| # taz.de -- Journalist über Arbeit in Afghanistan: „Es ist eine harte Zeit“ | |
| > Der Journalismus hat sich seit der Machtübernahme der Taliban verändert. | |
| > Viele Journalisten schreiben anonym aus dem Exil, sagt Samidullah Mahdi. | |
| Bild: Journalisten in Afghanistan arbeiten unter harten Bedingungen | |
| taz am wochenende: Herr Mahdi, Sie haben PAYK Media, ein Zentrum für | |
| investigativen Journalismus in Afghanistan, mitgegründet. [1][Die Taliban | |
| haben die Macht ergriffen, PAYK publiziert trotzdem weiter. Wie arbeiten | |
| Sie gerade?] | |
| Samidullah Mahdi: Unser Büro in Kabul mussten wir schließen. Aber unsere | |
| Reporter recherchieren trotzdem weiter, in verschiedenen Teilen des Landes. | |
| Sie senden uns ihre Artikel und wir veröffentlichen sie online, ohne ihre | |
| Namen. Unsere Reporter machen immer noch ihre Arbeit, prüfen Fakten, | |
| sprechen mit Informanten. Auskünfte von den Taliban zu bekommen ist aber | |
| sehr schwierig, sie sprechen nur selten mit den Medien. Vor allem, wenn | |
| das, was sie schreiben, nicht in ihrem Interesse ist. Für uns ist es eine | |
| harte Zeit. | |
| Als PAYK 2011 entstand, lag die Machtübernahme der Taliban in weiter Ferne. | |
| Wie ging es den Medien damals? | |
| Für uns als Medienschaffende war das die beste Zeit. Es gab wahnsinnig viel | |
| Hoffnung, es lag so viel Energie in der Luft. Als wir PAYK gegründet haben, | |
| waren wir das erste investigative Projekt in Afghanistan; diese Art des | |
| Journalismus war damals noch ganz neu. Seitdem ist der investigative | |
| Journalismus quasi erwachsen geworden, wir haben Hunderte Artikel | |
| publiziert. Dutzende Journalisten in allen Landesteilen haben für uns | |
| geschrieben und recherchiert. | |
| Damals gab es eine richtige Medienrevolution: Die Medien wurden zu einer | |
| der einflussreichsten Institutionen des Landes. Wir als Journalisten waren | |
| stolz auf diese Verbesserung. Wir waren ein Beispiel für die umliegenden | |
| Länder, keiner unserer Nachbarn hatte das gleiche Niveau an Pressefreiheit | |
| oder Diversität in den Medien erreicht. | |
| Haben die Menschen in Afghanistan den Medien vertraut? | |
| Ja, das haben unabhängige Studien, etwa der Asia Foundation, bestätigt. Nur | |
| den Moscheen und religiösen Persönlichkeiten vertrauten die Afghanen und | |
| Afghaninnen noch mehr. Das bedeutet: Den Medien wurde mehr Vertrauen | |
| entgegengebracht als der Regierung und ihren verschiedenen Institutionen, | |
| sogar mehr als Nichtregierungsorganisationen. Man sieht daran, welch | |
| wichtige Rolle wir Journalisten gespielt haben. | |
| Aber auch während dieser „Goldenen Zeit“ wurden immer wieder Journalisten | |
| getötet, in der Rangliste der Pressefreiheit kletterte Afghanistan nie | |
| höher als auf Platz 118 von 180. | |
| Afghanistan ist eines der blutigsten Länder für Journalisten, ich haben | |
| viele meiner Kollegen über die Jahre verloren – 2018 wurden elf | |
| Journalisten an einem Tag ermordet, bei zwei verschiedenen Terrorattacken. | |
| Und 2016 haben wir sieben Kollegen an einem Tag verloren, dazu kamen mehr | |
| als ein Dutzend Verletzte. Es war nie einfach, wir standen immer unter dem | |
| Druck verschiedener Terrorgruppen. Sie haben uns bewusst angegriffen. | |
| Die Taliban haben zum Beispiel 2015 Medien als „Militärziele“ definiert, | |
| und 2016 einen Anschlag auf Journalisten von ToloTV, einen privaten | |
| TV-Sender, verübt. Aber: Es gab zu dieser Zeit weder private noch | |
| staatliche Einschränkungen der Pressefreiheit. Manche Themen waren immer | |
| „tabu“, Religion zum Beispiel. Abgesehen davon: Weder im TV noch im Radio | |
| noch in Zeitungen gab es vor oder nach der Veröffentlichung irgendeine Art | |
| von Zensur, nicht einmal bei Stücken, die den Präsidenten selbst betrafen. | |
| Für ein Land wie Afghanistan ist das – auch im Vergleich zu unseren | |
| Nachbarn – einzigartig in seiner Geschichte. | |
| Sie haben den Privatsender ToloTV erwähnt. Wie sieht die Medienlandschaft | |
| in Afghanistan aus? | |
| Die Mehrheit der Bevölkerung bevorzugt private TV- und Radiosender. ToloTV | |
| ist seit zwanzig Jahren der Marktführer, sowohl für Entertainment als auch | |
| für Nachrichten. Einige private Sender sind im Besitz von sogenannten | |
| „Strong Men“ – mächtige Politiker, ehemalige Regierungsangestellte, frü… | |
| „Warlords“, wobei man dieses Wort vorsichtig gebrauchen sollte. Wir haben | |
| auch eine staatliche Rundfunkanstalt – Radio Television Afghanistan –, die | |
| sehr groß ist, aber leider auch sehr unpopulär. Der Marktanteil ist gering, | |
| nur etwa zwei bis drei Prozent. Dann gibt es noch internationale Medien, | |
| zum Beispiel Deutsche Welle oder Radio Free Europe. | |
| Vor allem die beliebten privaten Medien haben unter der Machtübernahme der | |
| Taliban gelitten. Über 150 mussten den Betrieb einstellen. Und vor allem | |
| staatliche Medien publizieren, was die Taliban ihnen vorsetzen, oder werden | |
| zumindest von ihnen beeinflusst. Auch bei privaten Sendern gibt es kaum | |
| mehr kritische Berichterstattung über die Taliban. Ein Beispiel: Mehrere | |
| Sender hatten die Taliban als „Regierung“ bezeichnet. Die Taliban haben sie | |
| daraufhin gezwungen, sie stattdessen „Islamisches Emirat Afghanistan“ zu | |
| nennen, obwohl keine andere Regierung der Welt diesen Titel anerkannt hat. | |
| Sie versuchen, sich so Legitimation zu verschaffen. | |
| Wenn Sie sich zurückerinnern an die Jahre 1996 bis 2001, als die Taliban | |
| schon einmal von Kabul aus regierten: Lässt sich ihr damaliges Verhalten | |
| mit dem heutigen vergleichen? | |
| Die Taliban sind nur zu denen freundlich, die ihre Meinung teilen. Sie | |
| wollen eine Gesellschaft, die nur ein Gesicht, eine Stimme, eine Farbe hat. | |
| Sie waren schon immer gegen jegliche Vielfalt. In den 1990ern gab es nur | |
| einen TV-Sender in Afghanistan, der vom Staat betrieben wurde, den haben | |
| die Taliban sofort dichtgemacht. Denn jede Art von Bild war in ihrer | |
| Interpretation des Islam verboten. | |
| Heute nutzen sie selbst diese Medien, aber: Seit der Machtübernahme gibt es | |
| im staatlichen Fernsehen keine Reporterinnen oder Moderatorinnen mehr. Noch | |
| treten bei den privaten Sendern Frauen auf, aber deutlich weniger. Die | |
| verbliebenen Journalisten und Journalistinnen arbeiten unter extremer | |
| Zensur und schwierigen Bedingungen. Viele wurden von den Taliban verhaftet, | |
| gefoltert, entführt und getötet. Die Erfahrensten haben das Land bereits | |
| verlassen. | |
| So wie Sie. | |
| So wie ich, ja. Denn die grundsätzliche Einstellung der Taliban gegenüber | |
| den Medien hat sich nicht verändert. Wir sehen immer wieder: Wenn es | |
| Demonstrationen auf den Straßen Kabuls gibt und Journalisten darüber | |
| berichten wollen, werden sie von den Taliban verprügelt. Erst vor zwei | |
| Wochen ist das wieder passiert, es gab viele Videos davon in den sozialen | |
| Medien. | |
| Die Taliban sind mittlerweile auch auf Twitter. | |
| Sie nutzen seit Jahren Netzwerke wie Twitter und Facebook und | |
| veröffentlichen dort ihre Propaganda. Zusätzlich nutzen sie jetzt auch | |
| traditionelle Medien für ihre Zwecke. Zwischen Propaganda und Fakten zu | |
| unterscheiden, wird so immer schwieriger. Denn Medien können diese | |
| Unterscheidung nicht mehr öffentlich treffen. | |
| Die Taliban sind nicht die einzige Bedrohung für Journalisten. Auch die | |
| Terrororganisation IS-KP, ein Ableger des „Islamischen Staats“, geht brutal | |
| gegen sie vor. | |
| IS-KP hat die abscheulichsten Anschläge der letzten Jahre für sich | |
| reklamiert, etwa den Mord an drei Journalistinnen im Frühjahr 2021. Aber | |
| ehrlich gesagt sehe ich kaum einen Unterschied zwischen ihnen und den | |
| Taliban, die in der Vergangenheit genauso vorgegangen sind. | |
| In letzter Zeit sind die Angriffe der Taliban zurückgegangen, dafür sind | |
| die von IS-KP deutlich gestiegen. Manche, auch frühere | |
| Regierungsangestellte, glauben, dass es die Taliban selbst sind, unter dem | |
| Deckmantel von IS-KP. Denn unter der Bevölkerung waren die letzten Angriffe | |
| gegen Journalisten sehr unpopulär. Belege dafür gibt es aber bisher nicht. | |
| Wie können wir die Medienschaffenden unterstützen? | |
| Das ist eine sehr wichtige Frage. Erstens: Die internationale Presse muss | |
| weiter über Afghanistan berichten [2][und vor allem über die Lage der | |
| Menschenrechte, Frauenrechte, Freiheitsrechte, alle Arten von Rechten.] | |
| Zweitens: Viele afghanische Journalisten und Journalistinnen mussten das | |
| Land verlassen. Aber sie möchten trotzdem weiter in ihrem Beruf arbeiten. | |
| Manche gründen Start-ups, bauen Exilmedien auf. Sie zu unterstützen, ist | |
| wichtig. | |
| Drittens: Internationale Medien würden stark davon profitieren, afghanische | |
| Journalisten und Journalistinnen einzustellen. Sie sind erfahren, kennen | |
| das Land aus ihrer eigenen Erfahrung, haben Kontakte. Gerade Berichte über | |
| Afghanistan hätten so mehr Tiefe. Auch die, die noch in Afghanistan sind, | |
| möchten publizieren, aber nicht unter ihrem Namen. Sie könnten mit | |
| Medienschaffenden im Exil zusammenarbeiten und so weiter berichten, was in | |
| Afghanistan passiert. Ich wünsche mir, dass wir als Journalisten unser Volk | |
| weiterhin mit objektiven und unabhängigen Informationen versorgen können. | |
| Und dass ich eines Tages zurückkehren kann, um mein Land zurückzufordern. | |
| 8 Nov 2021 | |
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| Lisa Schneider | |
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