# taz.de -- Nach dem Anschlag in Hanau: Absage an Hessen | |
> Die Angehörigen und Überlebenden von Hanau legen Beschwerde gegen Hessen | |
> ein. Sie werfen den Behörden Uneinsichtigkeit und mangelnde Aufklärung | |
> vor. | |
Bild: An vielen Orten Deutschlands wurde am 19.2.2021 der Toten des Anschlags g… | |
Es war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der im vergangenen Jahr | |
eine [1][„lückenlose Aufklärung“ der rassistischen Morde in Hanau] | |
forderte. Doch es sind wieder die Familien der neun Opfer und die | |
Überlebenden des Anschlags selbst, die diese Aufklärung weiter antreiben | |
müssen, damit sie nicht in Vergessenheit gerät. Denn zu viele Fragen sind | |
immer noch offen. Eine ganz zentrale lautet: Warum wurde die Tat von den | |
Sicherheitsbehörden nicht verhindert? | |
Diese Frage liegt nun auch der [2][Dienstaufsichtsbeschwerde zugrunde, die | |
die Familien an diesem Montag gegen das Land Hessen erhoben haben]. In | |
einem Schreiben ihrer Anwälte an das hessische Innenministerium werden die | |
polizeilichen Versäumnisse detailliert aufgelistet, welche die Tat nicht | |
nur nicht verhindert, sondern teilweise auch begünstigt haben: Der | |
unterbesetzte Polizeinotruf etwa, den Vili Viorel Păun dreimal angerufen | |
und nicht erreicht hatte, bevor er den Täter selbst verfolgte und von | |
diesem erschossen wurde. | |
Der verschlossene Notausgang der Arena Bar, von dem die Behörden wussten | |
und durch den sich mehrere Menschen hätten retten können. Die | |
Videoaufzeichnung aus dem Arena Kiosk nebenan, welche zeigt, dass die | |
eintreffenden Polizisten die Vitalfunktionen des anscheinend zu diesem | |
Zeitpunkt noch lebenden Ferhat Unvar nicht überprüften, sondern einfach | |
über seinen Körper hinwegstiegen. Hinzu kommt die Verletzung des | |
Totenfürsorgerechts der Familien, die ihre toten Angehörigen weder vor der | |
Obduktion sehen durften noch darüber informiert wurden, wo die Leichname | |
sich befanden und dass diese obduziert werden würden. | |
Seit dem [3][19. Februar 2020 hatten die Angehörigen und Überlebenden] von | |
Hanau weder Zeit zu trauern noch sich von der Tat zu erholen. Unermüdlich | |
organisieren sie Proteste, sprechen mit der Presse, betreiben selbst die | |
Ermittlungsarbeit, die eigentlich die hessischen Behörden leisten sollten. | |
Es ist unvorstellbar, dass neben so viel aktivistischer Arbeit, diesem | |
Trauma und dann noch der globalen Pandemie irgendwer von diesen Menschen | |
imstande ist, sich auch noch auf eine Lohnarbeit zu konzentrieren. Deshalb | |
fordern ihre Anwälte in dem Schreiben an das hessische Innenministerium | |
einen Ausgleich für materielle Schäden, die entstanden sind. | |
## Ein Versuch, sich aus der Verantwortung zu ziehen | |
Doch es ist auch von „immateriellen Schäden“ die Rede. Und deren Ausgleich | |
wird wohl den mühsameren Prozess darstellen. In einem | |
disziplinarrechtlichen Verfahren könnte der hessische Innenminister Peter | |
Beuth nun die dargelegten Versäumnisse aufarbeiten und Maßnahmen gegen | |
einzelne verantwortliche Beamte einleiten. Verpflichtet ist er dazu noch | |
nicht. Letztes Jahr lobte Beuth die „exzellente Aufklärungsarbeit“ der | |
hessischen Polizei in dieser Sache. | |
Man ahnt es: Wer das Behördenversagen im Fall Hanau mit solchen Worten | |
umschreibt, der hat kein besonderes Interesse daran, die Fehler in den | |
eigenen Strukturen aufzuklären. Jedenfalls haben die Anwälte ihm eine Frist | |
bis zum 23. April gesetzt. Sollte das Innenministerium den Forderungen bis | |
dahin nicht nachkommen, erwägt man, eine Amtshaftungsklage beim zuständigen | |
Gericht einzureichen. | |
Doch ungeachtet der Konsequenzen, die aus der Dienstaufsichtsbeschwerde | |
folgen oder nicht folgen werden: Dieser Schritt der Familien und | |
Überlebenden ist auch als eine Art Absage zu lesen. Eine Absage an das Land | |
Hessen, welches sich mit dem Fokus auf den Einzeltäter aus der eigenen | |
Verantwortung zu ziehen versucht. Und eine Absage an den Glauben, dass mit | |
groß inszenierten Gedenkfeiern und Kranzniederlegungen die Opfer | |
ausreichend gewürdigt worden seien. Die einzig akzeptable Würdigung dagegen | |
– so betonen es die Angehörigen immer wieder – wäre, dafür Sorge zu trag… | |
dass sich Hanau nicht wiederholen kann. Und solange die Behörden ihre | |
Fehler nicht sehen und aufarbeiten, wollen sie auch nicht aus ihnen lernen. | |
24 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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