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# taz.de -- Rigaer Straße und öffentlicher Diskurs: Hufeisen und Hanau
> Der Bundespräsident verurteilt die Krawalle in der Rigaer Straße in
> Berlin. Zu den neonazistischen Umtrieben im Frankfurter SEK schweigt er.
Bild: Zu den Rechsextremen innerhalb der Franfurter SEK schweigt Steinmeier
Es ist ein Schweigen, das lauter ist als alle Helikopter, die seit Tagen
den Berlin-Friedrichshainer Nordkiez überfliegen: ein Schweigen, das immer
dann eintritt, wenn eine rechtsextremistische Chatgruppe bei Polizei oder
Bundeswehr aufgeflogen ist.
Nachdem vergangene Woche bekannt wurde, dass Mitglieder des Frankfurter
Sondereinsatzkommandos (SEK) volksverhetzende Inhalte in einer Chatgruppe
ausgetauscht haben sollen, ist diese Woche klar: 13 dieser SEK-Beamt:innen
waren in der Nacht vom 19. Februar 2020 in Hanau im Einsatz. Insgesamt
waren es 38. Das bedeutet, und man muss es so deutlich sagen: Jede:r
dritte SEK-Beamt:in, der:die beim Anschlag in Hanau im Einsatz war und die
Öffentlichkeit vor einem Rechtsextremisten schützen sollte, ist vermutlich
selbst rechtsextremistisch.
Und worüber berichtet die Tagesschau am Abend, nachdem der hessische
Innenausschuss diesen Sachverhalt publik machte? „60 verletzte Polizisten
nach Ausschreitungen bei Hausbesetzung in Berlin“.
Die Tagesschau ist nicht mehr das Maß aller Dinge, aber ihre
Berichterstattung ähnelt jener der überregionalen Presse. Denn
Hufeisentheorie sei Dank sorgen Polizei und Bewohner:innen des
teilbesetzten Hauses in der Rigaer Straße 94 für Aufmerksamkeit.
## Ein großes Spektakel
Die [1][Polizei verschaffte sich mit Kettensägen Zugang zum Haus], die
Bewohner:innen und ihre Freund:innen bewarfen Polizist:innen mit
Steinen und zündeten Müll an. Ein großes Spektakel. Und so wird die
Aufmerksamkeit von Politiker:innen wie Journalist:innen auf das
gelenkt, was in Deutschland nicht sein darf: Linksextremismus. So das
Narrativ.
Bundespräsident Steinmeier äußerte sich öffentlich zur Rigaer94 und
bekräftige, dass „wir nicht dulden können, dass Polizistinnen und
Polizisten in unserem Land beleidigt, bespuckt, mit Steinen beworfen und
gewalttätig angegriffen werden“.
Okay. Aber kann man dulden, dass sie ihren Job nicht richtig machen, wie
beim Attentat in Hanau? Dass sie rechtsextremistisches Gedankengut
verbreiten? Und wie geht Steinmeiers Sprechen über die Rigaer Straße
zusammen mit seinem Schweigen zum Frankfurter SEK?
„Es muss nun zügig geklärt werden, wie sich diese Beteiligung auf das
Einsatzgeschehen in der Tatnacht ausgewirkt hat und ob Rechtsextreme gar in
leitender SEK-Position in Hanau das polizeiliche Versagen am Täterhaus zu
verantworten haben“, sagt Newroz Duman von der [2][Initiative 19. Februar],
die zur Hanauer Tatnacht recherchiert und für politische Sichtbarkeit der
Opfer in der öffentlichen Debatte sorgt. Bis die Polizei das Haus des
Täters stürmte, vergingen fünf Stunden. Zu den Forderungen der Initiative
gehört, dass diese und andere Fehler aufgeklärt werden.
## Problem Polizei und Bundeswehr
Die unsinnige Hufeisentheorie, also das Gleichsetzen von Links- und
Rechtsextremismus, wird in der Öffentlichkeit dann laut, wenn es darum
geht, von Rechtsextremismus abzulenken. Sie ist ein beliebtes Instrument
von Rechten wie der sogenannten „bürgerlichen Mitte“, immer wieder wird sie
hervorgekramt, wenn der Aufruf laut wird, strukturellen Rassismus und
Rechtsextremismus bei Polizei und Bundeswehr zu untersuchen.
Und das braucht es: „Es fehlt eine übergreifende, öffentlich zugängliche
Erhebung zu diesen Fällen und zum Thema Rassismus in Sicherheitsbehörden,
die es uns erlauben würde, das Problem gründlich zu analysieren“, [3][sagte
Polizeiforscher Martin Thüne vergangene Woche in der Zeit]. Stattdessen der
immer gleiche Ruf danach, den „[4][Linksextremismus nicht unterschätzen zu
dürfen]“.
Sich gegen Linksextremismus zu positionieren scheint einfacher zu sein. Es
fliegen Steine, Müll und Autos brennen. Das sind die Anderen. Aber wie
sieht es aus, wenn es um Rechtsextremismus in Reihen von Polizei und
Bundeswehr geht? Ist das für Politiker:innen zu viel Arbeit? Oder
haben sie schlicht Angst, diese Gruppen deutlich zu kritisieren?
Ist es für Journalist:innen einfacher, die Bilder zu zeigen zwischen
Kettensäge und Feuerlöscher, die so schön nach Spektakel aussehen?
Einfacher als der Trauer, der Verzweiflung und der Wut der Hinterbliebenen
der Opfer von Hanau gerecht zu werden?
18 Jun 2021
## LINKS
[1] /Polizeieinsatz-in-der-Rigaer94/!5777054
[2] https://19feb-hanau.org/
[3] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-06/polizei-rechtsextrem…
[4] https://www.cducsu.de/themen/innenpolitik/wir-duerfen-den-linksextremismus-…
## AUTOREN
Nicole Opitz
## TAGS
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Schwerpunkt Rassismus
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