# taz.de -- Journalismus im Exil: Zweifach in Gefahr | |
> In Afghanistan gibt es keine Pressefreiheit mehr. Und auch über Belarus | |
> können Journalist:innen unzensiert nur noch aus dem Ausland | |
> berichten. | |
Bild: Die inzwischen im Exil lebende Beheshta Arghand interviewt einen Talibanv… | |
Sie wäre gerne in Afghanistan geblieben: um ihrer Arbeit nachzugehen und um | |
zu berichten, wie sich ihr Heimatland unter der Gewaltherrschaft der | |
Taliban wandelt. Doch die junge Journalistin, die bei einer Pressekonferenz | |
der [1][Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF)] Mitte September in Berlin | |
anonym bleiben möchte und auch sonst keine Details zu ihrem Leben und ihrer | |
Arbeit preisgibt, musste fliehen. Als Journalistin und Frau ist sie gleich | |
zweifach in Gefahr. | |
In Berlin berichtet sie von einer Moderatorin, die einen Talibanvertreter | |
im Fernsehen zu Fragen des Hidschab interviewte. Vermutlich handelt es sich | |
dabei um die inzwischen im Exil lebende Beheshta Arghand, auch wenn der | |
Name nicht genannt wurde. Später hätten Taliban sie zu Hause aufgespürt und | |
gedrängt, nicht mehr in der Redaktion zu erscheinen. Auch ihre eigene | |
Familie, erzählte die junge Journalistin in Berlin, verschanze sich zu | |
Hause, weil sie bedroht werde. „Der Druck wird größer“, sagt sie. | |
Es gibt mittlerweile Dutzende Berichte darüber, wie Journalist:innen | |
von den Taliban verfolgt, bedroht, in Gefängnisse gesteckt und verprügelt | |
werden, wenn sie es etwa wagen, über eine Frauendemonstration in Kabul zu | |
berichten. Vor allem in den Provinzen würden kaum mehr Journalist:innen | |
arbeiten, zu groß sei die Gefahr, berichtet die Journalistin. Einige | |
Medienschaffende konnten fliehen – [2][wenige nach Deutschland], die | |
meisten in Drittländer wie Pakistan oder Usbekistan. Das Schicksal weiterer | |
Journalist:innen im Land bleibt unklar. | |
In den letzten zwanzig Jahren hatte sich in Afghanistan eine plurale | |
Medienlandschaft entwickelt – die nun im Begriff ist, zerstört zu werden. | |
Schon jetzt wird weniger über die Situation vor Ort berichtet. | |
## Medienschaffende willkürlich verhaftet | |
Solch einen Exodus von Medienschaffenden konnte man zuletzt etwa in Belarus | |
beobachten. Das Regime von Alexander Lukaschenko ging ab August 2020 brutal | |
gegen die Massenproteste auf den Straßen vor – und gegen kritische | |
Berichterstattung. Heute befindet sich das Land auf Platz 158 von 180 der | |
RSF-Rangliste der Pressefreiheit. Medienschaffende werden willkürlich | |
verhaftet und in einigen Fällen zu Tode geprügelt. Mittlerweile berichten | |
belarussische Journalist:innen vorwiegend aus dem Ausland, vor allem | |
aus Polen, wie der TV-Sender Belsat oder der Infokanal Nexta auf Telegram. | |
Sie versorgen die Belaruss:innen mit Informationen, die sie im eigenen | |
Land nicht mehr bekommen. | |
Wäre ein solches Modell, ein Netz aus Exilmedien, auch für Afghanistan | |
möglich? Um das zu beurteilen, sei es noch zu früh, heißt es bei RSF. Noch | |
sei die Organisation eher damit beschäftigt, bedrohte Medienschaffende nach | |
Deutschland zu bringen. Deren Evakuierung aus Kabul gestaltete sich | |
unkoordiniert und unnötig bürokratisch, kritisiert Christopher Resch, | |
Sprecher von RSF in Berlin. Noch immer befinden sich mindestens 152 | |
bedrohte Personen in Afghanistan, die gerne ausreisen möchten und deren | |
Namen die Organisation der Bundesregierung übermittelt hat – lange ohne | |
konkrete Antwort. Nun sollen laut Auswärtigem Amt 2.600 Menschen eine | |
bedingungslose Bleibeperspektive erhalten, darunter auch jene 152 Personen. | |
Resch fordert, solche unbürokratischen Wege öfter und schneller zu | |
beschreiten, wenn es um Journalist:innen geht, die ins Exil gehen | |
möchten oder müssen. Er nennt Artikel 21 und 22 der EU-Aufnahmerichtlinie, | |
die die Aufnahme von Personen, die als besonders schutzwürdig erachtet | |
werden, an Asylfragen vorbei ermöglicht. Belarussischen | |
Journalist:innen wurde auf diesem Weg schon des öfteren die Aufnahme | |
ermöglicht. „Wir haben bei Belarus gesehen, dass es geht“, sagt Resch und | |
hofft auf ähnliche Wege für Medienschaffende aus Afghanistan. „Schleppende | |
Bürokratie gefährdet Menschenleben.“ | |
Für belarussische Exiljournalist:innen sind die Bleibeperspektiven | |
gut, bestätigen verschiedene Quellen. Da sei eine Sensibilisierung der | |
Bundesregierung zu spüren, sagt auch Resch. Doch es bleibt das Hindernis, | |
dass Behörden bei der Ankunft von Geflüchteten keine Berufsbezeichnungen | |
erheben. Im Fall von Journalist:innen ist das ohnehin schwierig, weil | |
der Begriff nicht geschützt ist. Ist eine Bloggerin oder der Betreiber | |
einer oppositionellen Telegram-Gruppe ein:e Journalist:in? Auch fliehen | |
Menschen meist nicht aus einem einzigen Grund, was die Einordnung als | |
Exiljournalist:in zusätzlich erschwert. | |
## Deutsche Medien nicht offen | |
Deutschland ist und bleibt ein wichtiges Ziel für Exiljournalist:innen. | |
Die meisten Nothilfeanfragen erhält RSF nach wie vor aus der Türkei (sicher | |
auch, weil es hier schon eine große Diaspora und damit auch berufliche | |
Anknüpfungspunkte gibt), doch zunehmend auch aus Belarus und Afghanistan. | |
Doch nicht nur Schutzgarantien sind wichtig. Die Betroffenen wollen auch | |
ihrer Arbeit nachgehen. Aber angekommen in Deutschland, stehen die | |
Exiljournalist:innen plötzlich ohne ihr Netzwerk da, ohne | |
Vor-Ort-Kontakte, ohne Aufträge, meist können sie nicht einmal ihre Sprache | |
verwenden – ihr bis dahin wichtigstes Werkzeug. Die deutschen Medien zeigen | |
sich auch nicht gerade offen, Stimmen von Exiljournalist:innen kommen | |
nur am Rande oder gar nicht vor. Nur vereinzelt gibt es Praktikums- oder | |
Volontariatsstellen, die sich bewusst an Geflüchtete richten, etwa das | |
Integrationsvolontariat der Medienanstalt Berlin-Brandenburg bei ALEX | |
Berlin, dessen Finanzierung jedoch im Mai 2020 ausgelaufen ist. | |
Dabei kann eine Anbindung an ein Medienhaus bei der Bleibeperspektive | |
helfen – zwar nicht rechtlich im Asylprozess, aber zur „gesellschaftlichen | |
Eingliederung“, sagt Resch. Auch die Körber-Stiftung fordert in ihrem | |
Bericht zu Exiljournalismus von 2019 die deutschen Medien auf, geflüchtete | |
Journalist:innen bei ihrem Ausbildungsangebot zu berücksichtigen. Auch | |
Beiträge von Exiljournalist:innen übersetzen zu lassen sei eine | |
Möglichkeit, um mehr „Diversität“ und „neue Perspektiven“ in die | |
Berichterstattung zu bekommen. | |
Mittlerweile gibt es in Deutschland einige Exilmedien, die aus der Ferne | |
berichten. So informiert in Deutschland etwa Özgürüz, eine vom wohl | |
bekanntesten Exiljournalisten Can Dündar gegründete Plattform, über | |
Entwicklungen in der Türkei. Ein anderes Beispiel ist die in Berlin | |
ansässige aserbaidschanische Plattform Meydan TV, die 2013 vom Blogger und | |
ehemaligen politischen Gefangenen Emin Milli gegründet wurde und | |
Nachrichten auf Aserbaidschanisch, Englisch und Russisch veröffentlicht. | |
Daneben gibt es noch Exilmedien mit anderem Zielpublikum: Sie wollen | |
entweder andere in Deutschland lebende Geflüchtete ansprechen oder ein | |
deutsches Publikum über die Lage Geflüchteter im Land informierten, wie es | |
das Hamburger Magazin Flüchtling des Syrers Hussam Alzaher tut. | |
Auch taz.gazete berichtete ab 2016 nach dem Putschversuch in der Türkei auf | |
Deutsch und Türkisch über das Land. Wegen Finanzierungsproblemen musste das | |
Projekt 2020 eingestellt werden. Viele Exilmedien in Deutschland stehen vor | |
ähnlichen Schwierigkeiten. Doch staatliche Hilfe für solche Medien ist, bis | |
auf wenige Projekte, kaum vorhanden und wird von einigen auch kritisch | |
gesehen. Schließlich muss in Deutschland Berichterstattung vom Staat | |
unabhängig sein. Andere Maßnahmen wie Deutschkurse speziell für | |
Medienschaffende oder Aufklärungsarbeit über das deutsche Mediensystem, wie | |
sie die Körber-Stiftung fordert, wären aber machbar. | |
## Familie in Gefahr | |
Die Berichterstattung aus der Ferne, vor allem wenn sich das Heimatland im | |
Krisenmodus befindet, ist dann auch nicht einfach. Im Exil fehlt der | |
direkte Kontakt zu Quellen vor Ort. Digitale Wege helfen, doch sie können | |
auch unsicher sein, warnt RSF-Sprecher Resch. Hier brauche es Schulungen im | |
richtigen Umgang. Vieles laufe zudem über soziale Medien, doch die knicken | |
häufig unter dem Druck autoritärer Regime ein. | |
Facebook sperrt immer wieder journalistische Inhalte, etwa vom in Berlin | |
lebenden vietnamesischen Journalisten Trung Khoa Le. Nachrichten seiner | |
Seite thoibao.de, die in Vietnam durch eine Firewall blockiert ist, teilt | |
er auch über Facebook, um so die Zensur zu umgehen. Doch seit zwei Jahren | |
löschen Facebook und Youtube seine Inhalte immer wieder auf Verlangen der | |
Hanoier Regierung. Und zuletzt sperrte sogar Telegram vor der russischen | |
Parlamentswahl alternative Wahllisten des Teams um den Kremlkritiker Alexei | |
Nawalny. Nicht zuletzt stellt sich für die Exiljournalist:innen die | |
Frage, ob sie überhaupt berichten wollen oder können. Denn gerade in | |
Afghanistan – wie die anonyme Journalistin in Berlin schilderte – ist dann | |
auch die Familie in Gefahr. Taliban gehen von Tür zu Tür und machen | |
Angehörige ausfindig, um sie in Sippenhaft zu stecken. | |
„Wir wollen nicht, dass der Journalismus in Afghanistan wie von 1996 bis | |
2001 ausstirbt“, heißt es in einem Appell von 103 afghanischen | |
Journalist:innen am 18. September. Sie bitten um internationale | |
Unterstützung, vor allem für den Journalismus im eigenen Land. Sie wollen | |
bleiben, sie wollen berichten. „Die Zeit drängt“, sagen sie. | |
1 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Neue-Rangliste-zur-Pressefreiheit/!5767146 | |
[2] /Rettung-aus-Afghanistan/!5792997 | |
## AUTOREN | |
Jana Lapper | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Journalismus | |
Zensur | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Schwerpunkt Krisenherd Belarus | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Schwerpunkt Krisenherd Belarus | |
Belarus | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Belarus | |
Schwerpunkt Krisenherd Belarus | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Journalist*innen aus dem Beruf gedrängt: Afghanische Medien in Trümmern | |
Der lebhafte Journalismus droht nach der Machtübernahme der Taliban | |
auszusterben. Reporter ohne Grenzen bekommt fast täglich Hilferufe. | |
Journalismus in Grenzregionen: Grüne Grenze des Schweigens | |
An den EU-Außengrenzen wird die Pressefreiheit stark eingeschränkt. Gerade | |
dort aber ist unabhängige Berichterstattung enorm wichtig. | |
Pressefreiheit in Belarus: Bürokratische Unterdrückung | |
Der belarussische Machthaber Lukaschenko geht immer härter gegen | |
Journalist:innen vor – mit Gewalt und Gesetzen. | |
Medienfreiheit in Afghanistan: Taliban verbieten Serien mit Frauen | |
TV-Sender in Afghanistan dürfen keine Filme oder Serien mehr zeigen, in | |
denen Frauen eine Rolle spielen. Das hat die Taliban-Regierung entschieden. | |
Journalist über Arbeit in Afghanistan: „Es ist eine harte Zeit“ | |
Der Journalismus hat sich seit der Machtübernahme der Taliban verändert. | |
Viele Journalisten schreiben anonym aus dem Exil, sagt Samidullah Mahdi. | |
Afghan*innen in der Türkei: Flucht in die Perspektivlosigkeit | |
Zehntausende Geflüchtete aus Afghanistan leben in der Türkei. Aktuell blüht | |
das Schleppergeschäft wieder. Viele landen in der Illegalität. | |
Pressefreiheit in Mexiko: Sicherheitskräfte sind die Gefahr | |
In Mexiko findet alle zwölf Stunden ein Übergriff auf Medienschaffende | |
statt. Die Täter*innen sind meist so genannte Sicherheitskräfte. | |
Völkerrechtler über Taliban-Regierung: „Pragmatische Anerkennung denkbar“ | |
Wie soll Deutschland mit den neuen Machthabern in Afghanistan umgehen? | |
Völkerrechtler Matthias Hartwig über Möglichkeiten und Grenzen der | |
Diplomatie. | |
Festivalzensur in Belarus: Kultur unter Kontrolle | |
Film- und Theaterfestivals werden zerstört, absurde Festnahmen gehen in | |
Belarus weiter. Olga Deksnis erzählt vom Leben in Minsk in stürmischen | |
Zeiten. Folge 104. | |
Menschenrechte in Belarus: Ein großes Gefängnis | |
Viel zu wenig unternimmt Europa gegen die Menschenrechtsverletzungen in | |
Belarus. Nun droht auch noch die schleichende Eingemeindung durch Russland. | |
Frauen aus Afghanistan berichten: Auf Zusagen folgen Schläge | |
Die Taliban unterdrücken Proteste von Frauen mit Gewalt. Demonstrantinnen | |
aus Afghanistan berichten, wie wenig sich die Islamisten geändert haben. | |
Freiheitsrechte in Afghanistan: Radeln gegen die Taliban | |
Junge AfghanInnen berichten vom Vormarsch der Islamisten. Und warum sie | |
trotzdem an ihren Träumen von einem besseren und freieren Leben festhalten. |