# taz.de -- Menschenrechte in Belarus: Ein großes Gefängnis | |
> Viel zu wenig unternimmt Europa gegen die Menschenrechtsverletzungen in | |
> Belarus. Nun droht auch noch die schleichende Eingemeindung durch | |
> Russland. | |
Bild: Alexander Lukaschenko (l.), Präsident von Belarus, zu Besuch im Kreml | |
Die gängige Redewendung in Belarus: „Wer nicht gesessen hat, ist kein/e | |
Belarusse/in“, beschreibt sehr treffend die Tragödie, die sich direkt vor | |
der Haustür der EU abspielt. Innerhalb eines Jahres und damit seit dem 9. | |
August 2020, dem Tag der [1][gefälschten Präsidentenwahl], hat Staatschef | |
Alexander Lukaschenko die einstige Sowjetrepublik in ein großes Gefängnis | |
verwandelt. | |
Jüngstes Beispiel für seinen perfiden Rachefeldzug gegen Kritiker*innen | |
ist das Urteil gegen [2][Maria Kolesnikowa] vom Montag dieser Woche. Elf | |
Jahre soll die bekannte Oppositionspolitikerin in einem Straflager | |
absitzen. Planung eines Umsturzes und Extremismus lauten die abstrusen | |
Vorwürfe, die zum Synonym für die tatsächliche oder vermeintliche | |
Beteiligung an Protesten geworden sind und dafür herhalten müssen, | |
unbequeme Geister hinter Gitter zu bringen. | |
Dass es erst dieser drakonischen Haftstrafe für eine Prominente bedurfte, | |
um die Causa Belarus kurzzeitig wieder auf die Tagesordnung zu setzen, | |
spricht Bände. Denn Kolesnikowa ist „nur“ ein Fall von vielen. 659 | |
politische Gefangene sind derzeit bei der belarussischen | |
Menschenrechtsorganisation [3][Wjasna] (Frühling) gelistet, und täglich | |
werden es mehr. | |
Doch die Qualen und die Pein all dieser mutigen Menschen, die gefoltert, | |
gebrochen und ihrer Würde beraubt werden, ist nicht einmal mehr eine | |
Kurzmeldung wert. Hinzu kommen noch all jene Belaruss*innen, die im Ausland | |
Zuflucht gesucht haben und dort einer ungewissen Zukunft entgegensehen. Der | |
Westen hat wiederholt Sanktionen gegen Belarus verhängt – der schärfste | |
Pfeil im Köcher. | |
## Lukaschenko zu Putins Füßen | |
Und es mangelt auch nicht an Solidaritätsbekundungen – wie in dieser Woche | |
zahlreichen Statements von Politiker*innen, auch in Deutschland, zu | |
entnehmen war. Zweifellos: Die Forderung nach einer sofortigen Freilassung | |
aller politischen Gefangenen ist die einzig richtige. Sie dürfte jedoch in | |
Minsk ungehört verhallen und in Deutschland im allgemeinen | |
Wahlkampfgetümmel untergehen. Außenpolitik war noch nie ein entscheidendes | |
Feld, um bei Wähler*innen zu punkten. | |
Und Belarus ist derzeit vor allem dann ein Thema, wenn es darum geht, sich | |
vor Geflüchteten, die Lukaschenko an der EU-Außengrenze in konzertierten | |
Aktionen „abkippen“ lässt, zu schützen. So wird Europa schwersten | |
Menschenrechtsverletzungen in Belarus wohl auch weiterhin tatenlos zusehen. | |
Parallel dazu vollzieht sich eine Entwicklung, die scheinbar kaum noch | |
aufzuhalten ist und die Belaruss*innen zu „Gefangenen zwischen zwei | |
Diktaturen“ macht, wie die britische Times anmerkte. | |
Gemeint ist die schleichende „Eingemeindung“ von Belarus durch Russland, | |
die in ukrainischen und kritischen belarussischen Medien mit dem deutschen | |
Wort „Anschluss“ beschrieben wird. Das Treffen zwischen Lukaschenko und | |
Russlands Präsidenten Wladimir Putin am Donnerstag dieser Woche in Moskau, | |
bei dem eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit vereinbart wurde, diente | |
auch diesem Ziel. | |
Bislang ist der Unionsvertrag zwischen Belarus und Russland von 1999 kaum | |
das Papier wert, auf dem er geschrieben ist. Das lag auch daran, dass sich | |
Lukaschenko Bestrebungen Moskaus, die beiden Länder stärker aneinander zu | |
binden, bislang erfolgreich zu widersetzen wusste. Doch damit ist es jetzt | |
vorbei. Denn Lukaschenko, innenpolitisch geschwächt, in Europa isoliert und | |
ohnehin durch wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland nur noch ein | |
Herrscher von Moskaus Gnaden, steht mit dem Rücken zur Wand. | |
Er muss beim großen Bruder zu Kreuze kriechen. So stehen die Chancen für | |
Putin, die Landnahme zu seinen Konditionen durchzuziehen, so gut wie noch | |
nie. Er wird sie zu nutzen wissen – wohlwissend, dass kein nennenswerter | |
Widerstand zu erwarten ist. „Schivi Belarus!“ („Es lebe Belarus!“) laut… | |
ein Schlachtruf der belarussischen Opposition. Fragt sich, wie lange noch. | |
11 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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