# taz.de -- Ökonomin über Schönheit im Kapitalismus: Wider die Verwertungslo… | |
> Wir verstehen äußeren Zwang als Selbstverwirklichung, sagt die Ökonomin | |
> Friederike Habermann. Sich dem Anpassungsdruck zu entziehen, ist möglich. | |
Bild: Nicht alles, was wir als selbstbestimmt empfinden, ist es auch | |
taz: Frau Habermann, Sie forschen seit Jahrzehnten zum Thema | |
gesellschaftliche Emanzipation. Was hat sich in dieser Zeit in Bezug auf | |
Schönheitsideale für Frauen geändert? | |
Friederike [1][Habermann:] Wenig. Das Grundmodell ist geblieben: Wir haben | |
zwar unterschiedliche Voraussetzungen, aber wir streben alle danach, | |
einsetzbar zu sein, anstellbar zu sein. Das wird gut an Barbiepuppen | |
deutlich: Früher waren sie weiß, schlank und hellhäutig. Dann kamen | |
identische in Braun-Schwarz hinzu, jüngst auch vielfältigere. Doch auch | |
diese wirken wie Abweichungen vom alten Ideal. | |
Sie bringen Schönheit mit Anstellbarkeit und mit Verwertbarkeit zusammen. | |
Wieso? | |
Das gehört zusammen, weil dahinter die Verinnerlichung der äußeren | |
Anrufungen an uns steht. Wir alle haben gelernt: Wir wollen erfolgreich | |
sein, wir wollen schön sein, wir wollen den Normen entsprechen, um | |
Anerkennung zu bekommen. Das wird eher als Ausdruck von | |
Selbstverwirklichung verstanden denn als das Übernehmen des äußeren Zwangs. | |
Wir glauben, schön sein zu wollen, dabei müssen wir es? | |
Auf diese Art und Weise funktioniert unsere Gesellschaft. Der Philosoph | |
Michel Foucault hat das deutlich gemacht an der Gefängnisform eines | |
Panoptikums: Wenn die Zellen immer einsehbar sind, dann müssen die Insassen | |
sich wie gewünscht verhalten. Nur wenn sie die Anforderungen an sie | |
verinnerlicht haben, werden sie in die Gesellschaft entlassen. Die | |
bürgerliche Gesellschaft sagt, dass wir die Disziplinierung verinnerlichen | |
und als unser Bedürfnis lernen müssen. Es gibt keinen König oder Chef, der | |
sagt: Du musst das und das tun. Sondern wir als Ich-AG versuchen, | |
Anerkennung zu bekommen. | |
Der Kapitalismus bietet für Frauen in jeder Lebensphase | |
[2][Optimierungsstrategien für ihr Äußeres] an, von Kleidung über Kosmetik | |
bis zu Operationen. Haben Frauen eine Chance, dem zu entkommen? | |
Nur auf Kosten der Gefahr, tendenziell Außenseiterinnen zu sein. Das gilt | |
für jeden Menschen, alle Geschlechter und alle Altersgruppen. | |
Aus kapitalistischer Sicht zählt doch in erster Linie Leistung. Warum ist | |
[3][Schönheit] ein Abbild für Leistungsfähigkeit? | |
Weil das Äußere als Ausdruck der Disziplinierungsfähigkeit aufgefasst wird. | |
Wenn du gut bist, dann kannst du es auch schaffen, schlank und sportlich zu | |
sein. Das hängt mit dem Ideal des leistungsfähigen Homo Oeconomicus | |
zusammen. Und führt dazu, dass Menschen statt dem inneren Wohlgefühl lieber | |
die äußere Form wählen – also zum Beispiel ein Lifting machen lassen, das | |
die Mimik stört. | |
Und das ist wirklich für alle Geschlechter gleich? | |
Diese Anrufung ist für Frauen viel stärker. Mit der Marktwirtschaft im | |
Übergang zur Neuzeit lebten die Menschen nicht mehr in | |
Subsistenzwirtschaft, in der sie in kleinen Einheiten für den eigenen | |
Bedarf produzierten. Eigentum ist entstanden, also die absolute | |
Sachherrschaft, in der Frauen und Männer sehr unterschiedlich definiert | |
wurden. Es ist ein Eigentumsverhältnis für Männer etabliert worden | |
gegenüber Frauen. | |
Das es so zum Glück nicht mehr gibt. | |
Rein rechtlich gibt es dieses Eigentumsverhältnis nicht mehr. Die | |
Philosophin Eva von Redecker aber spricht vom Phantom-Besitz, weil in | |
unserem Geschlechterverhältnis noch etwas davon drinsteckt. Wir sind als | |
Frauen eher Objekt und werden damit ganz anders beurteilt als Männer. | |
Während die Männer diejenigen sind, die beurteilen. Und dem sind wir | |
alltäglich ausgesetzt. | |
Weibliche Superstars begreifen sich zwar oft als feministisch, bedienen | |
aber Schönheitsnormen. Ist das selbstbestimmt oder nur die Reproduktion | |
alter Ideale? | |
Es kann natürlich nicht sein, dass als Ausdruck von Selbstbestimmung die | |
gleichen Normen hochgehalten werden. Aber wir kommen auch nicht weiter, | |
wenn wir sagen: Wir müssen jetzt alle das Gegenteil tun. Entscheidend ist, | |
ob ich etwas mit Lust mache. Was ich nicht mit Lust mache, sondern weil zum | |
Beispiel mein Job es verlangt, das ist interessant zu reflektieren. | |
Inwiefern spiegeln Schönheitsnormen auch Klassenfragen wider? | |
Historisch haben sich Schönheitsideale immer nach der jeweiligen Lage | |
gerichtet: War wenig Essen da, war das Schönheitsideal, dass Menschen eher | |
runder sind. Mussten die Leute viel in der Sonne arbeiten, war das | |
Schönheitsideal, dass sie blass sind. Dieser Klassismus ist im Kapitalismus | |
nicht zu trennen von gesellschaftlichen Normen. | |
Schönheit als Ausdruck des individuellen Selbst – Ist das im Grunde ein | |
Mythos? | |
Es gibt kulturelle Zusammenhänge, in denen Menschen sich besser entwickeln | |
können. Aber auch darin gibt es wieder Normen, denen die Menschen | |
entsprechen. In Verbundenheit mit anderen prägen wir uns gegenseitig. | |
Deshalb würde ich es nicht negativ sehen, dass wir tendenziell so aussehen | |
wie die Menschen um uns herum – am besten aber selbst gewählt und mit | |
Menschen, mit denen wir zusammen sein wollen in Beziehungsformen, die wir | |
als nicht entfremdet empfinden. | |
Um keine Außenseiterinnen zu werden? | |
In den gegebenen Verhältnissen gilt: Wenn wir emanzipiert sein wollen, | |
müssen wir uns auch anpassen. Es ist aber wichtig zu erkennen, dass die | |
jetzige nicht die einzige mögliche Gesellschaftsform ist. Wir könnten auch | |
anders leben, jenseits der bestehenden Verwertungslogik. Das zu sehen, | |
eröffnet auch die Möglichkeit, sich dem Druck auf Anpassung zu entziehen. | |
Wie kann das ohne Systemwechsel gelingen? | |
Es ist wichtig, Räume mit anderen Selbstverständlichkeiten zu haben, in | |
denen es zum Beispiel selbstverständlich ist, queer oder anders als in der | |
Mainstreamgesellschaft auszusehen. Wenn wir Räume schaffen, in denen wir | |
uns gegenseitig anerkennen, wie wir sind, und das nach außen tragen, | |
verändert das die Gesellschaft. | |
Sie glauben an eine Veränderung von unten? | |
Die Philosophin Bini Adamczak zeigt in ihrem Buch „Beziehungsweise | |
Revolution“, dass die Revolution nicht einfach ein historischer Bruch ist. | |
Sie findet statt, weil sich die Art der Beziehungsweisen verändert. Dafür | |
braucht es diese subkulturellen Räume, in denen wir das leben, was wir für | |
richtig halten. In diesen Bereichen können wir freier sein und gleichzeitig | |
die Gesellschaft verändern. Wir müssen die Logiken überwinden, in denen wir | |
gefangen sind: Marktlogik, Tauschlogik, Bewertungslogik. Es geht darum, | |
sich kooperativ und gleichberechtigt zu verhalten. | |
Sie fordern, Marktlogik und Tauschlogik durch solidarisches Wirtschaften | |
abzulösen. Was hätten Frauen davon? | |
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Historisch ist das Modell der | |
Zweigeschlechtlichkeit sehr stark mit der Marktwirtschaft verbunden. Der | |
Homo Oeconomicus ist im Grunde ein männliches Ideal. Frauen wurde sehr | |
schnell klar gemacht, dass sie wie Olympe de Gouges unter der Guillotine | |
landen, wenn sie ihre Rechte einfordern. Der dann aufkommende | |
Häuslichkeitskult begrenzte Frauen sehr stark. Die Emanzipationsbewegung | |
war dann: Frauen sind so wie Männer. Dieser Prozess, in dem wir von | |
Kleinkind an lernen, wir müssen uns verwerten im Leben – nichts weniger | |
gilt es zu verlernen. Solidarische Räume gehen gerade für Frauen damit | |
einher, weniger diesen äußeren Konkurrenzdruck zu haben. Und mehr Freiraum, | |
so zu sein, wie wir sein wollen. Auch körperlich. | |
7 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
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