wirklich die niedrigste Gesinnung, die wir uns vorstellen können?“, fragte | |
sie die Schöffen. „Oder ist es nicht nachvollziehbar, dass jemand in so | |
einer Situation so reagiert? Ich finde: ja.“ | |
## Nimm deine Sachen | |
Die Kränkung unmittelbar vor der Tat habe darin bestanden, dass Maja P. | |
gesagt hatte: „Nimm deine Sachen mit, sonst schmeiße ich sie weg.“ | |
Die letzten Worte vor der Urteilsverkündung überließ der Richter dem | |
Angeklagten. „Ich schäme mich für das, was passiert ist, und möchte mich | |
nochmals entschuldigen“, sagte dieser. „Ich schwöre, ich habe meine Familie | |
und Frau immer geliebt und wollte sie nicht verletzen.“ Das Urteil wird am | |
kommenden Donnerstag verkündet. | |
16 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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