# taz.de -- Petersberger Klimadialog: Vorreiter sind längst die anderen | |
> Umweltministerin Svenja Schulze kritisiert Merkels Absage an schärfere | |
> EU-Klimaziele. Der Druck für Einführung einer CO2-Steuer nimmt zu. | |
Bild: Eigentlich will Deutschland sich als Vorbild in Sachen Klima profilieren … | |
BERLIN taz | Es ist einer dieser Tage, an denen einem Svenja Schulze | |
leidtun kann. Die deutsche Umweltministerin empfängt am Montagmorgen | |
Kolleginnen und Kollegen aus 35 Ländern in Berlin zum Petersberger | |
Klimadialog. Zwei Tage lang wird in informellem Rahmen über den | |
internationalen Klimaschutz geredet. | |
Ins Leben gerufen hatte Deutschland das Treffen vor zehn Jahren, um nach | |
dem gescheiterten Klimagipfel von Kopenhagen neuen Schwung in die | |
Verhandlungen zu bringen – und sich dabei auch als Vorbild in Szene zu | |
setzen. | |
Das aber fällt der Gastgeberin in diesem Jahr schwer. Denn Deutschland | |
verfehlt seine Klimaziele für 2020 und hat bisher keinen Plan, wie die für | |
2030 erreicht werden sollen. „Wir wissen, dass wir noch längst nicht auf | |
Kurs sind“, räumt SPD-Frau Schulze vor Beginn der Konferenz ein. | |
Und auch bei den langfristigen Zielen gehört Deutschland nicht zu den | |
Vorreitern: Beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche hat Kanzlerin Angela | |
Merkel (CDU) [1][es ausdrücklich abgelehnt], sich einer Initiative von | |
Frankreich und sieben weiteren Ländern anzuschließen, die bis zum Jahr 2050 | |
vollständig klimaneutral werden wollen. | |
An dieser Absage übte Schulze offen Kritik. „Ich fände es sehr sinnvoll, | |
dieser Initiative auch beizutreten“, sagte sie in Berlin. Die | |
Umweltministerin verwies darauf, dass die bisherigen Klimaziele ohnehin | |
verschärft werden müssten, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen – und äußerte | |
die Hoffnung, dass die Entscheidung noch nicht „abschießend gefallen“ ist. | |
Regierungssprecher Steffen Seibert verteidigte Merkels Festlegung dagegen. | |
Das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, passe nicht zum deutschen Ziel, | |
das bis dahin nur eine Reduktion der Emissionen um 80 bis 95 Prozent | |
vorsieht, sagte er. | |
Doch nicht nur beim Ziel, sondern auch bei den Instrumenten steht | |
Gastgeberin Schulze beim Klimadialog als Nachzüglerin da. Sie plädierte in | |
Berlin erneut für die Einführung einer aufkommensneutralen CO2-Abgabe. | |
Während darüber in Deutschland noch intensiv gestritten wird, haben | |
zahlreiche der anwesenden Länder sie längst eingeführt – darunter | |
Frankreich, Norwegen, Spanien und die Schweiz. | |
Bei den Eidgenossen werden zwei Drittel der Einnahmen direkt an die | |
Bevölkerung zurückgegeben, was 70 Euro pro Person und Jahr ausmacht; ein | |
Drittel der Einnahmen werden für Zuschüsse zur Gebäudesanierung verwendet, | |
berichtete der Direktor des schweizerischen Bundesamtes für Umwelt, Marc | |
Chardonnens. | |
## Ruf nach CO2-Steuer aus der Wirtschaft | |
Während Schulze derzeit verschiedene Modelle für eine CO2-Steuer prüfen | |
lässt und in Kürze einen konkreten Vorschlag vorlegen will, gibt es [2][bei | |
der CDU teilweise noch erhebliche Vorbehalte] gegen eine solche Maßnahme. | |
Allerdings wird es dabei zunehmend einsam um die Partei, denn der Ruf nach | |
einer CO2-Steuer wird nicht nur bei Umweltverbänden und aus der | |
Wissenschaft lauter, sondern auch aus der Wirtschaft. | |
So plädierte am Montag etwa der Chef des Energiekonzerns Eon, Johannes | |
Teyssen, für eine CO2-Steuer von anfangs 30 Euro pro Tonne, die später auf | |
35 Euro steigen solle. „Das wären Preise, mit denen man etwas bewirken | |
kann“, sagte Teyssen dem Tagesspiegel. Auch der Verband Kommunaler | |
Unternehmen, der von der früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Katherina | |
Reiche geleitet wird, sprach sich am Montag für eine CO2-Abgabe von 35 bis | |
40 Euro pro Tonne aus, die vor allem zur Senkung der Strompreise verwendet | |
werden solle. | |
Noch weiter geht der Thinktank Agora Energie- und Verkehrswende, der am | |
Montag ein komplettes Konzept für ein Klimaschutzgesetz vorlegte. Auch das | |
sieht eine CO2-Steuer vor, hier soll sie anfangs 50 Euro pro Tonne | |
betragen. Die Einnahmen sollen vor allem für eine Senkung der Stromsteuer | |
und eine Klimaprämie von 100 Euro pro Person und Jahr verwendet werden. | |
## Einen Zeitplan gibt es nicht | |
Daneben schlägt Agora unter anderem höhere Ziele beim Ökostrom-Ausbau, | |
finanzielle Anreize zur Gebäudesanierung und zum Kauf von Elektroautos | |
sowie eine Quote für grünen Wasserstoff im Erdgasnetz vor. | |
Damit ist der Thinktank, in dessen Rat Vertreter aus Industrie, Politik, | |
Gewerkschaften und Umweltverbänden mitarbeiten, deutlich schneller als die | |
Regierung: Das Umweltministerium hat zwar bereits im letzten Jahr Eckpunkte | |
für ein Klimaschutzgesetz vorgelegt, doch über diese hat das Kabinett bis | |
heute nicht offiziell beraten. | |
Schulze setzt nun darauf, dass es Fortschritte gibt, wenn die anderen | |
Ressorts am 29. Mai im sogenannten Klimakabinett ihre Vorschläge | |
präsentieren müssen. „Wir müssen jetzt handeln, um das 2030-Ziel zu | |
erreichen“, erklärte sie. Auch hier wurde die Ministerin aber von Merkels | |
Sprecher Seibert ausgebremst. „Einen Zeitplan kann ich Ihnen nicht nennen“, | |
sagte er zu Fragen nach der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes. | |
Ob es dabei bleibt, wird sich am Dienstag zeigen. Dann wird Merkel auf der | |
Konferenz sprechen – und anders als Schulze kann sie die Schuld für das | |
deutsche Bremsen beim Klimaschutz gegenüber den Gästen nicht einfach auf | |
den Koalitionspartner schieben. | |
13 May 2019 | |
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## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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