# taz.de -- Präsidenten-Wahl in Belarus: Mit Gewalt zum nächsten Sieg | |
> Bei der Wahl in Belarus will Präsident Lukaschenko 80 Prozent der Stimmen | |
> erhalten haben. Proteste gegen Fälschungen lässt er niederschlagen. | |
Bild: Geballte Staatsmacht: Ein Demonstrant spricht mit Sicherheitskräften, di… | |
KIEW taz | „Nur für Erwachsene“, heißt es im Vorspann des Videos. Und es | |
zeigt, wie ein Lastwagen der belarussischen Polizeieinsatztruppen einen | |
Protestierenden überfährt. Die Szene spielte sich am Sonntagabend im | |
Zentrum der weißrussischen Hauptstadt Minsk ab. Am Montag konnte Walentin | |
Stefanowitsch vom Minsker Menschenrechtszentrum Vjasna (Frühling) nur noch | |
den Tod des Demonstranten melden. | |
Fotos in sozialen Netzwerken zeigten Demonstranten mit blutüberströmten | |
Gesichtern, die zum Teil bewegungslos am Boden lagen, und Polizisten, die | |
sich daranmachten, die Verletzten wegzubringen. | |
„Schrecklich war es, einfach nur schrecklich, was sich im Zentrum unserer | |
Hauptstadt am Sonntag Abend abgespielt hat“, berichtet die Lehrerin Nadja | |
aus Weißrusslands Hauptstadt Minsk am Telefon. „Obwohl unsere Jungs und die | |
jungen Frauen gewusst hatten, was ihnen bevorstehen kann, haben sie | |
Barrikaden gebaut, sich der Polizei entgegengestellt“, so die 50-Jährige. | |
„Es war eine Mischung aus Angst, Entschlossenheit und Aufbruchstimmung, die | |
ich bei den jungen Leuten auf den Barrikaden gesehen habe“, berichtet sie | |
und entschuldigt sich, dass sie nicht gut genug informiert sei. „Das | |
Internet ist im ganzen Land blockiert. Und bei Telegram funktioniert nur | |
noch die SMS-Funktion“, klagt sie. | |
Demgegenüber beteuerte [1][Präsident Alexander Lukaschenko], seinen | |
Informationen zufolge seien die Demonstranten vom Ausland aus zu den | |
Aktionen angestachelt worden. Einen Maidan werde er in Belarus nicht | |
zulassen. | |
In der weißrussischen Hauptstadt Minsk war die Polizei in der Nacht von | |
Sonntag auf Montag mit Wasserwerfern, Gummigeschossen und Blendgranaten | |
gegen Zigtausende von Demonstranten vorgegangen. Die weißrussische | |
Menschenrechtsorganisation Charta97 spricht von über 100.000 Menschen, die | |
allein in Minsk aus Wut über die Wahlfälschung auf die Straße gegangen | |
seien. | |
Nach Angaben des weißrussischen Innenministeriums seien landesweit | |
[2][3.000 Demonstranten festgenommen], 50 Zivilisten und 39 Polizisten | |
verletzt worden. Nach Berichten der Menschenrechtsorganisation Vjasna seien | |
unter den Festgenommenen auch 16 Journalisten und 40 Wahlbeobachter. | |
Zahlreiche Demonstranten und Journalisten wurden in der Nacht verletzt. Die | |
Nachrichtenagentur Belapan berichtet von einem jungen Mann, der durch die | |
Explosion einer Blendgranate am Bein verletzt worden sei. Mstislaw | |
Tschernow, Kameramann der Nachrichtenagentur Associated Press, wurde von | |
Polizisten zusammengeschlagen und musste zu einem Arzt gebracht werden. | |
## Wahlbeteiligung bei 84 Prozent | |
Die Regierung hatte sich offensichtlich auf einen Sturm der offiziellen | |
Wahlkommission vorbereitet. Dies geht aus einer Erklärung der Wahlleiterin | |
Lidia Jermoschina hervor. Sie sei um ein Uhr nachts aus dem | |
Regierungsgebäude evakuiert worden. | |
Nach Angaben der offiziellen Wahlkommission soll Alexander Lukaschenko bei | |
einer Wahlbeteiligung von 84 Prozent mit 80,23 Prozent der Stimmen die Wahl | |
gewonnen haben. Seine Herausforderin Swetlana Tichanowska sei auf 9,9 | |
Prozent gekommen. | |
Die Opposition legt völlig andere Zahlen vor. So haben nach einer von der | |
Opposition durchgeführten Befragung von 85.500 Personen 72,1 Prozent | |
angegeben, sie hätten ihre Stimme Swetlana Tichanowska gegeben, 13,7 | |
Prozent Alexander Lukaschenko, berichtet die Charta97. Herausfordererin | |
Tichanowskaja indes erklärte sich zur Gewinnerin der Wahl. Jetzt liege an | |
es an der Regierung, so die 37-Jährige, wie sie die Macht friedlich | |
übergebe. | |
Auch außerhalb der Hauptstadt gingen die Menschen gegen die Wahlfälschungen | |
auf die Straße. Hier war die Polizei nicht immer überlegen. So zeigt ein im | |
Internet kursierendes Video, wie Polizeispezialkräfte (Omon) in | |
Baranowitschi vor den Demonstranten fliehen. | |
## Mit aller Härte | |
In Pinsk redete der Chef des Stadtrats mit den Demonstrierenden. Zuvor | |
hatten dort die Omon-Polizisten ihre Schutzschilder vor den Demonstranten | |
auf den Boden gelegt. Auch in Grodno, Brest, Witebsk, Kobrin und Soligorsk | |
zogen Tausende durch die Stadt. | |
Die Behörden wollen festgenommene Demonstranten mit aller Härte bestrafen. | |
Man werde Strafverfahren wegen „Massenunruhen und Gewalt gegen die Miliz“ | |
einleiten, zitiert die Nachrichtenagentur Belapan den Chef des staatlichen | |
Ermittlungskomitees, Iwan Noskewitsch. Bei einer Verurteilung drohten | |
Haftstrafen zwischen 8 und 15 Jahren. | |
Nun gelte es, sofort mit dem landesweiten Generalstreik zu beginnen, | |
erklärte Dmitrij Bondarenko, Sprecher der Kampagne Europäisches Belarus. | |
Jeden Tag sollten sich die Menschen an zentralen Orten versammeln und den | |
Abgang von Alexander Lukaschenko fordern. | |
Der in Moskau erscheinende Moskowskij Komsomolez berichtet auch von einem | |
ersten Ausstand gegen Lukaschenko. Seit dem Vormittag streike das | |
Metallurgische Werk in Minsk gegen die Wahlfälschung. Auch in weiteren | |
Werken haben Belegschaften Streiks angekündigt. Unter den Streikwilligen | |
sind auch die Bergarbeiter von Soligorsk. | |
## Keine Protokolle | |
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew protestierten ebenfalls Weißrussen. Für | |
den Montagabend war eine Aktion vor der Weißrussischen Botschaft | |
angekündigt. Dort hatten am Sonntag weißrussische Staatsbürger die | |
Gelegenheit zur Stimmabgabe. Es sei einfach unverständlich, dass noch immer | |
keine Wahlprotokolle der Stimmabgabe in der Botschaft in Kiew vorliegen, | |
beschwert sich die weißrussische Aktivistin Palina Brodik gegenüber der | |
taz. | |
Der aus Weißrussland stammende Journalist Denis Lavnikewitsch berichtet, | |
dass er am Sonntag mehrere Stunden vergeblich auf die Möglichkeit zur | |
Stimmabgabe in der Botschaft in Kiew gewartet habe. „Ich wollte hier meine | |
Stimme abgeben, aber ich durfte nicht in das Wahllokal. Nur 200 Leute | |
durften abstimmen. Dabei waren es einige Tausend, die wählen wollten“, so | |
der Journalist. Mit dem amtlichen Endergebnis ist am 14. August zu rechnen. | |
10 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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