# taz.de -- Politische Krise in Bulgarien: Aus dem Amt gefegt | |
> Bulgariens Regierung kommt durch ein Misstrauensvotum zu Fall. Findet der | |
> Premier keine neue Mehrheit, steht das Land wieder vor Neuwahlen. | |
Bild: Kiril Petkow (r), Ministerpräsident von Bulgarien, und sein Stellvertret… | |
BERLIN taz | Das wars: Bulgariens Dreierkoalition von Ministerpräsident | |
Kiril Petkow ist am Mittwoch nach nur sechs Monaten im Amt durch ein | |
Misstrauensvotum gestürzt worden. Für den Antrag der größten | |
Oppositionspartei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ | |
(GERB) des ehemaligen Regierungschefs Bojko Borissow stimmten 123 | |
Abgeordnete, 116 votierten dagegen. Es ist das erste Mal in der jüngeren | |
Geschichte Bulgariens, dass eine Regierung auf diese Art und Weise aus dem | |
Amt gefegt wird. | |
Eine derartige Entwicklung hatte sich bereits in der ersten Juniwoche | |
abgezeichnet. Die populistische Partei „So ein Volk gibt es“ (ITN) des | |
Showmasters Slawi Trifonow hatte ihre vier Minister*innen aus dem | |
Kabinett zurückgezogen und damit de facto [1][die Zusammenarbeit mit den | |
drei anderen Koalitionspartnern aufgekündigt]. Zur Begründung waren unter | |
anderem Petkows Pläne genannt worden, die Blockade Sofias gegen den | |
[2][Beginn von Beitrittsgesprächen der EU mit dem Nachbarn Nordmazedonien] | |
aufzuheben. | |
Das Veto war 2020 unter dem damaligen Premier Borissow ausgesprochen | |
worden. Im Kern geht es um historische Streitigkeiten. So soll Skopje | |
anerkennen, dass die mazedonische Sprache bulgarischen Ursprungs ist und es | |
in Nordmazedonien eine bulgarische Minderheit gibt, die in der Verfassung | |
des Landes entsprechend Erwähnung finden soll. Als weitere Begründung für | |
seinen Rückzieher hatte Trifonow den unsachgemäßen Umgang von Kiril Petkow | |
und dessen Partei „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) mit dem Staatshaushalt | |
sowie Mitteln der Europäischen Union genannt. | |
Dass Trifonow ein unsicherer Kantonist ist, dürfte den Bulgar*innen | |
schon lange klar sein. Seine Partei ITN ist ein Ergebnis wochenlanger | |
Massenproteste im Sommer 2020. Im vergangenen Jahr brauchte es drei | |
Parlamentswahlen, um im Herbst endlich eine Regierung zustande zu bringen. | |
## Stärkste Kraft | |
Für die monatelange politische Instabilität ist nicht zuletzt auch Trifonow | |
verantwortlich, dessen ITN bei der Wahl im vergangenen Juli sogar stärkste | |
Kraft geworden war. Der Entertainer – fast ausschließlich in sozialen | |
Medien unterwegs – war offensichtlich nicht willens, seine politische | |
Verantwortung wahrzunehmen. | |
Doch mittlerweile rumort es auch in der ITN. Immerhin verweigerten sechs | |
ITN-Abgeordnete ihrer Partei die Gefolgschaft und stimmten gegen das | |
Misstrauensvotum. Und es könnten noch mehr werden. Diese potenziellen | |
Überläufer wird [3][Kiril Petkow] jetzt versuchen für sich zu gewinnen. Er | |
kündigte bereits an, einen entsprechenden Brief an die ITN-Abgeordneten zu | |
schreiben. | |
Den Fahrplan für die nächsten Schritte gibt die Verfassung vor. Demnach | |
muss Präsident Rumen Radew zunächst der größten Fraktion, also Petkows PP, | |
einen Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Scheitern Petkows Bemühungen, | |
muss sich die zweitstärkste Kraft, Borissows GERB, an dieser Aufgabe | |
versuchen. Der Ex-Regierungschef hat jedoch bereits angekündigt, den | |
Auftrag zurückgeben zu wollen. | |
Beim letzten Versuch benennt der Präsident eine Fraktion seiner Wahl. | |
Sollte auch diese keine Mehrheit zusammenzimmern können, wird eine | |
Übergangsregierung eingesetzt, das Parlament aufgelöst und Neuwahlen | |
angesetzt. Das dürfte, sollte es so kommen, frühestens im August, | |
wahrscheinlich aber erst im Herbst, der Fall sein. | |
Ob dieser Aussichten sind die Bulgar*innen nur mäßig begeistert. Laut | |
einer Umfrage des Gallup-Instituts in der ersten Juniwoche sind 41,3 | |
Prozent gegen vorgezogene Wahlen, 26,5 Prozent dafür. 32,2 haben keine | |
Meinung dazu. | |
23 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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