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# taz.de -- Vergessene deutsch-türkische Geschichte: Ein Straßenschild für �…
> Zum ersten Mal wird in Hannover eine Straße türkisch benannt – ganz
> heimlich, still und leise. Sie erinnert an zwei sogenannte „Beutetürken“.
Bild: Lückenhaftes Wissen: Links der „Hammet“ zugeschriebene Grabstein, re…
Hannover taz | Auf einmal war es da, das Straßenschild.
„Hammet-und-Hasan-Weg“ steht da, und darunter: „Nebenan bestattete
Hofdiener, die im 17. Jahrhundert als Kriegsgefangene nach Hannover kamen.
Ihre muslimischen Gräber gehören zu den ältesten Deutschlands.“
Es ist das erste Mal, dass in Hannover eine Straße einen türkischen Namen
trägt. „Und keiner hat es gemerkt“, [1][titelte Ende Juli erstaunt] die
Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ). Was aber einen falschen Eindruck
erweckt, findet zumindest Jannik Schnare: „Wir pflegen da grundsätzlich
eher den Ansatz des Understatements“, sagt der junge
Grünen-Bezirksbürgermeister. Die Ehrung bestehe schließlich in der
Benennung selbst – nicht daran, dass er selbst da nun ein Tuch vom Schild
zieht.
Ausnahmen davon (und Enthüllungen mit großem Tamtam) habe man in letzter
Zeit vor allem dort gemacht, wo es vorher eine lange öffentliche Debatte
gab. Zum Beispiel bei der Hindenburg-, die nach langem Streit in
Lotte-Loebenstein-Straße umbenannt worden sei. Oder dem Ballhof: Historiker
und jüdische Gemeinde hatten lange moniert, dass Nazi-Inschriften am alten
HJ-Heim einfach so, ohne kritische Einordnung, stehen blieben.
So ganz leicht ist die Benennung des Hammet-und-Hasan-Weges dem Bezirksrat
auch nicht gefallen – eigentlich gilt die Maßgabe, dass jetzt erst einmal
Frauen dran sind. Letztlich gab hier den Ausschlag, dass der neue Name auf
ein fast vergessenes Stück Stadtgeschichte verweist.
## Ein orientalischer Bediensteter
Der Hammet-und-Hasan-Weg ist eigentlich nur ein Stück Radweg, der vom
Uni-Gebäude am Königsworther Platz Richtung Innenstadt führt, vorbei an
dem, [2][was von einem der ältesten Friedhöfe der Stadt übrig ist.] In
dieser von alten Bäumen beschatteten kleinen Parkanlage stehen verwitterte
Grabsteine aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Zwei davon, die von Hammet und
Hasan, waren bei Reisenden des 17. und 18. Jahrhunderts noch als „die
Türkengräber“ berühmt.
Wobei „Türke“ hier weniger auf die ethnische Herkunft als vielmehr den
Glauben verweist, [3][wie Günter Max Behrendt anmerkt], der sich um die
Erforschung verdient gemacht hat: Ein zum Christentum konvertierter Muslim
wird in zeitgenössischen Quellen als „gewesener Türke“ bezeichnet. Davon
gab es immerhin so viele, dass sich noch NS-Rasseforscher wegen einer
„Beimischung türkischen Blutes in deutsche Familien“ sorgten.
Da lag die Sache mit dem hier als „Hammet“ bezeichneten Mann schon 250
Jahre zurück: 1683 wurde er als osmanischer Sipahi, Lehensreiter, bei
Párkány in der heutigen Slowakei gefangen genommen, gelangte dann
vermutlich im Gefolge des Welfenprinzen Georg Ludwig an den Hof nach
Hannover, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1691 als Lakai gedient haben
soll.
Damals hielt man es für schick, orientalische Bedienstete zu haben. So viel
lässt sich aus den Grabinschriften rekonstruieren – über Hasan ist weniger
bekannt: Er starb vermutlich ein paar Jahre nach Hammet, aber sein
Grabstein blieb blank.
## Bestattung nach muslimischem Ritus
Ungewöhnlich ist, dass diese beiden eben nicht zur Taufe gezwungen oder
genötigt wurden und ihre Bestattung nach muslimischem Ritus erfolgte.
Ursprünglich lagen die Gräber auch außerhalb der Friedhofsmauer. Heute sind
nur noch die Fußsteine übrig, ursprünglich wurden die Gräber von je einem
hohen Stein am Kopf und einem am Fuß eingefasst und waren nach Mekka
ausgerichtet.
Vor allem die arabischen Schriftzeichen auf Hammets Kopfstein, der wohl
erst den Bomben im 2. Weltkrieg zum Opfer fiel, faszinierten
zeitgenössische Reisende. An der Übersetzung biss man sich allerdings lange
die Zähne aus. Ende der 1980er-Jahre versuchte der türkische Arzt Yektin
Güran sich mit Hilfe eines Imams daran. Er brachte auf diese Weise immerhin
den türkischen Staat dazu, für die Restaurierung und Neuaufstellung sowie
das Errichten einer bronzenen Gedenktafel aufzukommen.
Die Übersetzung war allerdings auch deshalb so schwierig, weil der Text
sozusagen doppelt „lost in translation“ war: Zu diesem Zeitpunkt existierte
nur noch die Abschrift, die der Kammerschreiber Johann Heinrich Redecker
angefertigt hatte – Mitte des 18. Jahrhunderts. Der Sprache, die er da
kopierte, war der Mann mitnichten mächtig gewesen. Genauso wenig wie der
Steinmetz, der sie aufgebracht hatte, gestützt vermutlich auf eine
handschriftliche Vorlage.
Erst 2001 stieß der engagierte Günter Max Behrendt auf eine Fotografie aus
den 30er-Jahren, auf der sich Grabstein und osmanische Inschrift besser
erkennen ließen. Seither glaubt man, dass Hammet wohl eher aus Temeschwar
im heutigen Rumänien stammte; die erste Übersetzung hatte ihn im kurdischen
Grenzgebiet zu Persien verortet.
## Zwei „Beutetürken“ in Hannover
Selbst wenn nicht viel über beider Leben bekannt ist, muss man annehmen,
dass Hammet und Hasan unter den zahllosen „Beutetürken“, die nach der 2.
Belagerung Wiens ihren Weg nach Deutschland fanden, noch zu denen gehörten,
die das bessere Los gezogen hatten. Der [4][Historiker Hartmut Heller weiß
in einem 1996 erschienen Aufsatz] von „ganzen Fässern voller Türkenköpfe,
die Händler 1684 zur Leipziger Neujahrsmesse brachten“ und die dann als
Trophäen in Bibliotheken und Kunstkammern landeten.
Auch aus anderen Körperteilen fertigte man Trophäen, Menschenfett und
getrocknetes -fleisch wurden in Apotheken als Wundermittel verkauft –
während man sich gleichzeitig Gruselgeschichten über primitive, „wilde“
Menschenfresser erzählte. Ein Großteil der Leichen dürfte aber gleich am
Schlachtfeld verscharrt worden sein, wenn man sie nicht einfach den Fluss
hinunter treiben ließ.
Gleichzeitig gab es einige bemerkenswerte Aufstiegsgeschichten, vor allem,
wenn sich Kriegsgefangenen taufen ließen. Spuren hinterließen die
„Beutetürken“ nicht nur als Kammerdiener, sondern auch im Militär, als
Musiker, Konditoren, Kaffeezubereiter oder in der Porzellanherstellung.
Auch dafür gibt es in Hannover noch ein Zeugnis: An der St-Petri-Kirche in
Döhren findet sich der Grabstein des Mehmet von Königstreu, den Georg
Ludwig als Kammerdiener mit nach London nahm und später sogar in den
Adelsstand erhob.
5 Sep 2023
## LINKS
[1] https://www.haz.de/lokales/hannover/hannover-erstmals-weg-nach-tuerkischen-…
[2] https://www.hannover.de/Kultur-Freizeit/Naherholung/G%C3%A4rten-genie%C3%9F…
[3] http://www.max-behrendt.de/osmanen/
[4] https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783112400111-006/html?lang=…
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
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