# taz.de -- Opposition in Belarus: „Maria und Maxim sind Helden“ | |
> Maria Kolesnikowa, das Herz der belarussischen Opposition, ist zu elf | |
> Jahren Haft verurteilt worden. Ihr Anwalt muss für zehn Jahre ins | |
> Gefängnis. | |
Bild: Maria Kolesnikowa und erwartet die Urteilsverkündung am Montag | |
KIEW taz | [1][Maria Kolesnikowa, führende Figur] des Koordinierungsrats | |
der belarussischen Opposition, ist am Montag von einem Minsker Gericht zu | |
elf Jahren Haft verurteilt worden. Ihr Mitstreiter, der Anwalt Maxim Snak, | |
erhielt zehn Jahre Freiheitsentzug. | |
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich beide verschworen hätten, | |
illegal die Macht zu ergreifen und eine extremistische Vereinigung | |
gegründet hätten. Wie das Gericht zu diesem Schluss kommt, ist nicht | |
erkennbar, fand doch der Prozess bis zur Urteilsverkündung hinter | |
verschlossenen Türen statt. | |
Auch den Anwälten der Angeklagten waren die Hände gebunden, hatten sie sich | |
doch zur Verschwiegenheit bereit erklären müssen. Der Staatsanwalt hatte 12 | |
Jahre gefordert. Sofort nach Bekanntwerden des Urteils kündigte die | |
Verteidigung an, in Revision zu gehen. | |
Lange vor der Urteilsverkündung hatten sich zahlreiche Menschen vor dem | |
Gerichtsgebäude angestellt, um die Gelegenheit zu erhalten, wenigstens | |
jetzt die beiden Angeklagten sehen zu können. Vielen indes wurde der | |
Zutritt verwehrt. | |
## Drei Stunden Schlußwort | |
Ein Video des Portals sputnik.by zeigte Kolesnikowa und Snak mit | |
Handschellen in einem vergitterten Käfig im Gerichtssaal. „Jetzt habe ich | |
auch noch so einen Schmuck“, scherzte Kolesnikowa mit den Journalisten und | |
hob dabei ihre Handschellen in die Höhe. Anschließend klatschte sie mit den | |
Handschellen rhythmisch im Takt und formte mit ihren Händen das für sie | |
typische Herz. | |
Drei Stunden lang habe das Schlusswort von Maxim Snak gedauert, berichtet | |
dessen Anwalt Ewgenij Pyltschenko. Dabei sei der Jurist Snak sehr | |
detailgenau auf die Vorwürfe eingegangen. Kolesnikowa wiederum sei in ihrer | |
Rede sehr emotional gewesen, mehrfach habe der Richter versucht, sie zu | |
unterbrechen. Doch sie habe alles sagen können, was ihr wichtig gewesen | |
sei, so Pyltschenko. | |
Die Musikerin Maria Kolesnikowa war bis zu ihrer Festnahme im September | |
2020 die Seele der Protestbewegung. Sie war Sprecherin des Frauen-Trios, | |
die zum Gesicht der Oppositionsbewegung geworden waren. | |
Ganz anders als die emotionale Kolesnikowa ist ihr Mitstreiter Maxim Snak. | |
In einem Text für die Nowaja Gaseta beschreibt deren | |
Belarus-Korrespondentin Irina Chalip Snak als „glänzenden Juristen, | |
Bücherwurm und Pedanten“. Während man Kolesnikowa mit der Querflöte, | |
Emotionen, ihrem Lachen und ihrem Tanzen hinter den Gittern im Gerichtssaal | |
assoziiere, stehe Snak für Gesetzesparagrafen, Links und Ergänzungen zu | |
Gesetzestexten. | |
## Herbe Enttäuschung | |
In einer ersten Stellungnahme forderte die im litauischen Exil lebende | |
[2][Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja] die sofortige Freilassung | |
von Maria Kolesnikowa und Maxim Snak. Das Urteil sei Terror gegen das | |
belarussische Volk. „Maria und Maxim sind Helden für die BelarussInnen. Das | |
System will uns brechen und uns die Kraft nehmen. Doch seht sie an: sie | |
lachen und tanzen“, so Tichanowskaja auf Twitter. | |
„Das Urteil ist eine herbe Enttäuschung für viele hier in meinem Umfeld“ | |
berichtet die Minsker Radioingenieurin Alexandera Kondratjewa dertaz am | |
Telefon. „Die meisten reden in ihrer Küche das eine und draußen sagen sie | |
etwas ganz anderes. So ist die Stimmung.“ | |
Gleichzeitig ist sie sich sicher, dass die beiden die Haftstrafe nicht | |
absitzen werden. „Irgendwann kommt eine andere Regierung und dann werden | |
die politischen Gefangenen freigelassen“, sagt Kondratjewa. „Ich bin stolz | |
auf Maria. Sie ist so kämpferisch und ohne Aggressionen. Ich freue mich, | |
dass so viele Menschen bei der Gerichtsverhandlung dabei sein wollten.“ | |
Die Verurteilung der prominentesten Vertreter der Opposition wirft ein | |
Schlaglicht auf die Repressionen, die das Land seit der gefälschten | |
Präsidentenwahl vom 9. August 2020 erschüttern. 687 politische Gefangene | |
zählt die Menschenrechtsorganisation Wjasna aktuelle auf ihrem Portal – und | |
geht davon aus, dass sich diese Zahl erhöhen könnte. Seit Jahren | |
dokumentiert Wjasna Menschenrechtsverletzungen im Land. Immer wieder ist in | |
ihren Berichten die Rede von Folter in belarussischen Haftanstalten. | |
## Folter mit Elektroschocker | |
Wjasna hatte den Fall der fünf „Minsker Partisanen“ öffentlich gemacht. | |
Diese seien besonders schwer gefoltert worden. „40 Mal haben sie den | |
Elektroschocker eingesetzt, bis der Akku leer war“, zitiert Wjasna einen | |
der inhaftierten „Partisanen“. Auch Wjasna ist selbst gefährdet. Seit | |
Wochen ist ihr Chef und Träger des Alternativen Nobelpreises von 2020, Ales | |
Bialiatski, in Haft. | |
Derzeit stehen in Gomel drei Wjasna-Aktivisten, Leonid Sudalenko, Tatjana | |
Losiza und Maria Tarasenko vor Gericht. Sie werden der Störung der | |
öffentlichen Ordnung beschuldigt. Auch gegen sie wird hinter verschlossenen | |
Türen verhandelt. | |
Auch Umweltaktivisten werden verfolgt. So berichtet die tschechische | |
Umweltorganisation Arnika, die seit vielen Jahren mit belarussischen | |
Umweltschützern zusammenarbeitet, von zunehmenden Repressionen gegen | |
Umweltschützer. So sei kürzlich das Zentrum für umweltfreundliche Lösungen | |
verboten worden, Mitarbeiter des „Ökohauses“ stünden kurz vor einer | |
Festnahme. | |
Arnika sieht diese Repressionen in einem Zusammenhang mit dem Widerstand | |
der Umweltschützer gegen das Atomkraftwerk Ostrowez und Protesten gegen | |
eine Batteriefabrik in Brest. | |
Unterdessen wurde bekannt, dass sich Alexander Lukaschenko und Wladimir | |
Putin am 9. September in Moskau treffen werden. Dabei wird es vor allem um | |
eines gehen: die weitere Integration von Belarus in das Unionsprojekt mit | |
Russland. | |
6 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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