| # taz.de -- Völkerrechtler über Taliban-Regierung: „Pragmatische Anerkennun… | |
| > Wie soll Deutschland mit den neuen Machthabern in Afghanistan umgehen? | |
| > Völkerrechtler Matthias Hartwig über Möglichkeiten und Grenzen der | |
| > Diplomatie. | |
| Bild: Patrouille der Taliban am 4. Oktober in Kabul | |
| taz: Herr Hartwig, die Taliban [1][drängen auf eine völkerrechtliche | |
| Anerkennung als Regierung Afghanistans]. Können sie damit rechnen? | |
| Matthias Hartwig: Die meisten Staaten verzichten auf die ausdrückliche | |
| völkerrechtliche Anerkennung von Regierungen, wenn ein Staat bereits | |
| besteht wie in Afghanistan. Eine ausdrückliche Anerkennung wird nur bei | |
| einem neuen Staat, etwa dem Kosovo, ausgesprochen. | |
| Gilt das auch für die deutsche Außenpolitik? | |
| Auch das deutsche Außenministerium erklärt: „Die Bundesregierung anerkennt | |
| Staaten, nicht Regierungen.“ In der Praxis ist die Anerkennung einer | |
| Regierung durch andere Staaten bisweilen aber doch wichtig. | |
| Was hätten die Taliban von einer Anerkennung? | |
| Sie könnten zum Beispiel auf die eingefrorenen Devisen-Reserven | |
| Afghanistans zugreifen, sie könnten Botschafter entsenden und sie könnten | |
| Verträge mit anderen Staaten schließen, zum Beispiel über | |
| Entwicklungszusammenarbeit. | |
| Von wie vielen Staaten wurden die Taliban bereits als Regierung anerkannt? | |
| Von keinem einzigen Staat. | |
| Woran erkennt man, ob zum Beispiel Deutschland die Taliban faktisch als | |
| Regierung anerkennt? | |
| Ein wichtiges Signal wäre, wenn ein Entsandter der Taliban-Regierung in | |
| Deutschland als afghanischer Botschafter akzeptiert würde. | |
| Wer entscheidet das? | |
| Ein designierter Botschafter braucht ein „Agrément“ – eine Zustimmung -,… | |
| in Deutschland sein Amt auszuüben. Dieses Agrément erteilt der | |
| Bundespräsident auf Empfehlung des Außenministers. | |
| Auch wenn das deutsche Außenministerium anderes behauptet: faktisch scheint | |
| es ja schon so etwas zu geben, wie die Anerkennung von Regierungen? | |
| Die Diplomatie liebt die Mehrdeutigkeit, denn sie verschafft | |
| Handlungsoptionen. | |
| Wäre auch die Wiedereröffnung der deutschen Botschaft in Kabul eine | |
| Anerkennung der Taliban? | |
| Nicht automatisch. Russland lässt seine Botschaft in Kabul weiterarbeiten, | |
| erkennt die Taliban aber noch nicht an. | |
| Wären direkte Gespräche der Bundesregierung mit den Taliban eine | |
| Anerkennung als Regierung? | |
| Nein. Es gibt derzeit durchaus bereits Gespräche. Botschafter Markus Potzel | |
| führt sie in Doha, der Hauptstadt von Katar, mit dem dort angesiedelten | |
| Politischen Büro der Taliban. | |
| Wären Geldzahlungen an die Taliban eine faktische Anerkennung als | |
| Regierung? | |
| Auch hier besteht kein Automatismus. Die Bundesregierung hat bereits Gelder | |
| für humanitäre Hilfe zugesagt. Zahlungen im Rahmen der | |
| Entwicklungszusammenarbeit sind jedoch ausgesetzt. | |
| Was ist in der Praxis Voraussetzung für die Anerkennung einer Regierung? | |
| Meist spielt die Anerkennung eine Rolle, wenn es zwei oder mehr | |
| konkurrierende Regierungen gibt. Dann kommt es vor allem darauf an, welche | |
| Seite sich durchsetzt und die faktische Kontrolle im Land übernimmt. | |
| Ursache der Konstellation kann ein Bürgerkrieg sein, ein Putsch oder ein | |
| umstrittener Wahlausgang mit Manipulationsvorwürfen. | |
| Im Fall Afghanistan ist die Lage aber eindeutig. Die Taliban haben sich | |
| landesweit durchgesetzt, die alte Regierung von Aschraf Ghani ist geflohen | |
| und sieht sich auch nicht mehr als legitime Vertretung Afghanistans. | |
| Worauf kommt es bei der Anerkennung der Taliban dann an? | |
| Das können die Staaten nach eigenem politischen Ermessen entscheiden. Die | |
| Bundesregierung hat als Voraussetzung für einen Neustart der | |
| Entwicklungszusammenarbeit konkrete Bedingungen aufgestellt: dass | |
| [2][Frauen- und Menschenrechte geachtet werden], dass eine inklusive – also | |
| breit verankerte – Regierung gebildet wird, dass die Taliban humanitäre | |
| Hilfslieferungen ermöglichen und dass Afghanistan nicht zu einem neuen Hort | |
| des Terrorismus wird. | |
| Wird die Taliban-Regierung früher oder später doch anerkannt, auch wenn sie | |
| nicht die Bedingungen erfüllt? | |
| Im Moment sind die Bedingungen sicher ein Versuch, Druck auf die Taliban | |
| auszuüben, sie in eine bestimmte Richtung zu lenken. Falls dies scheitert, | |
| ist eine Anerkennung aus pragmatischen Gründen dennoch denkbar. Auch die | |
| menschenrechts-feindlichen Regierungen von Nordkorea und Saudi-Arabien | |
| werden ja weltweit als Verhandlungspartner akzeptiert. | |
| Allerdings sind die Taliban in ihrer ersten Herrschaftsphase von 1996 bis | |
| 2001 nur von drei Staaten als Regierung Afghanistans anerkannt worden. Das | |
| waren damals Pakistan, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen | |
| Emirate. | |
| Orientieren sich die Staaten bei der Anerkennung an der UNO? | |
| Das können sie, müssen es aber nicht. Die Taliban wollten Ende September | |
| für Afghanistan auf der UN-Generalversammlung sprechen, durften es aber | |
| noch nicht. Der zuständige Ausschuss, dem neun Staaten angehören (USA, | |
| Russland, China, Schweden, Namibia, Bahamas, Bhutan, Sierra Leone, Chile), | |
| hat die Entscheidung verschoben. Auch die neue Militärjunta von Myanmar | |
| wurde in diesem Jahr noch nicht als Vertretung des Landes zugelassen. | |
| Entscheidet Deutschland souverän über die Anerkennung der Taliban oder | |
| fällt die Entscheidung auf Ebene der europäischen Union? | |
| Es ist zwar politisch sinnvoll, sich auf EU-Ebene abzusprechen. Die | |
| Außenpolitik ist aber nicht harmonisiert. Letztlich entscheidet jeder | |
| EU-Staat für sich. | |
| 8 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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