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# taz.de -- Streit um Straßennamen in Oranienburg: Erinnerungswerter Name?
> Ein Opfer kann sich auch mit Tätern gemein machen. Im Streit über die
> Gisela-Gneist-Straße hält Kommission aber am umstrittenen Namen fest.
Bild: Gedenkstätte für das „Speziallager Nr. 7“ in Sachsenhausen
Kurz vor dem Internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar, dem Tag der
Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz 1945, sorgt die Stadt
Oranienburg durch ihr Festhalten an einer erinnerungspolitisch fragwürdigen
Namensgebung erneut für Schlagzeilen. Vor knapp einer Woche entschied die
Straßenbenennungskommission, an der umstrittenen Gisela-Gneist-Straße
festzuhalten – ungeachtet eines Gutachtens, das im Dezember vorgestellt
wurde und der 2007 Verstorbenen antisemitische und NS-Verbrechen
relativierende Äußerungen nachweist. Der Präsident des Zentralrats der
Juden, Josef Schuster, kritisierte die Entscheidung. „Alle Beteiligten
sollten sich noch einmal zusammensetzen, um offen und sachlich über
alternative Namensgeber zu diskutieren“, sagte er dem Tagesspiegel.
Im Konzentrationslager Sachsenhausen, benannt nach einem Dorf, das 1974
nach Oranienburg eingemeindet wurde, hatten die Nationalsozialisten rund
200.000 Menschen inhaftiert, Zehntausende wurden ermordet. Nach dem Krieg
unterhielten die Sowjets dort das Speziallager Nr. 7, in dem
NS-Funktionäre, aber auch Gegner der Besatzungsmacht und Unschuldige
eingesperrt waren. Knapp ein Viertel der 60.000 Häftlinge starb an Hunger
und Krankheiten. Als ehemalige Inhaftierte des Speziallagers und
Vorsitzende des Opferverbands dieser Gruppe engagierte sich Gneist nach der
Wende für deren Rehabilitierung. 2006 bekam sie dafür das
Bundesverdienstkreuz.
## Neubauten auf KZ-Gelände
Im Sommer 2020 entschied die Oranienburger Stadtverordnetenversammlung über
Namen für acht Straßen in einem Neubaugebiet namens Aderluch. Das Gelände
war seit 1942 eine Außenstelle des KZ Sachsenhausen, dort mussten in einem
Zweigwerk der Zeppelin GmbH bis zu 700 Häftling unter schwersten
Bedingungen Zwangsarbeit leisten. Die Forderung der Gedenkstätte
Sachsenhausen, die neuen Straßen ausschließlich nach Opfern des KZ zu
benennen, ignorierten die PolitikerInnen: Nur ein Name verweist auf diese
Opfergruppe, neben anderen – unstrittigen – Namen von Frauen der
Stadtgeschichte wurde auch Gneist geehrt. Hauptargument: Der Opfergruppe
des Speziallagers sei bislang im Straßenbild nicht gedacht worden.
Als [1][Proteste, unter anderem vom Internationalen Sachsenhausen-Kommittee
der KZ-Opfer und ihrer Nachfahren], nichts fruchteten, gab die Gedenkstätte
beim Institut für Zeitgeschichte ein Gutachten in Auftrag. [2][Dieses kam
zu dem Schluss], dass Gneist sich beim Engagement für „ihre“ Opfergruppe
„jeder differenzierten Diskussion um die Vergangenheit eines Teils der
Inhaftierten“ verweigerte, so die Historiker Frank Bajohr und Hermann
Wentke. Zudem habe sie keine Berühungsängste mit Personen „am rechten und
rechtsextremen Rand des politischen Spektrums“ gezeigt. Unter anderem
unterschrieb sie 2005 den Aufruf des neurechten Publizisten Götz Kubitschek
„Gegen das Vergessen“, der die Deutschen vor allem als Opfer des Krieges
darstellte.
In der Debatte der Nachwendezeit über eine adäquate Erinnerungspolitik für
beide Opfergruppen (NS und Stalinismus) griff sie den damaligen
Gedenkstättenleiter Sachsenhausen, Günter Morsch, mit verkappt
antisemitischen Untertönen an. Dieser werde „keine Gelegenheit auslassen,
um sich gegenüber dem Zentralrat der Juden und den jüdischen Opferverbänden
ins rechte Licht zu setzen, um sich deren Wohlwollen zu erkaufen“, zitiert
das Gutachten aus einem Brief von Gneist.
Angesichts dieser Erkenntnisse werde „eine Straßenbenennung nach Gisela
Gneist den historischen Gegebenheiten vor Ort nicht gerecht und ist aus
Sicht der Gedenkstättenstiftung falsch“, sagt nun Gedenkstättenleiter Axel
Decroll auf taz-Anfrage. „Personen, nach denen Straßen in einem solchen
Gebiet benannt werden, müssen gerade hinsichtlich ihrer Auseinandersetzung
mit der nationalsozialistischen Diktatur und ihren Verbrechen über jeden
Zweifel erhaben sein.“
Die Linkspartei kündete nach der Sitzung der Straßenbenennungskommission
an, einen Änderungsantrag für die Gneiststraße einzubringen. „Ob es in der
Stadtverordnetenversammlung eine Mehrheit für einen anderen Namen geben
wird, ist offen, andere Fraktionen bekräftigten, hinter dem früheren
Beschluss zu stehen“, teilte die Stadt mit.
23 Jan 2022
## LINKS
[1] /Streit-um-Strassennamen-in-Oranienburg/!5693852
[2] https://www.sachsenhausen-sbg.de/fileadmin/user_upload/Gedenkstaetten/Stift…
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
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