Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Regierungskrise in Bulgarien: Koalition geplatzt
> Die Partei des Showmasters Trifonow verlässt die Regierung. Ihr missfällt
> der Annäherungskurs des Premiers Petkow gegenüber Nordmazedonien.
Bild: Bulgariens Ministerpräsident Kiril Petkow Ende Mai in Brüssel
Berlin taz | Showdown in Bulgarien: Nach nur sechs Monaten im Amt ist die
pro-westliche Vier-Parteien-Koalition unter [1][Kiril Petkow] am
Mittwochabend geplatzt. Die populistische Partei „So ein Volk gibt es“
(ITN) des Entertainers Slawi Trifonow zog ihre vier Minister*innen aus
dem Kabinett zurück. Jetzt will Petkow, Co-Chef der stärksten
Parlamentsfraktion „Wir setzen den Wandel fort“ (PP), mit einer
Minderheitsregierung weitermachen.
Trifonows Rückzieher kommt für den Balkanstaat zur Unzeit. „Die bulgarische
Gesellschaft ist nicht reif für Wahlen und eine neue Regierung“, sagte
Parwan Simeonow, Politologe bei Gallup, gegenüber dem bulgarischen
Fernsehen. Angesichts der schwierigen internationalen Situation mit dem
Krieg in der Ukraine und der globalen Inflation brauche Bulgarien Ruhe.
Doch mit solchen Überlegungen hält sich Trifonow nicht lange auf. Zur
Begründung für seinen Überraschungscoup nannte er Petkows Pläne, Sofias
Blockade gegen den Beginn von Beitrittsgesprächen der EU mit dem Nachbarn
Nordmazdonien fallen zu lassen. Das Veto war 2020 unter dem damaligen
Regierungschef Bojko Borissow ausgesprochen worden.
Dabei geht es um historische Streitigkeiten. So soll Skope anerkennen, dass
die mazedonische Sprache bulgarischen Ursprungs ist und es in
Nordmazedonien eine bulgarische Minderheit gibt, die massiv benachteiligt
wird. Gleichzeitig will Bulgarien von einer nordmazedonischen Minderheit im
eigenen Land nichts wissen.
## Geheime Gespräche
Angeblich soll Petkow mit seiner außenpolitischen Beraterin geheime
Gespräche mit der EU über eine Aufhebung des Vetos gegen Skopje aufgenommen
und dabei Außenministerin Theodora Genchowska, die Mitglied der ITN ist,
übergangen haben.
„Mazedonien ist ein wichtiger Teil unserer Geschichte und unserer Seele.
Niemand hat das Recht, Entscheidungen für das bulgarische Volk im
Alleingang zu treffen. Das ist nationaler Verrat“, sagte Trifonow am
Mittwoch in einer Videobotschaft auf seiner Facebook-Seite.
Doch Trifonow hat noch mehr auszusetzen. So warf er seinem bisherigen
Koalitionspartner PP vor, mit dem Staatshaushalt und EU-Mitteln nicht
sorgsam umgegangen zu sein. Summen in Milliardenhöhe seien völlig
intransparent ausgegeben worden.
Petkow verwahrte sich gegen diese Vorwürfe. „Wir haben versprochen,
Bulgarien zu verändern, und wir werden Bulgarien verändern“, sagte er.
Einen politischen Deal mit [2][Ex-Premier Bojko Borissow] und dessen
Oppositionspartei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“
(GERB) werde es nicht geben.
## Wochenlange Massenproteste
Trifonows Partei ITN geht auf Massenproteste im Sommer 2020 zurück. Damals
waren Zehntausende gegen Korruption und Vetternwirtschaft von Borissow und
seiner GERB wochenlang auf die Straßen gegangen. Bei der Parlamentswahl im
Februar 2021 kam die ITN hinter der GERB auf Anhieb auf den zweiten Platz.
Doch Koalitionsgespräche liefen ins Leere.
Bei Neuwahlen im Juli desselben Jahres machten die Wähler*innen die ITN
zur stärksten Kraft, jedoch kam erneut keine Regierung zustande. Während
der gesamten Zeit machte sich ITN-Parteichef Trifonow rar, gab kaum
Interviews und kommunizierte mit seiner Fangemeinde allenfalls über
Social-Media-Kanäle. Schon damals fragten sich viele Beobachter*innen, ob
Trifonow die politische Bühne nicht mit einer Entertainment-Show
verwechsele. Auch viele seiner Wähler*innen fühlten sich nicht ernst
genommen.
Abermals drei Monate später wurden die bereits merklich ermatteten
Bulgar*innen erneut an die Urnen gerufen. Dieses Mal machten Petkow und
seine Getreuen, die in den voran gegegangenen Übergangsregierungen
politische Erfahrungen gesammelt hatten, mit der neu gegründeten PP das
Rennen. Kurz darauf stand die Regierung, der neben der PP und der ITN auch
das liberale Bündnis „Demokratisches Bulgarien“ (DB) sowie die Sozialisten
(BSP) angehörten.
Doch die Spannungen innerhalb der Koalition, die von Anfang an eine
Vernunftehe war, traten schon bald offen zutage. Ein Spaltpilz unter vielen
waren vor allem Waffenlieferungen an die Ukraine, die die Sozialisten, von
jeher ob alter Seilschaften einer gewissen Nähe zu Russland nicht
unverdächtig, strikt ablehnen. Dennoch erklärten am Mittwoch neben dem
Bündnis DB auch die Sozialisten ihre grundsätzliche Bereitschaft, eine
Minderheitsregierung zu stützen.
Dass das funktioniert, daran hat Daniel Smilow, Dozent an der Sofioter
Universität und Programmdirektor beim Zentrum für Liberale Strategien, so
seine Zweifel. „Wir sprechen von einem Zeitraum bis zu vorgezogenen Wahlen
im Herbst …“; zitiert ihn das bulgarische Nachrichtenportal mediapool.bg.
„Uns erwartet ein hohes Maß an Instabilität. Bulgarien wird sich auch in
der Europäischen Union isolieren.“
9 Jun 2022
## LINKS
[1] /Neuer-Regierungschef-in-Bulgarien/!5822342
[2] /Korruption-in-Bulgarien/!5842617
## AUTOREN
Barbara Oertel
## TAGS
Bulgarien
Nordmazedonien
Bojko Borissow
Sofia
Misstrauensvotum
Bulgarien
Bulgarien
Bulgarien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neuwahlen in Bulgarien: Sofia kommt nicht zur Ruhe
Bulgarien stehen die fünften Wahlen innerhalb von zwei Jahren bevor. Das
Land steckt in der Dauerkrise, und das Vertrauen der Wähler*innen
schmilzt.
Politische Krise in Bulgarien: Aus dem Amt gefegt
Bulgariens Regierung kommt durch ein Misstrauensvotum zu Fall. Findet der
Premier keine neue Mehrheit, steht das Land wieder vor Neuwahlen.
Korruption in Bulgarien: Ex-Premier in Polizeigewahrsam
Der frühere Regierungschef Bojko Borissow wird bei einer landesweiten
Razzia festgenommen. Im Raum steht der Verdacht auf Erpressung.
Regierungswechsel in Bulgarien: Kiril Petkow ist neuer Landeschef
Der Chef der bulgarischen Reformpartei steht für Transparenz und den Kampf
gegen Korruption – jetzt auch als Ministerpräsident.
Neuer Regierungschef in Bulgarien: Er muss jetzt liefern
Nach drei Wahlen hat Bulgarien endlich eine neue Regierung. Auf Kirill
Petkows Anti-Korruptions-Koalition kommen nun schwere Aufgaben zu.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.