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# taz.de -- Straßen umbenennen: Tote Männer haben es gut in Hamburg
> Es gibt einen massiven Überhang männlicher Repräsentanz im Hamburger
> Stadtbild. Überraschend ist das nicht, dass sich das nicht ändert, aber
> schon.
Bild: Es ist ein Rudolf!
Tote Männer haben es gut in Hamburg. Stand Oktober 2023 zieren ihre Namen
85,9 Prozent der nach Personen benannten Straßen. [1][Mit etwas Glück
bekommen sie nach dem Ableben sogar eine eigene Promenade.]
Der letzte Glückliche war in diesem Jahr „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstei…
Pünktlich zum hypothetischen 100. Geburtstag am 5. November benannte die
Stadt die Ericuspromenade am Verlagshaus des Spiegel nach dem alten
Augstein. Dass der schon 20 Jahre vor Faschist Björn Höcke das Denkmal für
die ermordeten Juden Europas als „Schandmahl“ bezeichnet hatte, das „gegen
die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet
ist“ (Der Spiegel 49/1998) – geschenkt!
Für Diskussionen ist keine Zeit, es gibt ja noch mehr Promenaden zu
benennen. Was ist etwa mit diesem 155 Meter langen Abschnitt zwischen
Adolphsbrücke und dem Neuen Wall 75 in bester Innenstadtlage, der könnte
auch mal einen anständigen Namen gebrauchen.
Wer könnte sich da besser eignen als der 2019 verstorbene Designer und
gebürtige Hamburger Karl Lagerfeld. Schließlich ging der direkt um die Ecke
immer so gerne einkaufen. Das dachte sich offenbar die Bezirksversammlung
Hamburg-Mitte, als sie einem Antrag von SPD, CDU und FDP für die Benennung
zustimmte. Im Februar 2024 soll es soweit sein. Dann hat auch Karl eine
eigene Promenade, „das hätte ihn bestimmt gefreut“, ist sich der NDR
sicher.
Dass Lagerfeld 2018 im Zuge von [2][#MeToo] in der Modebranche am meisten
schockierte, dass betroffene Frauen „20 Jahre gebraucht haben, um sich zu
erinnern, was passiert ist“ … sei's drum. Dass Hamburg überhaupt Orte nach
Männern benennt, mal unabhängig von der Frage, ob es sich bei diesen um
Antisemiten oder Sexisten handelt – ist das nicht alleine schon die
Aufregung wert? Verstößt die Stadt damit doch gegen das, was ihr Senat sich
2013 selber vorgenommen hat: mehr Geschlechtergerechtigkeit im Stadtplan
verwirklichen und darin vor allem nicht-männliche Personen sichtbar machen.
Aber hey, Promenaden brauchen Namen und immerhin waren Karl und Augstein
richtige Menschen und keine Märchengestalten. Hä, Märchen?
## Fabelwesen und Märchenfiguren
Sie erinnern sich an die eingangs erwähnten 85,9 Prozent der nach Männern
benannten Hamburger Straßen. Vermuten könnte man, dass die übrigen Prozent
der Straßen Namen von Frauen tragen. Stimmt aber nur fast, da mit hinein
zählen nämlich auch weiblich gelesene Fabelwesen, Märchenfiguren und
literarische Gestalten. Das wären dann – No Joke – die Hexentwiete oder der
Hexenberg.
Der Fairness halber muss man sagen, dass auch einige männliche
Märchengestalten eine Straße haben. Aber die paar Hänslstiege fallen
gegenüber Tausenden Bürgermeisterstraßen, Kolonialakteurealleen,
Kapitalistenplätzen und nach mehr oder weniger berühmten
Was-Männer-sonst-so-alles-werden-konnten benannten Wegen, viel weniger ins
Gewicht.
Es gibt einen massiven Überhang männlicher Repräsentanz im Hamburger
Stadtbild. Überraschend ist das nicht, Jahrhunderte Patriarchat haben eben
Spuren hinterlassen. Trotzdem muss man doch heute nicht am laufenden Band
Promenaden an sehr prominenten Orten nach irgendwelchen Karls und Rudolfs
benennen.
## Geschlechtergerechtere Namenspolitik gewollt
Dem Vorhaben geschlechtergerechterer Namenspolitik von Senat und Bezirken
widerspricht es streng genommen trotzdem nicht. Da ging es nämlich nur um
neu entstehende Straßen und die Promenaden, die waren schon da.
Wahrscheinlich könnte man so viele neue Wege gar nicht bauen, dass das
Geschlechterverhältnis in der Repräsentanz des Stadtplans der realen
Geschlechterverhältnisse der Hamburger*innen entspricht.
Am Ende ist das ja aber gar nicht der Zweck der Sache. Straßen, Wege und
Plätze spiegeln nicht alle wider, sondern sie tragen Namen von jenen, an
die eine Gesellschaft kollektiv erinnern möchte. Feministische und
antirassistische Aktivist*innen weisen darauf mit subversiven
Straßenumbenennungen seit Jahren hin. [3][An offiziellen Straßennamen kann
man hervorragend gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse und deren
Selbstverständnis ablesen]. Wer ’ne Promenade bekommt, ist am Ende
bezeichnend für Bezeichner*innen – und für die herrschenden
Verhältnisse. Amira Klute
28 Dec 2023
## LINKS
[1] /Analyse-zu-Umbenennungen-in-Hamburg/!5840846
[2] /Lena-Kampf-ueber-MeToo-Recherchen/!5964919
[3] /Vergessene-deutsch-tuerkische-Geschichte/!5952224
## AUTOREN
Amira Klute
## TAGS
Straßennamen
Diskriminierung
Feminismus
Hamburg
Straßennamen
Türkei
Antisemitisch
Straßenumbenennung
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