# taz.de -- Migration in Nordafrika: Richtungswechsel in der Sahara | |
> Eine Staatenallianz in Nordafrika will die Migration nach Europa stoppen. | |
> Tausende sind nun auf der Sahararoute in Richtung Süden unterwegs. | |
Bild: Mittlerweile geräumt: ein Geflüchteten-Lager in Tunis, aufgenommen im M… | |
TUNIS taz | Sicherheitskräfte in Tunesiens Hauptstadt Tunis und der | |
Hafenstadt Sfax gehen weiter mit äußerster Härte gegen Migrant:innen und | |
Flüchtlinge vor. Die von staatlichen Medien als „Sicherheitskampagne“ | |
bezeichnete Zerstörung von Zelten sowie Razzien hatten am 6. Mai begonnen. | |
Polizisten räumten zwei Zeltlager, die neben dem Hauptquartier der | |
Organisation für Migration (IOM), einer UN-Institution, entstanden waren. | |
Vor allem Familien und Frauen mit Kindern hatten die Nähe der | |
internationalen Helfer gesucht, in der Hoffnung auf Schutz vor | |
willkürlicher Verhaftung. 16.500 Flüchtlinge hat das | |
UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR nach eigenen Angaben in Tunesien registriert. | |
Doch mangels eines Aslygesetzes ermöglichen auch die an sie ausgegebenen | |
Identitätskarten keinen legalen Aufenthalt. | |
Nach den Räumungsaktionen wurden viele Bewohner:innen der Zeltlager, | |
von denen die meisten aus Subsahara-Afrika kommen, in Bussen an die | |
algerische oder libysche Grenze deportiert. Vergangenen Sommer waren nach | |
einer ähnlichen Verhaftungswelle [1][mehrere Dutzend Menschen in der Sahara | |
verdurstet], nachdem sie zu Fuß in Richtung Libyen geschickt worden waren. | |
Nun sind erstmals aus Tunesien vertriebene Flüchtlinge und Migrant:innen | |
in einem rund 3.000 Kilometer entfernten IOM-Aufnahmelager in der Stadt | |
Agadez in Niger aufgetaucht. Agadez gilt als Drehkreuz der Migration in der | |
Sahelregion. Von dort aus waren viele Westafrikaner:innen und | |
Sudanes:innen nach Tunesien gestartet, um von der Küste bei Sfax auf | |
die italienische Insel Lampedusa überzusetzen. Doch nun sind erstmals seit | |
Jahren Geflüchtete auf der Sahararoute in Richtung Süden unterwegs. | |
Dies geht zurück auf einen kürzlich geschmiedeten Plan einer Allianz | |
nordafrikanischer Staaten. Tunesiens Präsident Kaïs Saied hatte sich am 22. | |
April mit seinem algerischen Amtskollegen Abdelmadschid Tebboune und dem | |
Chef des libyschen Präsidialrates, Mohamed al-Menfi, geeinigt, die | |
steigende Zahl der aus Agadez ankommenden Menschen durch Rücktransporte zu | |
senken. Fast alle der rund 70.000 in Tunesien lebenden Geflüchteten sind | |
über die beiden Nachbarländer eingereist. Nach mehreren Treffen Saieds mit | |
Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni und ihrer Reise nach Libyen | |
vergangene Woche vermuten viele Medien in der Region, dass auch Rom das | |
Trio unterstützt. | |
Seit Mai übernimmt die algerische Polizei die Abgeschobenen an der Grenze | |
von den tunesischen Kollegen und fährt sie quer durch Afrikas größten | |
Flächenstaat an den „Point Zero“. Flüchtlingsorganisationen aus | |
verschiedenen Ländern berichten von bis zu 250 Menschen, die dort täglich | |
ausgesetzt werden. Nach einem 15 Kilometer langen Marsch erreichen sie ein | |
IOM-Aufnahmelager in der nigrischen Stadt Assamaka und werden von dort | |
weiter nach Agadez gebracht. | |
Bis zu 10.000 Menschen sollen laut IOM seit Jahresbeginn die unfreiwillige | |
Reise gen Süden angetreten haben. Zwischen Algerien und Niger besteht ein | |
Abkommen, das nigrischen Gastarbeiter:innen die Rückkehr aus Algerien | |
erleichtern soll. Offenbar nimmt die nigrische Regierung derzeit aber auch | |
andere Nationalitäten auf. | |
Migration nach Tunesien geht weiter | |
Währenddessen kommen weiter viele Menschen in Tunesien an. „So viele | |
Neuankömmlinge kommen alleine in unserem Camp jeden Tag an“, berichtet | |
Ibrahim Zekel, der aus Nigeria kommt, und seit sieben Monaten [2][in einem | |
Olivenhain nahe Sfax] lebt. Der Ingenieur hofft auf einen Platz in einem | |
Boot nach Lampedusa. Doch seit der Kooperation mit der EU lässt die | |
tunesische Küstenwache den Menschenhändlern kaum noch eine Chance. Laut | |
Küstenwache wurden seit Januar 21.545 Menschen aus 751 seeuntauglichen | |
Booten gerettet. | |
Einige Mitreisende von Ibrahim Zekel sind in den letzten Tagen nach Libyen | |
abgeschoben worden. Libysche Soldaten bringen die Festgenommenen an den | |
südlichen Grenzübergang Tumu. Dann geht es auch dort 20 Kilometer durch ein | |
Niemandsland zu einem IOM-Lager in Niger. Doch nach UN-Angaben haben seit | |
Januar auch in umgekehrter Richtung 160.000 Menschen den Weg von Agadez | |
nach Algerien oder Libyen gewählt, für 200 Euro pro Sitzplatz. Das Geschäft | |
mit der Migration in der Sahara brummt – trotz der neuen Route nach Süden. | |
17 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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