# taz.de -- Offener Brief zu EU-Richtlinie: Ja heißt Ja statt Nein heißt Nein | |
> Mehr als 100 Frauen bitten Justizminister Buschmann, eine EU-Richtlinie | |
> gegen Gewalt an Frauen nicht mehr zu blockieren. Sie wäre ein großer | |
> Fortschritt. | |
Bild: Laut der Richtlinie muss jeder sexuellen Handlung zugestimmt werden: Nur … | |
Marco Buschmann hat Post. Über 100 Frauen aus Politik, Kultur und | |
Wirtschaft bitten ihn in einem [1][offenen Brief], seine Blockadehaltung in | |
der EU aufzugeben. Momentan blockiert nämlich das Justizministerium unter | |
dem FDP-Politiker eine EU-weite [2][Richtlinie zum Gewaltschutz]. Darin | |
vereinheitlicht werden soll die Definition von digitaler Gewalt, also | |
Cyberstalking und bildbasierter Gewalt, aber auch die Strafbarkeit von | |
Vergewaltigung. Laut der Richtlinie muss jeder sexuellen Handlung | |
zugestimmt werden: Nur Ja heißt Ja. Damit gäbe es erstmals EU-einheitliche | |
Standards zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. | |
Das ist ein längst überfälliger Schritt. Momentan reicht es in einigen | |
EU-Ländern [3][wie Spanien] aus, eine Vergewaltigung als solche zu | |
verurteilen, wenn einer sexuellen Handlung nicht explizit zugestimmt wurde, | |
also nach dem Prinzip: Nur Ja heißt Ja. In anderen Ländern, wie | |
Deutschland, muss das Opfer klar Nein sagen – hier gilt die sogenannte | |
„Nein heißt Nein“-Regelung. Und in anderen Ländern, wie in Polen, muss | |
Gewalt nachgewiesen werden – dort ist es quasi egal, was das Opfer sagt. | |
Auch schreien hilft nicht. | |
Die Unterzeichner_innen des offenen Briefs weisen darauf hin, dass in der | |
EU schätzungsweise 1,5 Millionen Frauen jedes Jahr vergewaltigt werden. Wie | |
die Vergewaltigungen abgeurteilt werden können, ist davon abhängig, wo sie | |
geschehen. Wobei man sich schon fragen kann: Wie kann es sein, dass wir in | |
einer Welt leben, in der die Füllmenge von Flaschen genormt ist, nicht aber | |
die Strafbarkeit von Vergewaltigung? | |
Neben Ungarn und Frankreich blockiert ausgerechnet Deutschland, vertreten | |
von Justizminister Marco Buschmann, das Vorhaben der Vereinheitlichung. Der | |
begründet seine Blockade formaljuristischen: die EU habe nicht die | |
Kompetenz. Die Erstunterzeichner_innen sehen das anders. Dazu gehören die | |
Politikwissenschaftlerin Kristina Lunz, die Klimaaktivistin Luisa Neubauer | |
und die Journalistin Düzen Tekkal. | |
## Unverständliches Argument | |
Unterzeichnet haben den Brief aber auch die Juristinnen Asha Hedayati und | |
Christina Clemm, die sich in ihrer Arbeit mit patriarchaler Gewalt | |
auseinandersetzen, sowie die ehemalige Justizministerin Christine Lambrecht | |
(SPD). Auch der Deutsche Juristinnenbund e. V. (djb) hat den offenen Brief | |
als Organisation unterzeichnet mit der Begründung, dass [4][die rechtlichen | |
Bedenken nicht zutreffen]. Die Unterzeichner_innen sehen mit der Blockade | |
den „Schutz von Millionen von Frauen vor Gewalt“ gefährdet. | |
Unverständlich ist das Argument von Buschmann auch deshalb, weil das Ziel | |
der EU-Richtlinie die Angleichung an internationale Normen ist. Das sind | |
Normen wie die Istanbul-Konvention, die die EU erst im Oktober letzten | |
Jahres unterzeichnet hat. Dieses Übereinkommen soll bei der Bekämpfung der | |
Gewalt gegen Frauen helfen – es gibt vor, welche Standards bei Gericht und | |
der Polizei gelten sollen, aber auch, [5][wie viele Frauenhausplätze | |
benötigt] werden. | |
Zwar hat auch Deutschland die Istanbul-Konvention unterschrieben, | |
allerdings krankt das Vorhaben bislang daran, dass keine Bundesregierung, | |
sie umfassend umsetzt. Es hat sich also einiges an Wut bei den | |
Erstunterzeichner_innen angestaut. Dabei könnte die Umsetzung der | |
EU-Richtlinie vor allem Vergewaltigungsopfern helfen, die in Ländern wie | |
Italien und Polen leben und darauf angewiesen sind, dass sie Gewalt | |
nachweisen müssen, damit die Vergewaltigung als Straftat anerkannt wird. | |
Das ist komplett realitätsfremd, gerade auch, wenn man sich ansieht, wie | |
hoch die Dunkelziffer ist und wie selten Vergewaltigungen überhaupt | |
angezeigt werden. | |
In Deutschland, wo das Sexualstrafrecht zuletzt 2016 geändert wurde und wo | |
seitdem „Nein heißt Nein“ gilt, geht der Bundesverband | |
Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) davon aus, [6][dass nur etwa | |
5 bis 15 Prozent der Vergewaltigungen anzeigt werden]. Noch seltener kommt | |
es zu einer Verurteilung – weil es schwer nachzuweisen ist, dass ein „Nein�… | |
geäußert wurde, aber auch, weil Schweigen nicht immer Zustimmung ist. | |
In Schweden gilt deshalb seit 2018 das „samtyckeslag“, das | |
Einwilligungsgesetz. Seither können Täter_innen auch wegen fahrlässiger | |
Vergewaltigung und fahrlässiger sexueller Nötigung belangt werden. „Du | |
musst dich bei der Person, mit der du Sex haben willst, erkundigen, ob sie | |
Sex haben will“, sagte Schwedens damaliger Premier Stefan Löfven dazu. | |
31 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://centreforfeministforeignpolicy.org/2024/01/29/dringender-offener-br… | |
[2] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX%3A52022PC0105 | |
[3] /Sexualstrafrecht-in-Spanien/!5855527 | |
[4] https://verfassungsblog.de/deutschlands-blockade-beim-europaweiten-gewaltsc… | |
[5] /Bundesweite-Frauenhaus-Statistik/!5972196 | |
[6] https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/infothek/vergewaltigung-und-sexuelle-… | |
## AUTOREN | |
Nicole Opitz | |
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