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# taz.de -- Analyse zu Umbenennungen in Hamburg: Täter auf dem Straßenschild
> Darf der Heidi-Kabel-Platz in Hamburg bleiben? Mit solchen Fragen
> beschäftigt sich der Abschlussbericht einer Kommission zur Umbenennung
> von Straßen.
Bild: Da steht sie, auf dem nach ihr benannten Platz: Heidi Kabel
Hamburg taz | Direkt hinter dem Hamburger Hauptbahnhof liegt er, der
Heidi-Kabel-Platz. Hier ist auch das Ohnsorg-Theater, [1][auf dessen Bühne
die Schauspielerin berühmt wurde]. Aber darf so ein zentraler Platz nach
einer Frau benannt sein, die Mitglied der NS-Frauenschaft war? Und gibt es
da einen Unterschied etwa zur Theodor-Heynemann-Straße in Langenhorn,
benannt nach einem Gynäkologen, der die Frauenklinik des
Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf leitete, als dort in der NS-Zeit
rund 2.000 Frauen zwangssterilisiert wurden?
Mit solchen Fragen hat sich die Hamburger Kommission für die Umbenennung
von möglicherweise durch die NS-Zeit belasteten Straßennamen beschäftigt
[2][und nun ihren Abschlussbericht vorgelegt.] Bereits 2017 beauftragte das
Hamburger Staatsarchiv den Historiker David Templin damit, eine
„Wissenschaftliche Untersuchung zur NS-Belastung von Straßennamen“
anzufertigen. In dieser Studie, die im Januar 2020 erschien, schlug Templin
eine Typologie vor, die helfen sollte, problematische Einzelfälle
miteinander zu vergleichen.
Im September 2020 berief die Hamburger Behörde für Kultur und Medien dann
eine achtköpfige Expert*innen-Kommission ein. Der veröffentlichte
Abschlussbericht empfiehlt anhand exemplarischer Beispiele nun drei
mögliche Vorgehensweisen: Die Umbenennung, die Wiederbenennung nach einem
Namen, den die Nationalsozialisten gestrichen haben, oder die kritische
Kontextualisierung.
## Tätern muss die Ehrung entzogen werden
[3][Eine Umbenennung empfehlen] die Historiker*innen bei elf Straßen
oder Plätzen. All die einst geehrten Personen haben sich nach Ansicht der
Kommission an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt, die Ideologie
des NS-Regimes vertreten oder propagiert und ihre Haltung auch nach 1945
nicht hinterfragt oder geändert.
Hierunter fällt etwa [4][der Gynäkologe Heynemann]. Er hat durch die
Zwangssterilisationen „bewusst die dauerhafte Schädigung von Menschen
herbeigeführt“, war ein Vertreter der Eugenik, also der Lehre von der
Verbesserung des biologischen Erbgutes, und setzte sich in „exponierter
Stellung“ für „die Umsetzung nationalsozialistischen Gedankenguts im
medizinischen Bereich ein“. So steht es im Bericht der Kommission.
Nach einem Täter benannt ist demnach auch die Julius-Brecht-Straße in
Osdorf: Der Namensgeber – seit 1937 Mitglied der NSDAP – war als Leiter von
Wohnungsunternehmen an der „Wohnraumarisierung“ beteiligt. Brecht, der nach
dem Krieg SPD-Mitglied wurde und seine Karriere ohne Bruch fortsetzen
konnte, forcierte in der NS-Zeit die „aktive Vertreibung jüdischer Bewohner
aus Genossenschaftswohnungen“. Auch hier empfiehlt die Kommission eine
Umbenennung.
Nicht immer soll ein komplett neuer Name her. In einigen Fällen haben die
Nationalsozialist*innen jüdische Namen von den Straßenschildern
getilgt. Die Kommission empfiehlt in drei Fällen, den Straßen und Plätzen
ihre früheren Namen zurückzugeben. Ein Beispiel dafür ist die nach dem
völkisch-nationalistischen Autor benannte Walter-Flex-Straße. Diese soll
nun wieder nach der Malerin und Pazifistin Käthe Kollwitz benannt werden.
Dies sei auch die Möglichkeit, ein „namentliches Unrecht“ wieder gut zu
machen, sagt Kommissionsmitglied Miriam Rürup vom Moses-Mendelssohn-Zentrum
für europäisch-jüdische Studien Potsdam.
Doch nicht alle Menschen, die einst über einen NSDAP-Mitgliedsausweis
verfügt haben, sollen automatisch von den Straßenschildern im Hamburger
Stadtbild weichen. So heißt es im Abschlussbericht, dass Personen, die nach
dem Krieg ihre eigene Tätigkeit im NS-Regime kritisch reflektiert und sich
von der faschistischen Ideologie distanziert haben, weiterhin
Namensgeber*innen sein können. In solchen Fällen müsse die Stadt aber
für eine informative Kontextualisierung sorgen. Ein Schild unter dem Schild
also – mit ausführlichem Erklärtext.
## Heidi Kabel reflektierte ihr Verhalten
Heidi Kabel ist so ein Fall. Die Kommission schreibt über die
Schauspielerin: „Kabel hat sich in ihrer 1979 erschienenen Autobiografie
‚Manchmal war es nicht zum Lachen‘ selbstkritisch mit ihrem Handeln in der
NS-Zeit auseinandergesetzt.“ Sie habe etwa geschrieben, dass sie ihren Mann
überredet habe, dass dieser in die NSDAP eintrete, damit er bessere Chancen
bei einer Bewerbung für eine Intendantenstelle in Lüneburg habe. Das soll,
wenn es nach den Historiker*innen geht, bald schon auf einer
Hinweistafel stehen. In zehn weiteren Fällen soll es so eine
Kontextualisierung geben.
Die Diskussion über belastete Straßennamen sei mit dem Kommissionsbericht
nicht abgeschlossen, sagte Kultursenator Carsten Brosda (SPD) bei der
Vorstellung des Abschlussberichts. Er versprach, dass es zu
Namensänderungen kommen werde. Einen Beschluss gibt es dazu allerdings noch
nicht.
Die von den Namensänderungen betroffenen Bezirke müssen Namensvorschläge
ausarbeiten. Diese werden vom Staatsarchiv geprüft und letztlich von der
Senatskommission zur Benennung von Verkehrsflächen beschlossen. Senator
Brosda hofft, dass genau diese breite Auseinandersetzung durch das Einholen
von Mehrheiten im Bezirk „zu einer profunderen Auseinandersetzung mit den
Verbrechen unserer eigenen Vergangenheit und hoffentlich auch den
notwendigen Schlussfolgerungen für Gegenwart und Zukunft“ führen kann.
12 Mar 2022
## LINKS
[1] /Schauspielerin-Heidi-Kabel-gestorben/!5140950
[2] https://www.hamburg.de/contentblob/15965308/8ee2e6d28dbd23e8df84bf75ceabda9…
[3] /Erinnerung-an-die-Sedan-Schlacht-1870/!5738754
[4] /Kritisches-Geschichtsbewusstsein/!5476107
## AUTOREN
Lenard Brar Manthey Rojas
## TAGS
Straßenumbenennung
NS-Straftäter
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Ehrung
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