# taz.de -- Präsidentenwahl in Belarus: Der ewige Autokrat | |
> In Weißrussland strebt Präsident Lukaschenko eine sechste Amtszeit an. | |
> Ein Erfolg bei der Wahl scheint sicher, doch der Widerstand gegen ihn | |
> wächst | |
Bild: Präsident Lukaschenko sieht sich nach fünf Amtszeiten mit geballter Fra… | |
Die Hütte brennt in Belarus. Die Flammen züngeln im Präsidentenpalast, | |
direkt unter dem Allerwertesten von Staatschef Alexander Lukaschenko. Am 9. | |
August will sich der 65-Jährige zum fünften Mal in Folge im Amt bestätigen | |
lassen und hat das Terrain bereitet – so dachte er jedenfalls. | |
Mit dem Videoblogger Sergei Tichanowski und dem Bankmanager Wiktar | |
Barbaryka wurden zwei aussichtsreiche Kandidaten nicht nur nicht zu der | |
Wahl zugelassen, sondern verschwanden unter fadenscheinigen Beschuldigungen | |
im Gefängnis. Ein dritter Bewerber, der Ex-Diplomat und Geschäftsmann | |
Waleri Zapkalo setzte sich mit seinen Kindern via Russland in die Ukraine | |
ab, um einer Festnahme zu entgehen. [1][Flankierend dazu lief das bekannte | |
Programm ab]: Hunderte Belaruss*innen, die auf den Straßen ihre | |
Unterstützung für alternative Kandidat*innen kundtaten, fanden sich in | |
Polizeigewahrsam wieder genauso wie über ein Dutzend einheimische | |
Journalist*innen. Ausländische Medienvertreter*innen wurden mit dem Entzug | |
ihrer Akkreditierung gedroht, da sie sich angeblich daran hätten beteiligen | |
wollen, „Massenunruhen“ anzuzetteln – alles von außen gesteuert, versteht | |
sich. | |
Praktischerweise braucht sich Lukaschenko dieses Mal auch nicht mit | |
lästigen Wahlbeobachter*innen der OSZE herumschlagen, denn die | |
bleiben der Veranstaltung fern. | |
Doch in diesem Jahr scheinen die Uhren in Belarus anders zu ticken. Will | |
heißen: Mit einem weiteren „eleganten Sieg“ Lukaschenkos – bei allen | |
vorangegangenen Abstimmungen fuhr er laut offiziellen Angaben immer schon | |
im ersten Wahlgang mindestens 75 Prozent der Stimmen ein – wird es so | |
einfach nicht werden. | |
Plötzlich sieht sich der Autokrat, der das Land seit 1994 eisern im Griff | |
hat, mit geballter Frauenpower konfrontiert – [2][vor allem in Gestalt von | |
Swetlana Tichanowskaja], die anstelle ihres inhaftierten Ehemannes in den | |
Ring stieg. Weitergehender politischer Ambitionen unverdächtig, bringt | |
Tichanowskaja bei ihren Kundgebungen – allen Einschüchterungsversuchen des | |
Regimes zum Trotz – Tausende auf die Straße und das nicht nur in der | |
Hauptstadt Minsk. Sie wolle Veränderungen, sagt sie und nennt als eine | |
zentrale Forderung eine sofortige Wiederholung der Präsidentenwahl unter | |
fairen Bedingungen. Da sich ihr auch zwei Frauen angeschlossen haben, die | |
zwei von Tichanowskajas kaltgestellten Mitbewerbern im Wahlkampf zur Seite | |
standen, hat sie etwas geschafft, was viele für unmöglich gehalten haben: | |
Sie hat die Opposition geeint. | |
Aber offensichtlich kommt auch ihre Botschaft „Lukaschenko muss weg!“ bei | |
vielen Menschen an und [3][es ist so etwas wie Aufbruchstimmung zu spüren]. | |
Dafür gibt es gute Gründe. Die alte Opposition hat ausgedient. Sei es, dass | |
einige Lukaschenko-Gegner für ihr Engagement mit Haftstrafen bezahlt, | |
andere sich mit dem unerfreulichen Status quo leidlich arrangiert haben – | |
allen gemeinsam ist, dass ihnen neue Ideen fehlen. | |
Die hatte und hat zwar auch Lukaschenko nicht. Dennoch wusste er in der | |
Vergangenheit auch ohne dreiste Wahlfälschungen und trotz schwerster | |
Menschenrechtsverletzungen eine Mehrheit seiner Landsleute hinter sich. | |
Sozialvertrag hieß das Zauberwort – ein Deal mit der Bevölkerung nach dem | |
Motto: Batkas (Väterchen) Präsidentschaft gegen Stabilität, Frieden mit | |
anderen Staaten sowie Sicherheit von Löhnen und Renten. | |
Doch dieses Modell funktioniert nicht mehr. Die Wirtschaft ist im freien | |
Fall. Für dieses Jahr wird ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 7 | |
Prozent erwartet. 2019 machten 117 staatliche Betriebe dicht, 48.000 Jobs | |
gingen verloren. Offiziellen Angaben zufolge liegt das | |
Durchschnittseinkommen bei umgerechnet 440 Euro, das sind 70 Euro weniger | |
als 2014. Rund 500.000 Menschen sind ohne Arbeit – 11 Prozent der | |
Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Dabei dürfte die reale Quote weitaus | |
höher liegen. | |
Und dann kam auch noch Corona. Lukaschenko schwadronierte von einer | |
„kollektiven Psychose“ und empfahl Saunagänge und den Konsum von Wodka als | |
wirksame Gegenmittel. Bislang sollen sich mehr als 68.000 Menschen | |
infiziert haben und über 570 gestorben sein – Zahlen, die niemand in | |
Belarus der Regierung abkauft und das zu Recht. | |
Nicht zuletzt dieser ignorante Umgang mit der Pandemie hat einem wachsenden | |
Teil der Bevölkerung den Zynismus der Staatsmacht wieder klar vor Augen | |
geführt. Es wird nach Kräften gelogen und verschleiert. Lukaschenko geht | |
auch über Leichen, wenn es dem eigenen Machterhalt dient. | |
Auch die Beziehungen zu Russland, Hauptsponsor der belarussischen | |
Wirtschaft in Form von Öl- und Gaslieferungen zu Vorzugspreisen, waren | |
schon besser. Seit einiger Zeit bemüht sich Moskau, der | |
russisch-belarussischen Union neues Leben einzuhauchen – zu seinen eigenen | |
Bedingungen. Das Bündnis, das 1999 gegründet wurde und gemeinsame | |
Institutionen vorsieht, war nie mehr als ein Papiertiger. Doch Lukaschenko | |
ziert sich – wohl wissend, dass nichts Geringeres als die Souveränität von | |
Belarus auf dem Spiel steht, der Kreml jedoch am längeren Hebel sitzt. | |
Kurzum: Lukaschenko steht das Wasser bis zum Hals. Moskau hingegen kann | |
abwarten. Auch wenn Lukaschenko nicht der Traumkandidat ist – ein | |
angeschlagener belarussischer Staatschef ist für den Kreml nicht die | |
schlechteste Variante, um seinen Einfluss auf den Nachbarn zu stärken. | |
Als es nach der Präsidentenwahl 2010 in Minsk zu Massenprotesten wegen | |
Fälschungen kam, ließ Lukaschenko die Protestierenden zusammenknüppeln und | |
Hunderte Personen festnehmen – auch fünf Kandidaten. Dieses Szenario könnte | |
sich wiederholen. Dabei scheint Lukaschenko auch nicht vor dem Einsatz von | |
Militär zurückzuschrecken, um an der Macht zu bleiben. Doch dieser „Sieg“ | |
dürfte ihn teuer zu stehen kommen und ist allenfalls einer auf Zeit. Und | |
die läuft ab. | |
7 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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