# taz.de -- Streit um Straßennamen in Oranienburg: Das vergessene KZ-Außenlag… | |
> Oranienburg will Stalinismus-Opfer ehren – an einem Ort, wo früher ein | |
> KZ-Außenlager war. Vertreter von NS-Opfern fühlen sich vor den Kopf | |
> gestoßen. | |
Bild: Mahn- und Gedenkstätte am Konzentrationslager Sachsenhausen | |
BERLIN taz | Dass sich über alte Straßennamen trefflich streiten lässt, ist | |
in Berlin bekannt – siehe die Diskussionen über das Afrikanische Viertel im | |
Wedding oder die M-Straße in Mitte. Dass die Namensfindung für neue Straßen | |
ebenfalls brisant sein kann, zeigt ein aktueller Fall aus Oranienburg. Dort | |
hat die Stadtverordnetenversammlung kürzlich acht Straßennamen für ein | |
Neubaugebiet beschlossen – und sich damit massive Kritik eingehandelt. | |
Grund für die Aufregung: Das Neubaugebiet namens Aderluch liegt auf | |
historisch kontaminiertem Gelände. Unweit des früheren Konzentrationslagers | |
Sachsenhausen war dort, wo nun Reihen- und Einfamilienhäuser gebaut werden, | |
seit 1942 ein Zweigwerk der Zeppelin GmbH, in dem bis zu 700 Häftlinge des | |
KZ unter schwersten Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten. | |
Der Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen sowie Vertreter des | |
Internationalen Sachsenhausen-Komitees, das die KZ-Opfer und ihre | |
Nachfahren vertritt, hatten daher gefordert, mit den Straßennamen | |
ausschließlich Opfer des KZ zu ehren. Auch der Zentralrat der Juden in | |
Deutschland hatte sich dafür eingesetzt. | |
Die Stadtverordneten beschlossen jedoch am 22. Juni mit den Stimmen von | |
SPD, CDU, Piraten und AfD – Linke und Grüne waren dagegen – eine Liste mit | |
acht Frauennamen, die für verschiedene Aspekte der Oranienburger Geschichte | |
seit dem 19. Jahrhundert stehen. Nur eine von ihnen, Rosa Broghammer, war | |
Häftling im KZ Sachsenhausen. Eine weitere Geehrte, Gisela Gneist, war im | |
sogenannten Speziallager inhaftiert, das die Kommunisten von 1945 bis 1950 | |
im ehemaligen KZ unterhielten. | |
## „Unsensibilität gegenüber den Opfern“ | |
Diese Entscheidung sei ein „Affront“, sagte der Vizepräsident des | |
Internationalen Sachsenhausen Komitees (ISK), Andreas Meyer, zur taz. „Der | |
Beschluss ist aus unserer Sicht von einer großen Unsensibilität gegenüber | |
den Opfern getragen.“ Das Wohngebiet habe eindeutige historische | |
Bezugspunkte zum Konzentrationslager, „daher ist für uns eine gemeinsame | |
Straßenbenennungen mit Namen von KZ-Opfern und Inhaftierten aus anderen | |
historischen Kontexten wie dem ‚Speziallager‘ nicht hinnehmbar.“ | |
Auch der Direktor der Brandenburgischen Gedenkstättenstiftung und Leiter | |
der Gedenkstätte Sachsenhausen, Axel Drecoll, ist entsetzt. Dass es „trotz | |
der zahlreichen Einlassungen, Bitten und Proteste aus dem In- und Ausland | |
nicht möglich war, die Vorschlagliste zu verändern, ist mir absolut | |
unverständlich“, zitiert ihn die Märkische Orderzeitung. | |
Enttäuscht ist auch der Oranienburger Henning Schluss. Der engagierte | |
Bürger hatte im Juni binnen einer Woche über 1.000 Unterschriften gesammelt | |
für seine Forderung, die Straßen „nur im Einvernehmen mit den Überlebenden | |
des KZ-Sachsenhausen, vertreten durch das Internationale | |
Sachsenhausen-Komitee“, zu benennen. | |
Unterschrieben haben unter anderem Prominente wie Martina Münch, die | |
frühere SPD-Kultusministerin von Brandenburg, mehrere Organisationen von | |
NS-Opfern sowie zahlreiche Nachfahren von solchen, Letzteres geht aus den | |
Kommentaren zur Petition hervor. Gegenüber der taz spricht Schluss von | |
einer „neuen Unkultur“: „Warum hat die Stadt nicht wie sonst eine Einigung | |
mit dem Sachsenhausen-Komitee gesucht? Warum muss man gerade dort, wo ein | |
KZ-Außenlager war, der Opfer des Speziallagers gedenken?“ | |
Das findet auch Ralph Bujok, Fraktionsvorsitzender der Linken im | |
Stadtparlament, unpassend. Seine Partei hatte kurz vor Schluss den Antrag | |
eingebracht, die von der Namenskommission erarbeitete Liste, der auch die | |
Linken zunächst zugestimmt hatten, für ein anderes Neubaugebiet aufzuheben | |
– und für den Aderluch zusammen mit der Gedenkstätte und dem ISK neue | |
Vorschläge zu erarbeiten. | |
Laut Bujok war der Namenskommission zunächst gar nicht klar, dass der | |
Aderluch ein „historisch belastetes Gebiet“ ist. „Als wir das erfahren | |
haben, war für uns klar, dass die große Bandbreite der Namen, auf die wir | |
uns geeinigt hatten, an dieser Stelle nicht angemessen ist.“ | |
## Die CDU verteidigt die Entscheidung | |
Michael Ney von der CDU-Fraktion und Mitglied der Namensfindungskommission, | |
verteidigt dagegen die Entscheidungen. „Wir wollten Licht und Schatten der | |
Stadtgeschichte darstellen“, sagt er. Darum habe man auch die ersten drei | |
weiblichen Stadtdeputierten von 1919 aufgenommen oder die volkstümliche | |
Pferdeomnibusfahrerin Jette Bath. | |
Zudem gebe es in Oranienburg viele Straßennamen, die an NS-Opfer erinnern, | |
aber noch keine Ehrung der Opfer des sowjetischen Speziallagers. „Und wenn | |
wir an Opfer aus der Zeit nach 1945 erinnern, nehmen wir den NS-Opfern | |
nichts weg“, findet er. | |
Der CDUler weist auch darauf hin, dass man die Gedenkstätte schon im Januar | |
2019 um eigene Vorschläge gebeten habe. Die legte darauf tatsächlich eine | |
Liste vor – und ein Name, Rosa Borghammer, wurde von der Kommission | |
übernommen. Die übrigen Vorschläge der Gedenkstätte waren allerdings | |
Männernamen und somit unbrauchbar. Denn die Stadt hatte kurz zuvor | |
beschlossen, nur noch Frauen mit Straßennamen zu ehren. War dies der | |
Gedenkstätte mitgeteilt worden? Auch darüber herrscht Uneinigkeit bei den | |
Beteiligten. Ja, sagt Ney. Nein, sagt Meyer vom ISK. | |
Anfang Juni jedenfalls legten ISK und Gedenkstätte neue Vorschläge vor, | |
diesmal mit mehr Frauen, was wohl nicht ganz einfach war, da das KZ | |
vorwiegend ein „Männerlager“ war. Doch die Mehrheit der Stadtverordneten | |
ließ sich nicht mehr umstimmen. Es sei einfach zu spät gewesen für weitere | |
monatelange Diskussionen, sagt Pirat Thomas Ney, „da die ersten Häuser | |
bereits bezugsfertig sind“. | |
## Unzureichene Kommunikation | |
Dass der Konflikt am Ende so eskaliert ist, liegt nach seiner Ansicht zum | |
einen an der unzureichenden Kommunikation zwischen Stadt, Gedenkstätte und | |
Namensfindungskommission. Zum anderen, glaubt der Pirat, „ist die Stadt in | |
eine Konkurrenzsituation verschiedener Opfergruppen geraten, die beide aus | |
– aus ihrer Sicht legitimen – Gründen eine Benennung in ihrem Sinne | |
gewünscht haben“. | |
Bürgermeister Alexander Laesicke sieht das ähnlich. Die Stadt habe den | |
verschiedenen Anforderungen beim besten Willen nicht gerecht werden können, | |
sagt er der taz. Auch die Opfer des Speziallagers hätten das Recht, in der | |
Nähe des Tatorts geehrt zu werden. Er hätte sich aber auch gern mit ISK und | |
Gedenkstätte verständigt. Laesicke betont: „Wir nehmen die Verantwortung, | |
die sich aus der Rolle unserer Stadt während des Nationalsozialismus | |
ergibt, sehr ernst.“ | |
In der Tat haben die Stadtväter und -mütter am selben Tag, an dem die | |
umstrittene Liste verabschiedet wurde, auch eine andere weitreichende | |
Entscheidung gefällt: Der Bürgermeister soll eine Städtepartnerschaft mit | |
der israelischen Stadt Kfar Jona in die Wege leiten. Was deren BürgerInnen | |
über den Straßennamensstreit ihrer künftigen Partner denken, ist nicht | |
bekannt. | |
6 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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