# taz.de -- Messinstrumente für nachhaltige Finanzen: Beliebig und nicht vergl… | |
> Scores für ökologische oder soziale Aspekte sollen bei der Suche nach | |
> nachhaltigen Finanzprodukten helfen. Doch sie haben viele Mängel. | |
Bild: Ein Problem mit dem Öko-Etikett: Investitionen in AKWs gelten laut EU-Ta… | |
BERLIN taz | Drei Buchstaben sollen eigentlich Klarheit bei Geldanlagen | |
schaffen. Der ESG-Score bewertet, wie nachhaltig Unternehmen in den | |
Dimensionen Ökologie (Ecological), soziale Gerechtigkeit (Social) und | |
Unternehmensführung (Governance) handeln. Nun hat das Beratungsunternehmen | |
Cofinpro 15 Anbieter verglichen, die die ESG-Daten zu Tausenden Unternehmen | |
liefern. Das Ergebnis: Die Skalen der Scores, etwa AAA bis F oder 1 bis | |
100, lassen sich kaum vergleichen. Häufig fehlen Daten, und zwei der drei | |
Kriterien bereiten besonders Sorgen. | |
Ob Fonds ökologisch nachhaltig sind und somit „E“ entsprechen, lässt sich | |
zumindest bemessen – etwa über den [1][CO2-Fußabdruck] oder den | |
Wasserverbrauch. Doch selbst hier gibt es Schwierigkeiten: Gilt Tesla nun | |
als grüne Aktie, wenn es Elektroautos produziert, die Fabrik wiederum | |
jedoch Atom- oder Kohlestrom bezieht? | |
Größere Probleme bereiten die anderen beiden Kategorien: „Bei den | |
ESG-Datenanbietern herrscht im Kontext ‚S‘ und ‚G‘ Wilder Westen“, sa… | |
die Studienautoren Robert Wagner und Yves Wüppenhorst. Für soziale | |
Kriterien lässt sich etwa eine Frauenquote herbeiführen. Diese allein | |
genügt jedoch nicht. Wie zufrieden Mitarbeiter:innen sind, ob | |
Bürostühle ergonomisch sind oder wie divers der Vorstand aufgestellt ist, | |
zählen ebenfalls zu „S“ und „G“ des ESG-Scores. Diese Faktoren sind vi… | |
schwieriger messbar als etwa die Schadstoffe, die ein Schornstein ausstößt. | |
Auch sonst ist bei den Zahlen, die die Anbieter für die Scores heranziehen, | |
vieles unklar. Zum Beispiel: Wer veröffentlicht Daten zu den | |
Arbeitsbedingungen in Textilfabriken in Bangladesch? Die Studienautoren | |
bezeichnen diese Daten als „Blackbox“. Hier verspricht das neue | |
EU-Lieferkettengesetz Besserung, das ab 2023 gelten soll. Ähnlich | |
undurchschaubar sind die Auswertungen von Social-Media-Posts und Gerüchten | |
mittels Textanalysen, die Firmen wie Morningstar Sustainalytics oder | |
Bloomberg LP vornehmen. Hier bleibt offen, wie genau ein Computerprogramm | |
Gerüchte feststellen kann. | |
## Anbieter gewichten Kriterien selbst | |
Hinzu kommt, dass „S“- und „G“-Kriterien einander widersprechen können… | |
wertet die Cofinpro-Studie es als gute Unternehmungsführung, wegen des | |
russischen Angriffskriegs in der Ukraine Filialen in Russland zu schließen. | |
Das vernachlässige aber die sozialen Aspekte „S“, weil die russischen | |
Angestellten dadurch arbeitslos würden. | |
Deutlich wird: Während für den Bereich Umwelt und Klima Standards | |
vorgesehen sind – [2][in Form der EU-Taxonomie] –, fehlen hinsichtlich der | |
Unternehmensführung und der Sozialverträglichkeit klare Regelungen für die | |
ESG-Scores. Die Studienautoren Robert Wagner und Yves Wüppenhorst stellen | |
deshalb klar: „Es reicht nicht, sich auf einen ESG-Datenanbieter zu | |
verlassen.“ Es mangelt aber auch an Vergleichbarkeit, weil die Anbieter die | |
Kriterien für „S“ und „G“ selbst gewichten. | |
Ökobanken sind hier zum Teil schon einen Schritt weiter und setzen höhere | |
Standards für eigene Finanzprodukte. Es helfe etwa, selbst „No-Gos“ zu | |
formulieren, diese würden das ESG-Profil schärfen, betonen die | |
Studienautoren von Cofinpro. Zudem genüge der finale ESG-Score nicht, um | |
ein valides Urteil zu fällen: „Banken brauchen einen klaren ESG-Kodex und | |
müssen sich mit den Rohdaten befassen, anstatt blind Scores oder Ratings zu | |
vertrauen“, so Wagner und Wüppenhorst. | |
Die „Platform on Sustainable Finance“ – ein Gremium, das die EU-Kommission | |
berät – hat kürzlich einen [3][Entwurf für soziale Mindeststandards] in der | |
EU-Taxonomieverordnung vorgestellt. Ein Vorschlag darin ist: Entsprechen | |
Firmen nicht den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen und | |
UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, sollen sie aus der | |
Taxonomie fliegen. | |
19 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Coldplay-tappt-in-Greenwashing-Falle/!5853459 | |
[2] /Neue-EU-Verordnung/!5862571 | |
[3] https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/business_economy_euro/banking… | |
## AUTOREN | |
Nathanael Häfner | |
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