# taz.de -- Meeresbiologe über Zustand der Ozeane: „Die Weltmeere erholen si… | |
> Der Meeresbiologe Boris Worm sagt, es gebe Grund zur Hoffnung. Selbst das | |
> Bikini-Atoll sei nach 23 Atombomben zu einem wunderschönen Ort im Pazifik | |
> geworden. | |
Bild: Diese Langflossen-Fledermausfische vor Papua-Neuguinea profitieren von de… | |
taz: Herr Worm, Sie sind Koautor einer [1][im Fachmagazin Nature | |
erschienenen Metastudie] über den ökologischen Zustand der Weltmeere. Darin | |
kommen Sie zu dem Schluss, dass eine fast vollständige Erholung vieler | |
Biotope und Artbestände innerhalb von nur 20 oder 30 Jahren möglich wäre. | |
Ein ungewohnt positiver Ausblick – waren Sie selbst überrascht? | |
Boris Worm: Ja, dass die marine Resilienz so hoch ist, hätten wir nicht | |
gedacht. Es gibt beachtliche Erfolge: Seit dem globalen Moratorium für | |
Walfang von 1986 ist die Buckelwalpopulation südlich von Australien von | |
wenigen hundert auf 40.000 angestiegen. Der nördliche Seeelefant galt als | |
ausgestorben, inzwischen gibt es wieder über 200.000. Unsere Auswertung | |
Hunderter Einzelstudien und Tausender weiterer Datensätze zeigt auch, dass | |
sich Lebensräume wie Seegraswiesen, Salzmarschen, Mangrovenwälder, | |
Algenwälder oder Austernbänke oft schnell erholen, wenn die ökologischen | |
Probleme angegangen werden. | |
Welche sind das? | |
Historisch vor allem Überfischung und die Jagd auf Wale oder Seevögel oder | |
auch die Zerstörung von Küstenhabitaten. Inzwischen aber sind die | |
Verschmutzung durch Plastik, Dünger oder anderen Chemikalien und auch der | |
Klimawandel die neuen Hauptprobleme. | |
... deren Lösung alles andere als schnell und einfach ist. | |
Vor allem den Klimawandel müssen wir dringend angehen. Meeres- und | |
Klimaschutz hängen dabei eng zusammen – intakte marine Lebensräume können | |
große Mengen CO2 speichern. Gleichzeitig ist die globale Erwärmung auch | |
das, was der Regeneration der Meere am meisten im Weg steht. Das zeigt sich | |
vor allem bei den Korallen – das Great Barrier Reef ist dieses Jahr zum | |
dritten Mal in nur fünf Jahren ausgebleicht, das ist katastrophal. Und wie | |
auch Tiefsee-Biotope brauchen Korallenriffe ohnehin länger, um sich zu | |
erholen. Aber selbst da gibt es lokale Gegenbeispiele, die eindrucksvoll | |
Hoffnung machen. | |
Können Sie eines nennen? | |
Im pazifischen Bikini-Atoll haben die USA 23 Atombomben getestet – mehr | |
kann man eigentlich nicht tun, um Ökosysteme zu zerstören. 60 bis 70 Jahre | |
später ist es einer der schönsten Orte im Pazifik: Die Korallen haben sich | |
erholt, es gibt wieder Haie und andere Großfische. Tatsächlich sogar mehr | |
als in vielen anderen Gebieten. Weil nicht mehr gefischt werden darf, ist | |
das Atoll komplett in Ruhe gelassen worden. Das ist sicher ein besonderer | |
Fall, aber wir haben weltweit Tausende Beispiele gefunden, wo verschiedene | |
Maßnahmen sich recht schnell positiv ausgewirkt haben. | |
Das ist schon beeindruckend – an Land ist das nicht so einfach. Aufforstung | |
braucht zum Teil Hunderte von Jahren, und wenn es zur Bodenerosion kommt, | |
wie zum Beispiel im italienischen Apennin, dann wirkt sich die Abholzung | |
2.000 Jahre später noch negativ aus. | |
Was macht die Meere resilienter? | |
Zum einen haben dort die Primärproduzenten – Plankton, aber auch Algen und | |
Seegräser – hohe Wachstumsraten. Selbst Mangroven wachsen meist schneller | |
als Bäume an Land. Außerdem ist im Wasser alles unmittelbar mit allem | |
verbunden. Dadurch sind Wiederansiedlungen beispielsweise durch Larven | |
schneller und einfacher möglich. | |
Man müsste also einfach die Zerstörung beenden und abwarten? | |
In vielen Fällen reicht das. Das ist das Schöne in der Natur: Wenn man | |
nichts macht, baut sie sich automatisch weiter auf, das sieht man ja jetzt | |
schon teilweise als indirekte Auswirkung des Shutdowns während der | |
Coronakrise. | |
Aber in unsere Studie sind auch die Daten vieler Projekte weltweit | |
eingeflossen, die zum Beispiel aktiv und sehr erfolgreich Korallen, Austern | |
oder Algenwälder wieder anpflanzen. Das geschieht oft mit | |
Regierungsförderung und meist in Zusammenarbeit mit den Locals – oft | |
Frauen, die beispielsweise ihre Fischerdörfer langfristig schützen wollen. | |
Wie haben Sie die Daten ausgesucht? | |
Wir haben systematisch nach entsprechenden Veröffentlichungen gesucht, die | |
einem wissenschaftlichen Anspruch genügen. Für Fischbestände hatten wir | |
bereits vor zehn Jahren begonnen, einen Datensatz auf Basis aller global | |
verfügbaren Surveys zu bauen – die Hälfte des globalen Fischfangs. | |
Es bleiben also viele Wissenslücken? | |
Im Ozean gibt es davon noch mehr als an Land. Man schätzt, dass es in den | |
Weltmeeren über zwei Millionen Arten gibt, von denen wir nur etwa ein | |
Zehntel kennen. Es ist möglich, dass gerade die Bereiche, die wir nicht mit | |
Daten abbilden können, andere Trends beinhalten. Die 50 Prozent, die uns | |
beim Fischfang fehlen, sind oft die, die nicht oder schlecht gemanagt | |
werden, das muss man bei der Interpretation beachten. | |
Dennoch haben wir Massen an relevanten Informationen statistisch auswerten | |
können. Es ist mit Sicherheit die umfangreichste Metastudie zu diesem | |
Thema. Wir halten das Hauptergebnis für valide: Man kann die vielen lokalen | |
Erkenntnisse nutzen, um negative Trends auch großflächig umzukehren. | |
Auch wenn es möglich ist – wie realistisch ist es? | |
Das ist schwer zu sagen, aber der Ozean genießt momentan global mehr | |
Aufmerksamkeit als jemals zuvor. Nächstes Jahr beginnt die UN-Dekade der | |
Meeresforschung für nachhaltige Entwicklung, das ist eine Chance. | |
Küstenschutz wird weltweit immer wichtiger, es gibt ein Umdenken hin zu | |
Nachhaltigkeit. | |
Die Niederländer planen die Öffnung mancher Deiche und lassen Flächen | |
überfluten, als Sturmflutpuffer. In Südostasien pflanzt man seit dem | |
verheerenden Tsunami 2004 großflächig Mangrovenwälder, weil man gesehen | |
hat, dass sie auch Menschenleben schützen. | |
Meeresschutz zu einer Priorität zu machen würde sich laut Ihren Ergebnissen | |
auch ökonomisch auszahlen. | |
Wir haben hochgerechnet, dass die Implementierung neuer Schutzgebiete, eine | |
effektive Eindämmung der Schadstoffbelastung und andere nötige Maßnahmen | |
pro Jahr weltweit 10 bis 20 Milliarden US-Dollar kosten würden. Der | |
finanzielle Nutzen wäre aber viel höher. | |
Allein in der Fischerei lägen die Gewinne bei 50 Milliarden pro Jahr, beim | |
Küstenschutz kämen auch noch mal 50 Milliarden an Kosteneinsparungen durch | |
verhinderte Schäden und Versicherungssummen hinzu. Für jeden investierten | |
Dollar würden insgesamt wohl etwa 10 Dollar gewonnen. | |
Versucht man mit einem solchen Ökosystemdienstleistungs-Ansatz nicht etwas | |
zu berechnen, was sich gar nicht in Geld ausdrücken lässt? | |
Das ist eine sehr aktive Diskussion, die fast schon philosophisch ist. Ich | |
persönlich habe auch nicht immer ein gutes Gefühl dabei. Was ist | |
beispielsweise der Wert einer Art, die keinen ökonomischen Nutzen hat? Auch | |
wenn Sie nicht alles erfassen können, spielen solche Berechnungen aber bei | |
vielen Entscheidungen eine große Rolle – Algenwälder sind nicht nur hübsch, | |
sondern haben auch eine ökonomische Funktion. | |
Wenn es aus ökonomischer Sicht sinnvoll wäre, die Meere intensiv zu | |
schützen, stellt sich die Frage, warum das nicht längst überall passiert? | |
Es gibt immerhin schon Fälle, wo die Business Community einsteigt, | |
beispielsweise in der Fischerei aufgrund des Konsumentendrucks. Um das | |
MSC-Nachhaltigkeits-Label zu bekommen, verlangt die Industrie plötzlich | |
entsprechende Maßnahmen. Ein großes Problem sind aber weiterhin | |
Subventionen beispielsweise für den Schiffsneubau. Das ist Unsinn, weil | |
jetzt schon zu viele Schiffe zu wenige Fische jagen. Das Geld könnte man | |
sehr viel besser in die Erfassung und das nachhaltige Befischen von | |
Beständen investieren. | |
Das passiert auch zunehmend, allerdings weichen Schiffe aus geschützten | |
Gewässern in andere aus, womit sich der Druck teilweise nur verschiebt. Es | |
findet zwar ein Umdenken statt, aber es ist noch sektoral und regional. Wir | |
brauchen globale Lösungen für den Schutz der Weltmeere, die uns ja allen | |
gehören und jeden in seiner Lebensqualität beeinflussen. | |
Wie könnte eine solche globale Strategie aussehen? Der Globale Süden ist | |
sicher ganz anders betroffen und hat nicht die gleichen Möglichkeiten wie | |
die reichen Staaten. | |
Grundsätzlich gibt es ähnliche Konfliktlinien wie auch beim Klimawandel. | |
Aber in der Meeresforschung ist es schon immer so, dass man international | |
zusammenarbeitet – was an einem Ende passiert, wirkt sich auf das andere | |
aus, Plastik schwimmt wie CO2 überall hin. Das grenzüberschreitende Denken | |
ist uns also gewissermaßen in die Wiege gelegt. | |
Vielleicht kann dieses neue Denken auch manche Entscheidungsträger | |
inspirieren. Wir müssen uns bewusst werden, dass wir in einer global | |
verbundenen Welt leben, und der Ozean ist das beste Symbol dafür. | |
Sind Sie eigentlich mit einem bewusst optimistischen Blick an die Studie | |
herangegangen? | |
Viele von uns sind es eher gewohnt, die Zerstörung der Ozeane zu | |
dokumentieren. Aber angesichts einiger Hoffnungsschimmer in den letzten | |
zehn Jahren haben wir entschieden, dass man auch diese Seite thematisieren | |
muss. An den vielen positiven Reaktionen merken wir, wie hungrig die Leute | |
nach guten Nachrichten sind. | |
Wurde Ihnen auch vorgeworfen, die Situation schönzumalen? | |
Ja, vor allem in Fachkreisen. Gleichzeitig kenne ich in der Meeresforschung | |
niemanden, der behauptet, dass alles einfach nur schlechter wird. Was wir | |
auf keinen Fall wollen, ist, dass sich die Leute nun zurücklehnen. Unser | |
Ziel war auch nicht zu zeigen, dass die Meere überall in einem gutem | |
Zustand sind, das sind sie sicher nicht. | |
Aber wir können klar sagen: Es bestehen reale Möglichkeiten zur Erholung. | |
Und wir sollten nicht länger mit entsprechenden Maßnahmen warten, sonst | |
wird es immer schwieriger – und auch teurer. | |
26 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Andrew Müller | |
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