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# taz.de -- Mildes Urteil nach versuchtem Femizid: Mordversuch unterbrochen
> Obwohl Thomas P. seine Ex-Partnerin fast zu Tode würgte, verurteilt das
> Gericht in Hamburg ihn nur wegen gefährlicher Körperverletzung.
Bild: 57 Mal filmte Thomas P. seine Ex-Partnerin beim Duschen und auf der Toile…
Hamburg taz | So hoch die verhängte Strafe für einen [1][versuchten
Femizid] auch sein mag – das Opfer bekommt immer lebenslang. Eine
unauslöschbare, traumatische Erinnerung, die häufig mit Angststörungen und
anderen schweren psychischen Folgen einhergeht. Darauf hatte die
Vertreterin der Nebenklage, Claudia Krüger, in ihrem Plädoyer hingewiesen.
Die Nebenklage führte die Betroffene selbst, die [2][den Angriff ihres
Ehemanns knapp überlebte]. Das Urteil ist für sie enttäuschend: Obwohl die
Staatsanwaltschaft zehn Jahre und zehn Monate Haft wegen versuchten Mordes
forderte, verurteilte das Schwurgericht den Täter Thomas P. am Donnerstag
lediglich zu sechs Jahren Haft wegen gefährlicher Körperverletzung und
Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Selbst P.s Verteidigerin hatte in
ihrem Plädoyer eine Strafe von sieben Jahren für angemessen erklärt.
P. hatte seine Ehefrau Maja P. (Name geändert) 57 Mal heimlich beim Duschen
und auf der Toilette durch das Schlüsselloch gefilmt. Obwohl er die
Aufnahmen „für den privaten Gebrauch“, wie er sagte, angefertigt hatte,
drohte er ihr mehrfach, die Bilder ihres Intimbereichs unter ihren
Arbeitskolleg*innen zu verbreiten.
Diese Taten hatte er vor Gericht zugegeben, und auch für die 58. Tat
bekannte er sich schuldig – obgleich er wesentliche Details anders
schilderte als die Betroffene. Ganz anders als diese beschrieb er auch die
letzten Jahre der zwanzigjährigen Ehe. Während Thomas P. sich immer mehr
von Maja P. zurückgesetzt gefühlt habe, weil sie Erfolg im Job hatte,
beschrieb sie ein Martyrium von Eifersucht, Kontrollzwang und regelrechtem
Stalking.
Täglich rief er sie Dutzende Male auf der Arbeit an, sendete ihr
Whatsapp-Nachrichten, verlangte, dass sie sich abmeldete, wenn sie nicht
erreichbar sei, und verbot ihr, sich zu schminken. Permanent habe er ihr
vorgeworfen, sie halte sich aufgrund ihres beruflichen Erfolges für etwas
Besseres. Trotz allem bemühte sich Maja P. lange um die Ehe, drängte ihren
Mann in eine Therapie und versuchte, ihm entgegenzukommen. Als es nicht
mehr ging, er sie bereits einmal gewürgt und die Therapie abgebrochen
hatte, leitete sie die Scheidung ein.
## Notarzt-Anruf als „strafbefreiender Rücktritt“
An einem Sonntag im Mai sollte Thomas P. die letzten Sachen aus der Wohnung
holen. Er erschien pünktlich, wirkte ruhig und gefasst. Nach einem Gespräch
in der Küche ging er ins Schlafzimmer, sah die zusammengepackten Sachen,
schlug ihr ins Gesicht, setzte sich auf sie und würgte sie bis zur
Bewusstlosigkeit. Dann strangulierte er sie mit vier zusammengebundenen
Kabelbindern. Notfallsanitäter*innen retteten ihr Leben – er hatte
sie selbst gerufen.
„Zwar sind die Merkmale für einen Mordversuch gegeben“, sagte der Richter
bei der Urteilsverkündung. P. habe heimtückisch und aus niedrigen Motiven
gehandelt: [3][Eifersucht, Wut und ein Besitzanspruch gegenüber seiner
Ex-Partnerin] hätten ihn angetrieben. Er habe sie als Objekt betrachtet. Am
Abend vor der Tat hatte er seinem Cousin zudem Sprachnachrichten geschickt,
in denen er ankündigte, sie wahrscheinlich umzubringen und dafür ins
Gefängnis zu müssen.
Der Grund, warum die Kammer P. dennoch nur für gefährliche Körperverletzung
verurteilte, ist eine Rechtskonstruktion, die der Idee des Opferschutzes
entspringt. Wenn ein Täter seine Tat freiwillig abbricht und, etwa durch
einen Notruf, doch noch zur Rettung des Opfers beiträgt, gilt das als
„strafbefreiender Rücktritt“. Das sah die Kammer im vorliegenden Fall
gegeben. Eine Strafe wegen versuchten Mordes war damit vom Tisch.
Die Staatsanwaltschaft behält sich vor, in Revision zu gehen. Auch Claudia
Krüger kündigte an, für die Nebenklage Revision einzulegen. Krüger hält P.s
Rücktritt für nicht glaubwürdig. Der Grund dafür ist unter anderem die
Aussage von Thomas P.s Eltern: Als Maja P. mit blauem Gesicht, blutendem
Ohr und blutunterlaufenen Augen bewusstlos auf dem Boden lag, klingelten
sie Sturm. Sie wussten um die Verabredung ihres Sohnes und ihrer
Schwiegertochter und machten sich Sorgen.
Bevor P. die Tür öffnete, ging er ins Bad, wusch sich die Hände und empfing
seine Eltern mit den Worten: „Sie ist tot. Den Rettungswagen habe ich schon
gerufen.“ Erst dann verließ er die Wohnung, schmiss die Kabelbinder ins
Gebüsch, stieg in sein Auto, alarmierte den Notarzt und stellte sich der
Polizei.
25 Feb 2022
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## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Schwerpunkt Femizide
Gewalt gegen Frauen
häusliche Gewalt
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Femizide
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