# taz.de -- Hamburger Musiker Konstantin Unwohl: Düster-Sounds auf Edel-Shoppi… | |
> Von den 80er-Jahren hat Konstantin Unwohl nur sehr wenig mitbekommen. | |
> Sein neues Album klingt trotzdem nach ihren düsteren, pessimistischen | |
> Seiten. | |
Bild: Nur Besucher auf der „absurden“ Luxusmeile: Konstantin Unwohl am Neue… | |
Ein Vormittag am Neuen Wall. In der Luxuseinkaufsstraße in der Hamburger | |
Innenstadt herrscht reger Lieferverkehr, die meisten Geschäfte sind noch | |
nicht geöffnet. Eine Frau kommt aus der Filiale eines Schweizer | |
Uhrenherstellers und staubsaugt noch eben schnell den Asphalt vor dem | |
Geschäft. | |
„Neuer Wall“, so heißt auch das zweite Album von Konstantin Unwohl. Der | |
schlängelt sich gerade auf seinem Klapprad durch den Lieferverkehr und | |
schließt es vor dem Geschäft mit den teuren Uhren an. Eigentlich heißt der | |
Hamburger Musiker Korbinian Scheffold, er ist ein lang gewachsener Mann, | |
schlank und mit einem hageren Gesicht: „Ich finde diese Straße so absurd“, | |
sagt er, „hier gibt es einen Haufen teurer Handtaschen, die du dann nicht | |
mal kaufen kannst, die dann nur im Schaufenster stehen.“ | |
Weniger absurd und deutlich greifbarer ist der Filterkaffee, den sich | |
Konstantin Unwohl beim Bäcker holt. Erst kürzlich hat er hier am [1][Neuen | |
Wall] ein Musikvideo gedreht, und der Straßenname inspirierte ihn zum Titel | |
für das Album: „Neuer Wall ist halt eher so im Kopf als die | |
Vergegenwärtigung des Anderen“, sagt er. „Was soll ich hier auch?“ Auf | |
„Neuer Wall“ entlarve Konstantin Unwohl eine Gesellschaft aus recyceltem | |
Plastik zwischen Schein und Sein, so umschreibt es sein Label. | |
Das Album beginnt ausgeglichen mit einem Song namens „Balance“: Langsam | |
bauen sich Synthesizersounds auf, und ein Beat beschleunigt sich | |
allmählich. Dass dem 29-Jährigen die Musik der 1980er als | |
Inspirationsquelle dienen, ist offensichtlich: „Das hörst du | |
wahrscheinlich, dass ich diese Zeit sehr mag“, sagt er. „Ich bewege mich | |
auch immer mehr weg vom Computer, wenn ich Musik mache.“ | |
## Hommage an den Sound des Dark Wave | |
Das Album ist eine Hommage an den Sound des Dark Wave: Die Kompositionen | |
verlassen sich weitgehend auf weiche Moll-Töne, die Texte wirken | |
introspektiv, romantisch, auch mal trostlos. Bei Konstantin Unwohl heißen | |
die Stücke schon mal „Anleitung zum Versagen“ oder „Ich hass es, wenn man | |
Spaß hat“. | |
Seine Musik produziert er komplett in Eigenregie, mit analogen Geräten. | |
Widerspricht es dieser vielleicht als radikal anzusehenden Abwendung vom | |
Digitalen, dass er ein Mobiltelefon besitzt, wenn auch [2][nur ein nicht | |
internetfähiges] Nokia 3310? „Gesellschaftlich bin ich auf jeden Fall ein | |
Befürworter der Moderne“, sagt er, „gerade wenn es um die Behandlung | |
marginalisierter Gruppen geht.“ Ein Hang zur Nostalgie zieht sich klanglich | |
wie ein roter Faden durch das Album, unüberhörbar sind die Jahrzehnte alten | |
Einflüsse von Gary Numan bis Neuer Deutscher Welle. | |
Da wäre „Eine Träne, kein Rekrut“: eine Wave-Ballade, zugleich eine Ode an | |
die Freiheit mit einer pulsierenden, energischen Melodie. In einem fast | |
mahnenden Ton singt Unwohl: „Vergiss nicht deine Freunde an der S-Bahn und | |
vergiss nicht deine Freunde in der Bahn.“ Diese Zeilen verweisen direkt auf | |
die sichtbare Trinker- und Drogenkonsumierendenszene rund um den S-Bahnhof | |
Holstenstraße in Hamburg-Altona – ein Ort, der innerhalb Hamburgs genauso | |
sehr polarisiert wie der Neue Wall, aber eine gänzlich andere Parallelwelt | |
repräsentiert. | |
## Koexistenz von Gegensätzen in Hamburg | |
Doch die [3][Holstenstraße nun einfach mit all ihren Abgründen] zu | |
beschreiben, das wäre zu einfach gedacht. „Die Holstenstraße erlebe ich im | |
Gegensatz zum Neuen Wall aktiv“, sagt Unwohl. „Du hast hier die | |
Drogenszene, aber dann auch ein Luxusstudentenwohnheim und dann noch die | |
Brauerei, die zur Hälfte abgerissen wurde und für die nächsten zehn Jahre | |
so bleibt. Das ist schon sehr absurd.“ Eine Koexistenz von Gegensätzen, | |
sicher – aber auch nicht absurder, als auf einem Gehweg staubzusaugen. | |
Geboren wurde der 29-Jährige mit den rot gefärbten Haaren im Allgäu. 2013 | |
zog er nach Hamburg, für sein Studium, im selben Jahr fing er auch mit der | |
Musik an. Hier formte sich seine künstlerische Identität. Der Name | |
Konstantin Unwohl ist ein spielerische Variation von „konstant unwohl“. | |
Das zeigt sich auf seinem ersten Album „Im Institut für Strömungstechnik“, | |
2021 veröffentlicht beim Berliner Label „aufnahme + wiedergabe“: Das Debü… | |
abgesehen von einigen EPs ist düsterer und aggressiver als der anstehende | |
Nachfolger: „Dort war die Negativität spürbar, aber ich würde sagen, dass | |
‚Neuer Wall‘ versöhnlicher und hoffnungsvoller ist“, erklärt Unwohl, der | |
mittlerweile an einem Tisch eines Cafés Platz genommen hat. | |
## Kritik an der Luxusgesellschaft | |
Neben einer Kritik an der Luxusgesellschaft habe der Titel auch eine | |
persönliche Bedeutung, sagt der Musiker: „Es steht auch für neue Wälle im | |
Leben, die man überkommen muss.“ Ist das Album eine – im psychoanalytischen | |
Sinne – Projektion innerer Konflikte, verpackt in einem Sound, der den | |
Zuhörer:innen vertraut sein dürfte? Später wird Konstantin Unwohl vom | |
Cafétisch aufstehen, ohne etwas bestellt zu haben. | |
18 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Victor Efevberha | |
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