# taz.de -- Coldplay tappt in Greenwashing-Falle: Das klingt jetzt nur CO2-frei | |
> Coldplay wirbt mit einer besonders klimafreundlichen Tour. Kritik üben | |
> Umweltschützer:innen trotzdem: an einer problematischen | |
> Partnerschaft. | |
Bild: Coldplay in Glendale: Auch von den Fans hängt ab, wie umweltfreundlich e… | |
BERLIN taz | Coldplay sind so etwas wie die Boygroup der alternativen | |
Musikszene und damit ein lebendiger Widerspruch. Die melancholischen Klänge | |
der britischen Poprock-Band bringen ein Millionenpublikum zum Schwärmen, | |
Tanzen, Plattenkaufen, Online-Streamen. Und andere zum vielleicht etwas zu | |
selbstgefälligen Naserümpfen über das doch nicht so schrammelige | |
Gitarrenschrammeln, die gefälligen Melodien, die eingängigen Rhythmen und | |
nicht zuletzt die Mainstream-Fans. | |
In ähnlich widersprüchlicher Manier ist die Band auch für ihr | |
Öko-Engagement bekannt, beliebt – und neuerdings umstritten. Es klingt auch | |
absonderlich: Coldplay hat sich ausgerechnet mit einem Ölkonzern | |
zusammengeschlossen, um die gerade laufende Welttournee dieses Jahr | |
klimafreundlicher zu machen. | |
Für die Reise über die Kontinente liefert der finnische Ölkonzern Neste nun | |
Agrokerosin – Flugbenzin also, das auf Basis landwirtschaftlicher Produkte | |
erzeugt wird statt aus fossilem Erdöl. Vermarktet wird es oft als | |
Biokerosin, wobei „bio“ nicht für Bio-Landwirtschaft steht, sondern vom | |
altgriechischen Wort für „Leben“ kommt. Es wird als nachhaltig vermarktet. | |
So ist das auch bei der Coldplay-Tour: Die Partnerschaft halbiere deren | |
klimaschädliche Emissionen, werben Coldplay und Neste. | |
„Wir haben versucht, Nachhaltigkeit ins Zentrum dieser Tournee zu stellen, | |
eine andere Option gibt es für uns nicht“, sagt Coldplay-Sänger Chris | |
Martin dazu. Tatsächlich hatten die Musiker bei ihrem vorletzten Album im | |
Jahr 2019 ganz auf eine Tour verzichtet – obwohl die Einnahmen der Branche | |
vor allem aus dem Live-Geschäft kommen, nicht mehr so sehr aus dem | |
Plattenverkauf. Nach Angaben der Band steckten ökologische Bedenken | |
dahinter. Man wolle erst wieder touren, wenn man es geschafft habe, das | |
Ganze klimafreundlich zu machen, hieß es damals. | |
## Umweltszene ist nicht begeistert | |
Auch bei Neste ist man glücklich über die Kooperation. „Inspirierend“ | |
findet Minna Aila, die bei Neste für Nachhaltigkeit verantwortlich ist, die | |
ökologischen Ambitionen der Band. | |
Die Öko-Szene hingegen ist nicht so begeistert. „Neste benutzt Coldplay | |
zynisch, um den eigenen Ruf [1][grünzufärben]“, ist sich Carlos Calvo Ambel | |
von der Brüsseler Umweltorganisation [2][Transport & Environment] sicher. | |
Die Ernsthaftigkeit der Musiker beim Klimaschutz stellt er nicht infrage. | |
Er geht davon aus, dass sie hereingelegt wurden. Der Umweltschützer und | |
seine Gruppe finden: Diese Partnerschaft sollte die Band lieber gleich | |
wieder beenden. | |
„Das Problem mit Neste ist, dass das Ergebnis schlechter sein dürfte, als | |
überhaupt nichts zu tun“, meint Ambel. „Neste ist ein Unternehmen, das | |
bekannt für die Nutzung von Palmöl ist, was das Ergebnis schlechter macht | |
als die fossilen Kraftstoffe, wenn man an die damit verbundene Abholzung | |
denkt.“ Laut einer Studie von Friends of the Earth sollen Palmölzulieferer | |
des Unternehmens zwischen 2019 und 2020 in Ländern wie Indonesien und | |
Malaysia mindestens 10.000 Hektar gerodet haben. Das würde bedeuten, dass | |
für das Agrokerosin ein wichtiger natürlicher CO2-Speicher sterben musste – | |
ein positiver Klimaeffekt des Produkts wäre dahin. | |
Neste hingegen behauptet, dass für das Coldplay-Projekt nur Abfallprodukte | |
genutzt werden. Das Problem: Das kann auch ranzig gewordene Abfälle aus der | |
Palmöl-Produktion bedeuten. Dann geht es also plötzlich doch nicht um ein | |
zweites Leben für abgestandenes Frittenöl, sondern um einen Stoff, den es | |
ohne die Produktion von neuem Palmöl gar nicht gäbe. Noch ein Problem: Es | |
ist praktisch unmöglich herauszufinden, was wirklich im Endprodukt steckt. | |
## Fliegen ist bislang nicht öko | |
Die einzig „wirklich saubere Lösung“ fürs Fliegen ist Transport & | |
Environment zufolge synthetisches Kerosin, das mithilfe von grünem | |
Wasserstoff und aus der Luft gefiltertem CO2 hergestellt wird. | |
„Es gibt eine Vielzahl an Technologien und unterschiedliche strombasierten | |
Kraftstoffe, die im Labor ihre Funktionalität bewiesen haben“, sagt Manfred | |
Aigner vom Institut für Verbrennungstechnik des Deutschen Zentrums für | |
Luft- und Raumfahrtechnik (DLR) in Stuttgart dazu. Viele Komponenten seien | |
„relativ weit“ entwickelt. „Der abschließende Schritt, daraus einen | |
einsatzfähigen Kraftstoff herzustellen, ist allerdings noch nicht erfolgt“, | |
sagt Aigner. Im großen Stil ist das also noch Zukunftsmusik. | |
Letztlich dürfte es für den CO2-Fußabdruck der Coldplay-Tour gar nicht so | |
entscheidend sein, wie die Bandmitglieder sich nun fortbewegen, meint | |
Dietrich Brockhagen. Er hat durch sein CO2-Kompensationsunternehmen | |
Atmosfair mit den Klimabilanzen ganz verschiedener Branchen zu tun. Seine | |
gemeinnützige Firma gleicht angefallene Emissionen gegen Bezahlung | |
rechnerisch durch Klimaschutzprojekte aus. Damit das nicht zum Ablasshandel | |
werde, gelte es aber zuerst immer, den CO2-Fußabdruck so weit wie möglich | |
zu senken, sagt Brockhagen. | |
## Gut gemeint | |
Wie also die Emissionen eines Konzerts drücken? „Das Wichtige sind die | |
Fans“, so der Experte. Von denen reisten schließlich Millionen zu den | |
Auftritten der Band. Die Veranstaltungsbranche brauche da klimafreundliche | |
Standards, fordert Brockhagen. „Zum Beispiel sollte sie für Mitfahrbörsen | |
sorgen oder für Kombi-Tickets für Konzert und öffentlichen Verkehr.“ Eine | |
weitere Stellschraube sei der Ökostrom vor Ort. „Das ist für den einzelnen | |
Künstler schwer einzurichten, denn nicht jede Konzerthalle hat einen | |
Ökostrom-Vertrag.“ | |
Zumindest in diesem Bereich war Coldplay kreativ. Durch eine kinetische | |
Tanzfläche soll das Publikum selbst für Strom sorgen. Außerdem gibt es eine | |
Kooperation mit einem Autokonzern, der mit Ökostrom befüllte Batterien zu | |
den Spielorten bringt. Vielleicht ist die Klimaschutz-Strategie der Band | |
noch nicht perfekt. Aber schließlich, daran wird Chris Martins Falsett in | |
der Coldplay-Hitballade „The Scientist“ wohl regelmäßig erinnern, hat auch | |
niemand gesagt, dass es einfach werden würde. | |
22 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Oeko-Bilanz-grosser-Unternehmen/!5830561 | |
[2] https://www.transportenvironment.org/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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