# taz.de -- Mordfall Walter Lübcke: Doch kein Einzeltäter? | |
> Der Rechtsextreme Stephan E. soll Lübcke erschossen haben. Nun sollen | |
> Fotos beweisen: Noch im März sei E. bei einem Combat-18-Treffen gewesen. | |
Bild: Das militante Combat18-Netzwerk: Gehörte auch der Mordverdächtigte Step… | |
BERLIN taz | Die Fotos sind etwas unscharf, aber die Gesichter sind zu | |
erkennen. Sie zeigen Grüppchen von Neonazis, die vor einem weißen Haus | |
stehen. Viele tragen schwarze Hemden, einige Lederkutten. Es ist ein | |
Treffen von rund 200 harten Rechtsextremen, im März dieses Jahres, im | |
sächsischen Mücka, auch Vertreter von Combat 18 sind dabei. Und dann ist da | |
ein Mann, der auch Schwarz trägt und ein weißes Basecap. Es soll sein: | |
Stephan E., der Tatverdächtige [1][im Mordfall Walter Lübcke.] | |
Wenn dies zutrifft, gibt es dem Fall eine erneute Wendung. Denn dann war | |
Stephan E. doch tiefer in die militante Neonazi-Szene eingebunden als | |
bisher bekannt. Und die Sicherheitsbehörden müssen erklären, ob sie dies | |
wirklich nicht mitbekamen. | |
Walter Lübcke, Kasseler Regierungspräsident und CDU-Mann, war am 2. Juni | |
mit einem Kopfschuss vor seinem Haus in Wolfhagen-Istha bei Kassel ermordet | |
worden. Seit einer Woche sitzt Stephan E. als Tatverdächtiger in U-Haft, | |
ein 45-jähriger Kasseler, der vor Jahren mit schweren rechtsextremen | |
Gewalttaten auffiel. Die Ermittler hatten ein Hautpartikel von ihm an der | |
Kleidung Lübckes gefunden. Die Bundesanwaltschaft übernahm den Fall und | |
stuft die Tat bisher als rechtsextremistisch motiviert ein. | |
Noch am Dienstag hatten Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), | |
Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang und BKA-Präsident Holger Münch | |
indes unisono behauptet: Stephan E. sei zwar vor Jahren einschlägig | |
aufgefallen, seit 2009 aber nicht mehr. Damals hatte E. mit gut 300 | |
Neonazis eine 1.-Mai-Kundgebung des DGB in Dortmund angegriffen. | |
## Übereinstimmung „praktisch erwiesen“ | |
Und nun sind da diese Fotos, angefertigt von Antifa-Rechercheuren. Auch die | |
ARD veröffentlichte diese am Freitag, ließ sie zuvor von dem Münchner | |
Sachverständigen George Rauscher prüfen. Dass die Bilder Stephan E. | |
zeigten, sei „praktisch erwiesen“, sagt dieser. | |
Falls das so ist: Hatten die Sicherheitsbehörden Stephan E. dann zuletzt | |
tatsächlich nicht mehr auf dem Schirm? Wenn ja, wie kann das sein? Das | |
Treffen in Mücka war keineswegs konspirativ – jedenfalls nicht so, dass es | |
die Antifa nicht mitbekam. Hätten die Behörden also wissen können, dass E. | |
weiter in militanten Neonazi-Kreisen verkehrte? Hätten sie ihn stoppen | |
können, ja müssen? | |
Der Verfassungsschutz bleibt am Freitag wortkarg. Aufgrund der laufenden | |
Ermittlungen könne man sich zu den Fotos nicht äußern, sagt ein Sprecher | |
des sächsischen Verfassungsschutzes der taz. Das Treffen in Mücka sei | |
seiner Behörde aber bekannt. Auch das Bundesamt teilt nur mit, man kläre | |
derzeit alle Hinweise auf Stephan E. ab – dazu gehöre nun auch dieser | |
aktuelle. Nach taz-Informationen befragen die Verfassungsschutzämter dieser | |
Tage alle V-Leute in der rechtsextremen Szene nach Erkenntnissen über | |
Stephan E. | |
## Frühe Kontakte zu Combat18 | |
Tatsächlich hatte Stephan E. früh klargemacht, dass er zu schwerster | |
Gewalt, auch Terror bereit ist. Schon als 15-Jähriger legte er 1989 Feuer | |
in einem Keller eines von Deutschtürken bewohnten Hauses bei Wiesbaden. | |
Später stach er mit einem Messer auf einen Migranten ein und versuchte, | |
eine Rohrbombe vor einem Asylbewerberheim zu zünden. 1994 wanderte E. dafür | |
sechs Jahre in Haft – und blieb der rechtsextremen Szene treu. Er wurde | |
NPD-Mitglied, bewegte sich in Kreisen der Autonomen Nationalisten – und | |
hatte schon damals Kontakt zu Vertretern von „Combat 18“. | |
Die Neonazi-Gruppe wurde 1992 in Großbritannien gegründet. Anfang der | |
2000er Jahre fiel es auch in Deutschland auf, als militanter Ableger des | |
„Blood&Honour“-Netzwerks, dessen Mitglieder dem untergetauchten NSU-Trio | |
halfen. Combat 18 hantierte mit Waffen, schwadronierte über Terror und | |
einen „Rassenkrieg“. Dann verschwand die Gruppe – und sorgte 2017 wieder | |
für Schlagzeilen, als ein Dutzend Mitglieder bei einem Schießtraining in | |
Tschechien erwischt wurden. Die Sicherheitsbehörden ließen Combat 18 in | |
jüngster Zeit dennoch weitgehend unangetastet. | |
Hessen gilt als ein Schwerpunkt der Gruppe. Immer wieder fällt hier der | |
Name Stanley R., das hessische LKA hielt ihn vor einigen Jahren gar für den | |
Deutschlandchef der Gruppe. Fotos zeigen Stephan E. Anfang der 2000er Jahre | |
mit Stanley R. Nun ist auch R. auf den Fotos von Mücka zu sehen. | |
## Treff der Militanten in Mücka | |
Szeneintern war damals zu einer „Geburtstagssause in Ostsachsen“ eingeladen | |
worden, unter anderem mit der Rechtsrockband Oidoxie, – die aus Dortmund | |
kommt, wo Stephan E. den Behörden zuletzt auffiel. Die Einladungskarte | |
zierte das Logo von Combat 18. In Mücka mit dabei waren auch Vertreter der | |
ebenso gewaltbereiten Brigade 8, die auf dem Gelände ihr Clubhaus haben | |
soll. Wer zu dem Treffen kam, gehörte zum harten Kern der militanten | |
Neonazi-Szene. | |
Die Behörden rechneten Stephan E. zuletzt offiziell nicht mehr dazu. Nach | |
2009 lebte dieser, scheinbar aus der rechten Szene zurückgezogen, in | |
Kassel, in einem Einfamilienhaus am Stadtrand, arbeitete bei einem Kasseler | |
Bahntechnikhersteller, engagierte sich als Referent fürs Bogenschießen in | |
einem Schützenverein. Nachbarn beschrieben ihn als unauffällig. Im Internet | |
aber soll sich Stephan E. weiter rechtsextremistisch geäußert haben. Laut | |
SZ schrieb er dort unter dem Alias „Game Over“ etwa: „Entweder diese | |
Regierung dankt in Kürze ab oder es wird Tote geben.“ 2016 spendete er der | |
Thüringer AfD 150 Euro. Betreff: „Gott segne euch.“ | |
[2][Nach dem Lübcke-Mord] gab es früh Zweifel, ob Stephan E. wirklich | |
allein handelte. Ein Nachbar von Lübcke will vom Tatort zwei Autos | |
davonrasen gesehen haben. Eines der Fahrzeuge beschrieb er als VW Caddy – | |
solch einen fährt Stephan E. Wer aber saß in dem zweiten Wagen? Die | |
Ermittler gehen dem bis heute nach. | |
## Kasseler Neonazis halten die Treue | |
Kasseler Neonazis jedenfalls halten Stephan E. die Treue – obwohl dieser | |
doch zuletzt gar nicht mehr in der Szene gewesen sein soll. „Ich stehe in | |
guten wie in schlechten Zeiten zum Kamerad E.“, schrieb der langjährige | |
Rechtsextremist Mike S. am Donnerstag auf Facebook. „In meinen Augen ist er | |
einer der besten Kameraden gewesen.“ Später löschte er die Nachricht. | |
Stephan E. schweigt bisher zu den Vorwürfen. Die Bundesanwaltschaft | |
erklärte zuletzt, sie gehe allen Hinweisen nach, auch denen nach Mittätern. | |
Hinweise, dass E. in eine terroristische Vereinigung eingebunden gewesen | |
sein könnte, habe man bislang nicht. | |
Linke-Politiker aus mehreren Bundesländern forderten am Freitag ein | |
härteres Vorgehen: Es brauche ein sofortiges Verbot von Combat 18 und den | |
Abzug aller V-Leute aus dem Netzwerk. Es sei „unverständlich, warum nicht | |
längst gehandelt wurde“. Eine Verwicklung der Gruppe in den Mord an Walter | |
Lübcke müsse nun „in den Mittelpunkt der Ermittlungen rücken“. | |
## Bezug zum NSU-Terror? | |
Gleichzeitig, so die Linken-Politiker, müssten auch Verbindungen von | |
Stephan E. und dessen Umfeld in den NSU-Komplex überprüft werden. So hatte | |
ein früherer V-Mann vor dem hessischen NSU-Untersuchungsausschuss | |
berichtet, ihm sei früher ein „NPD-Stephan“ aus Kassel bekannt gewesen. | |
Just der V-Mann-Führer des Spitzels war beim NSU-Mord an Halit Yozgat 2006 | |
am Tatort, einem Internetcafé. | |
Und laut Tagesspiegel stand Walter Lübcke auch auf einer Feindesliste mit | |
10.000 Namen, die der NSU führte. Bundesweit war Lübcke indes erst 2015 – | |
vier Jahre nach Auffliegen des NSU – in den Fokus von Rechtsextremen | |
geraten, als er sich auf einer Bürgerversammlung offensiv zur Aufnahme von | |
Geflüchteten bekannte. Laut Spiegel habe sich auch Stephan E. damals | |
gegenüber Gleichgesinnten „furchtbar“ über Lübcke aufgeregt. | |
21 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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