# taz.de -- Historikerin über NS-Kriegsverbrecher: „Bonte war kein normaler … | |
> Wilhelmshaven und Varel ehren Friedrich Bonte bis heute, obwohl der 1940 | |
> das norwegische Narvik überfiel. Ein Gespräch mit Anette Homlong | |
> Storeide. | |
Bild: Immer noch nach einem Kriegsverbrecher benannt: Bontekai mit Schiffen in … | |
taz: Frau Homlong Storeide, [1][wie bekannt ist Friedrich Bonte] in | |
Norwegen? | |
Anette Homlong Storeide: Ich glaube, dass die meisten Norweger seinen Namen | |
nicht kennen. Historikern ist er aber schon ein Begriff. Die Menschen hier | |
kennen eher die Namen der Schiffe oder andere Vertreter der deutschen | |
Besatzungsmacht, die länger in Norwegen waren und sich einen unrühmlichen | |
Namen gemacht haben. | |
Ist das eine Provokation für Norweger:innen, wenn [2][der Anführer der | |
Zerstörerflotte, die 1940 das neutrale Norwegen überfiel], dank der | |
NS-Propaganda [3][in Wilhelmshaven und Varel bis heute mit Straßennamen | |
geehrt wird]? | |
Ich fand es überraschend! Wenn man die norwegische Bevölkerung darauf | |
aufmerksam machen würde, dann würden sie schon die Augenbrauen hochziehen. | |
Zumal Deutschland in Norwegen sehr positiv dasteht, wenn es um seine | |
Vergangenheitsbewältigung geht. Wenn heute Bonte immer noch geehrt wird, | |
dann irritiert das. | |
Wie bewerten Sie als Historikerin Friedrich Bonte? Er starb 1940 und konnte | |
nicht als Kriegsverbrecher verurteilt werden. | |
Er spielte eine zentrale Rolle in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. | |
Die Schlacht von Narvik war für Norwegen sehr entscheidend. In Norwegen | |
waren – wie anderswo auch – meist die Gestapo und die SS in der Rolle der | |
„Bösen“, während man die Angehörigen der Wehrmacht als „normale Soldat… | |
einstufte. Kürzlich erschien aber ein neues Buch über die Rolle der | |
Wehrmacht in Norwegen, in dem klar wird, dass diese Trennung nicht aufrecht | |
zu erhalten ist – Kriegsverbrecher gab es da wie dort. Und Bonte war kein | |
normaler Soldat, das zeigt schon seine Beteiligung an einem rechtsradikalen | |
Freikorps. | |
Müssen die Straßen und der Kai, die nach Friedrich Bonte benannt sind, aus | |
Ihrer Sicht also umbenannt werden? | |
Ich möchte da niemanden bevormunden. Aber als Norwegerin und als | |
Historikerin finde ich es schon verwunderlich, dass 2022 der Name Bonte | |
immer noch als besonders ehrenhaft angesehen wird, sodass man weiterhin | |
Straßen nach ihm benennt. In Norwegen diskutiert man ja auch, ob es eine | |
Knut-Hamsun-Straße geben kann – und bis jetzt gibt es keine … | |
… weil Hamsun [4][zwar Literaturnobelpreisträger war, später aber auch | |
aktiv für den Nationalsozialismus eintrat]. | |
Ja. Man muss so eine Straße ja nicht unbedingt umbenennen, aber man könnte | |
zumindest Schilder aufstellen, die erklären, was Bonte im Krieg gemacht | |
hat, um ein Gegenmonument zu schaffen. | |
Im nationalen Gedächtnis Deutschlands ist der Überfall auf Norwegen bis | |
heute kaum verankert. Warum? | |
Das hat damit zu tun, dass der Krieg in Norwegen für die deutsche | |
Besatzungsmacht relativ friedlich war, im Vergleich zum Krieg an der | |
Ostfront oder in Frankreich. Aber es waren sehr viele Wehrmachtssoldaten in | |
Norwegen stationiert – 1943/44 fast eine halbe Million. Die deutschen | |
Besatzer stellten teilweise ein Zehntel der Bevölkerung. In ihren | |
Feldpostbriefen schrieben die Soldaten über das Wetter und die Tiere, die | |
sie gesehen hatten. Bis vor wenigen Jahren kamen noch Touristen nach | |
Norwegen, die einst als Soldaten hier waren, und noch heute kommen | |
Touristen, die noch die Geschichten aus der Besatzungszeit kennen und die | |
Orte aufsuchen, an denen ihre Väter stationiert waren. Auf individueller | |
Ebene ist das also schon präsent, im kollektiven Gedächtnis aber nicht. In | |
Norwegen hingegen ist diese Zeit sehr präsent. | |
Muss man sich damit abfinden, dass Deutsche das nicht so interessiert? | |
Es wird immer so sein, dass einige Ereignisse aus dem Zweiten Weltkrieg | |
mehr Aufmerksamkeit bekommen als andere. Die Erinnerung soll aber nicht in | |
einen Wettbewerb ausarten. | |
Hat Sie das fehlende Interesse in Deutschland gestört, als Sie hier | |
gearbeitet haben, unter anderem in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen? | |
Es hat mich überrascht. Viele Fotos aus der Besatzungszeit sehen auch aus, | |
als ob Soldaten auf Norwegen-Urlaub sind. Das spiegelt nicht die | |
norwegische Geschichte dieser Zeit wieder. Es wurden auch in Norwegen | |
Kriegsverbrechen begangen. | |
Es fehlen dramatische Bilder? | |
Ja, ich finde schon. | |
Welche Rolle spielt die Schlacht von Narvik in der norwegischen | |
Erinnerungskultur? | |
Eine große! 1940 sah es ja zunächst so aus, als ob die Alliierten die | |
Deutschen zurückschlagen könnten – das gelang dann aber nicht. Deshalb | |
wurde Narvik der Ort, an dem die Königsfamilie, das Parlament und andere | |
wichtige Persönlichkeiten das Land verlassen haben. [5][Die Schlacht von | |
Narvik ist also einerseits die Geschichte einer Hoffnung, andererseits aber | |
auch ein Symbol für den Beginn der deutschen Besatzungszeit]. | |
Wie sieht der Umgang in Norwegen mit der Erbe der NS-Zeit aus? | |
Man hat sich jahrelang sehr stark auf den norwegischen Widerstand | |
fokussiert. Die norwegischen „Verräter“, das waren der Faschist Vidkun | |
Quisling und die von ihm installierte Marionettenregierung. Durch diese | |
vereinfachte Interpretation wurde vermieden, einen kritischen Blick auf das | |
eigene Verhalten zu werfen – die doch recht breite wirtschaftliche | |
Kollaboration während der Besatzungszeit etwa, aber auch die Beteiligung an | |
der Deportation der Juden. Das hat erst in den letzten 25 Jahren mehr | |
Aufmerksamkeit bekommen. | |
Im Zuge des Ukraine-Krieges ist die Frage aktuell geworden, inwiefern | |
Neutralität ein wirksamer Schutz vor Aggression ist. Wirft das auch ein | |
neues Licht auf den deutschen Überfall auf die neutralen Staaten Dänemark | |
und Norwegen 1940? | |
In Norwegen sieht man den Ukraine-Krieg vor allem als Bestätigung dafür, | |
dass die Nato-Mitgliedschaft richtig ist. Selbst in den Parteien, die im | |
Grunde dagegen sind, ändert sich gerade die Stimmung. Es herrscht heute | |
eher die Meinung vor, dass Neutralität unmöglich und potenziell gefährlich | |
ist. Und man fragt sich, wann ein Land zu klein ist, um bedeutend genug für | |
eine ausländische Unterstützung und Hilfe in einer Krisensituation zu sein. | |
Sogar die Debatte um einen EU-Beitritt Norwegens ist wieder aufgeflammt – | |
das war vor dem Ukraine-Krieg kein Thema. | |
Sowohl Wilhelmshaven als auch Varel sind heute Ziele für Tourist:innen – | |
sie ehren aber Friedrich Bonte. Schreckt Skandinavier:innen so etwas | |
ab? | |
Ich glaube nicht. Aber wenn es hier bekannt wird, würde man sich schon sehr | |
wundern. | |
24 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Bonte | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Unternehmen_Weser%C3%BCbung | |
[3] /Diskussion-um-NS-Strassennamen/!5843335 | |
[4] https://www.tagesspiegel.de/kultur/norwegen-vor-der-buchmesse-wie-knut-hams… | |
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_um_Narvik | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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