| # taz.de -- Neuer Film von Aslı Özge: Niemand verlässt den Hinterhof | |
| > In Aslı Özges Spielfilm „Black Box“ eskaliert ein Streit unter den | |
| > Bewohner_innen eines Berliner Mietshauses. Spannung will jedoch keine | |
| > aufkommen. | |
| Bild: Die Stimmung zwischen den Hausbewohner_innen ist angespannt | |
| Abends stehen drei Männer im Innenhof des Berliner Mietshauses, in den kurz | |
| zuvor per Kran über die Dächer ein Container der Hausverwaltung verfrachtet | |
| wurde. Die Männer fragen sich, was der Container wohl zu bedeuten habe und | |
| wie die Mülltonnen demnächst im Hof stehen. Die Dialoge sind etwas hölzern, | |
| doch der Film hat gerade angefangen, und noch weiß man als Zuschauer nicht, | |
| wohin es gehen soll. | |
| Am nächsten Morgen bezieht der Immobilienverwalter Johannes Horn (Felix | |
| Kramer) sein Büro im Container, kommandiert den Hausmeister Ali (Ali | |
| Bulgan) herum und trifft auf einen der drei Männer vom Abend, Lehrer Erik | |
| Behr (Christian Berkel), der nach den Mülltonnen fragt. Dann sperrt eine | |
| Polizeikette aus vermummten Polizisten den Hauseingang. Gerüchte füllen den | |
| Hof und die Flure. „Black Box“ von [1][Aslı Özge] beginnt überraschend. | |
| Özges Film entstand als deutsch-belgische Koproduktion. Beteiligt war unter | |
| anderem die Firma Zeitsprung Pictures aus Köln, die sich auf höherwertige | |
| Fernsehproduktionen spezialisiert hat. Im Juni feierte „Black Box“ auf dem | |
| Filmfest München Premiere. | |
| Die Polizei gibt für die Sperrung der Einfahrt keine Erklärung, keine | |
| Angabe dazu, wie lange der Zustand dauern wird. Aus der Perspektive der | |
| arbeitslosen Mutter Henrike Koch (Luise Heyer), die just an diesem Tag ein | |
| Vorstellungsgespräch hätte, erkundet die Regisseurin die Stimmung unter den | |
| Hausbewohner_innen. Behr startet umgehend eine Unterschriftensammlung, | |
| andere sind zögerlicher, wollen es sich mit der Hausverwaltung nicht | |
| verscherzen. Das Raunen nimmt zu, die Nachbar_innen beginnen sich | |
| gegenseitig auszuspionieren. Die Wortwechsel werden hitziger. | |
| Ein riesiges Figurenensemble | |
| Dann weiß der Film selbst nicht mehr, wohin mit sich. Özge versammelt ein | |
| riesiges Figurenensemble von Anwohner_innen und scheitert anschließend | |
| daran, die zahllosen Figuren ihres Films zu managen und für eine Erzählung | |
| nützlich zu machen. Sie versieht Figuren mit Eigenschaften, ohne dass | |
| daraus irgendetwas folgt – so kann Immobilienverwalter Horn in einer Szene | |
| plötzlich Russisch und bedroht einen Anwohner aus Dagestan, aber weder | |
| vorher noch nachher spielt dieser Plot jemals wieder eine Rolle. | |
| Jede Handlung wird in eine Dialogszene aufgebläht, Spannung will sich aber | |
| nicht einstellen. Angesichts der gedämpften Emotionen fragt sich, ob | |
| Regisseurin und Drehbuchautorin Aslı Özge wirklich noch nie einen Streit | |
| unter Hausbewohner_innen gehört haben kann, die im Berlin der Gegenwart | |
| Angst um ihre Wohnungen haben. Die zahllosen Figuren haben zahllose | |
| Konfliktchen, die alle mehr oder weniger auswendig gelernt wirken, über die | |
| Özge schließlich zu vergessen scheint, was sie eigentlich erzählen wollte. | |
| Angesichts all des narrativen Schlamms, in dem Özges Film feststeckt, | |
| bleiben die Darsteller_innen als Rettungsseil für den Film. Doch Christian | |
| Berkels Lehrer Behr wird schnell auf das Klischee eines überkritischen | |
| Querulanten festgelegt. So bleibt nur Luise Heyer. Die Figur der | |
| arbeitslosen Mutter ist die einzige des Films, in der eine Entwicklung | |
| angelegt ist. Heyer spielt Henrike Koch zu Beginn mit leichter Unsicherheit | |
| und Konfliktscheuheit. Aber schon wenig später fährt sie Behr an, weil | |
| dieser ihren Sohn beschuldigt hat, vor seine Tür gepinkelt zu haben. Die | |
| vehemente Verteidigung ihres Sohnes erweist sich als erster Riss im | |
| Rollenkorsett. Doch auch Heyers Spiel und die Entwicklung Henrike Kochs | |
| erweisen sich letztlich als zu kleines Gegengewicht zur Unwucht des Films. | |
| „Black Box“ ist ein mahnendes Beispiel für die fehlgeleitete Bewahrung der | |
| Tradition des Autor_innenfilms unter den Vorzeichen der | |
| Fernseh(ko-)produktion. Viel Aufmerksamkeit ist in der deutschen | |
| Filmausbildung in den letzten Jahren in bessere Drehbücher und Dialoge | |
| geflossen, aber Professionalisierung muss auch zum Zuge kommen können. Bei | |
| einer Aufgabenteilung zwischen Regie und Drehbuch wären unter Umständen | |
| einige der gröbsten dramaturgischen Fehler – zu viele Figuren, zu wenig | |
| Fokus der Erzählung – des Films zu vermeiden gewesen. So gerät der Film | |
| nach einer interessanten Ausgangssituation schon bald ins Trudeln. | |
| 10 Aug 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Tietke | |
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