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# taz.de -- Prozess gegen SS-Wachmann: Leugnen jeder Schuld
> Ein 101-Jähriger wird beschuldigt, im KZ Sachsenhausen gearbeitet zu
> haben. Trotz belastender Dokumente bestreitet er das vor Gericht.
Bild: Der angeklagte ehemalige KZ-Wachmann kommt in den Gerichtssaal in Branden…
Brandenburg an der Havel taz | Im Prozess in Brandenburg an der Havel gegen
einen ehemaligen SS-Mann hat der Angeklagte am Donnerstag erklärt, er sei
[1][weder Mitglied der SS noch Angehöriger der Wachmannschaften des KZ
Sachsenhausen] gewesen. Stattdessen will er in der fraglichen Zeit als
Knecht bei Bauern tätig gewesen sein.
Josef S. ist der Beihilfe [2][zum Mord in mindestens 3.518 Fällen
angeklagt,] begangen zwischen Januar 1942 und Februar 1945. Dokumente
weisen darauf hin, dass er dabei mehrfach, wie damals durchaus üblich, in
andere Kompanien versetzt wurde und vom SS-Sturmmann zum SS-Rottenführer
aufstieg.
## Präsentation eines harmlosen Lebensweges
In der fraglichen Zeit kam es unter anderem zu Massenerschießungen von
sowjetischen Kriegsgefangenen. Tausende weitere Gefangene fielen einer
Fleckfieber-Epidemie zum Opfer, starben aufgrund der lebensfeindlichen
Bedingungen oder wurden mit dem Giftgas Zyklon B ermordet.
Der heute 101-jährige Angeklagte Josef S., der bis zum Donnerstag Aussagen
über seinen Lebensweg während des Zweiten Weltkriegs verweigert hatte, will
indes mit all dem nichts zu tun gehabt haben. Er präsentierte dem in einer
Turnhalte in Brandenburg tagenden Landgericht Neuruppin einen gänzlich
harmlosen Lebensweg während des Zweiten Weltkriegs.
Demnach habe er nach seiner Einwanderung aus Litauen ins Deutsche Reich
nach dem Aufenthalt in einem Umsiedlungslager zunächst bei einer kleinen
Firma gearbeitet, die für die Wehrmacht tätig gewesen sei. Danach will S.
in zwei verschiedenen Bauernhöfen als Arbeiter tätig gewesen sein, zuletzt
in Pasewalk, bevor er kurz vor der Befreiung zum Fronteinsatz befohlen
wurde, dort aber auch nur Schützengräben ausheben durfte und nicht einmal
eine Waffe erhielt.
## Etliche Dokumente bestätigen SS-Tätigkeit
Der rüstig wirkende Angeklagte wurde bei seinen in ostpreußischem Akzent
vorgetragenen Ausführungen von seinem Anwalt unterstützt, verhedderte sich
bei Nachfragen aber regelmäßig zwischen seiner angeblichen Zeit als Soldat
in der litauischen Armee vor 1941 und seiner Gefangennahme durch die
Sowjets 1945.
Freilich liegen dem Gericht etliche Dokument vor, aus denen die Dienstzeit
von Josef S. in Sachsenhausen und seine Tätigkeit als SS-Wachmann
hervorgeht. Dazu zählen etwa Listen von SS-Kompanien [3][in Sachsenhausen],
in denen Name und Geburtsdatum von Josef S. genannt sind. Zudem führte
Richter Udo Lechtermann die Antwort der Deutschen Rentenversicherung an das
Gericht in den Prozess ein, die ebenfalls darauf hinweist, dass S. sich
eine „Scheinwelt“ aufgebaut hat, wie es Nebenkläger-Anwalt Thomas Walter
nennt.
Die Antwort der Rentenversicherung beinhaltet nämlich auch einen von ihm
unterschriebenen Lebenslauf aus dem Jahr 1985 in der DDR, aus dem
hervorgeht, dass er vom September 1940 bis zum Mai 1945 im „Wehr- und
Kriegsdienst“ gestanden habe. Zudem finden sich dort schlüssige Angaben
über seine Schulentlassung und seine ersten Arbeitsschritte im elterlichen
Betrieb.
Warum dieser Lebenslauf etwas ganz anderes aussagt als seine Erklärung vor
Gericht, vermochte Josef S. nicht schlüssig zu erklären. Richter
Lechtermann meinte schließlich zu seiner Aussage: „Das wird mir immer
zweifelhafter.“ Der Exekutivpräsident des [4][Internationalen
Auschwitz-Komitees], Christoph Heubner, kommentierte dies so: „Das ist das
Elend der Nachkriegsjustiz: Nichts gehört, nichts gewusst, nicht dabei
gewesen.“ Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.
2 Dec 2021
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-KZ-Wachmann/!5817969
[2] /Prozess-gegen-SS-Wachmann/!5806904
[3] /Gedenkstaettenleiter-ueber-NS-Erinnerung/!5494043
[4] /Zu-wenige-Prozesse-gegen-Nazis/!5752123
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
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