| # taz.de -- Linke Protestwähler in den USA: Mit Biden nicht glücklich | |
| > Michigan ist für Joe Biden bei der US-Wahl wichtig. Immer mehr | |
| > Demokrat:innen wenden sich von ihm ab. Dass er nicht Trump ist, | |
| > reicht nicht aus. | |
| Was eine zweite Präsidentschaft Donald Trumps bedeuten würde, sei ihr | |
| bewusst, sagt Mara Matta. Sie habe die vier Jahre unter seiner Regierung | |
| schließlich erlebt. „Ich verachte alles, wofür Trump steht. Er ist ein | |
| Rassist, ein Frauenfeind, ein Hyperkapitalist.“ Im November will die | |
| 27-Jährige statt Joe Biden dennoch eine aussichtslose linke Kandidatin | |
| wählen, wenngleich das Trumps Chancen erhöht. „Ich kann Bidens Mitschuld an | |
| einem Genozid einfach nicht belohnen“, sagt Matta. Sie klingt nicht | |
| trotzig, sondern bedrückt. | |
| Matta sitzt in einem Diner in der Kleinstadt Ferndale westlich von Detroit. | |
| Ein paar Kilometer entfernt, in Dearborn, ist sie aufgewachsen. Nirgendwo | |
| anders in den USA ist der Bevölkerungsanteil von Menschen mit arabischen | |
| Wurzeln größer als dort. Vor Matta steht ein Teller mit Omelette und | |
| Kartoffelschnitzen, daneben eine Tasse Kaffee, die sie so zügig wegtrinkt, | |
| dass die Kellnerin kaum mit Nachfüllen hinterherkommt. | |
| Matta denke fast ununterbrochen an Gaza, wo die israelische Armee seit dem | |
| Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober über 35.000 Menschen getötet hat, | |
| darunter viele Frauen und Kinder. Sie sorgt sich, [1][dass der Krieg den | |
| Libanon erreichen könnte], wo sie Familie hat. Sie spricht von ihren | |
| Depressionen und dass ihr das politische Organisieren aus dem Loch geholfen | |
| habe. | |
| Anfang des Jahres schloss sich Matta der [2][Initiative „Listen to | |
| Michigan“] an, die so viele Leute wie möglich dazu bringen wollte, bei den | |
| demokratischen Vorwahlen nicht für Biden zu stimmen, sondern „uncommitted“ | |
| (unentschlossen) anzukreuzen. Angetrieben wurde die Gruppe von der Wut | |
| darüber, dass die US-Regierung den Krieg Israels unterstützt und ermöglicht | |
| – finanziell, militärisch, symbolisch. Ziel war es, Biden unter Druck zu | |
| setzen, eine Botschaft zu senden: Wenn kein Kurswechsel erfolgt, wendet | |
| sich die Basis ab. | |
| Matta, die im Gesundheitswesen arbeitet, wurde zur Leiterin der | |
| Telefonkampagne. Drei Wochen lang brachte sie anderen Leuten bei, wie man | |
| das Anliegen in wenigen Sätzen transportiert. Als am Abend des 27. Februar | |
| die Ergebnisse der Vorwahlen öffentlich wurden, waren selbst die | |
| Überzeugtesten im Team von ihrer Wirkung überrascht. | |
| 101.623 Demokrat:innen machten [3][in Michigan ihr Kreuz bei | |
| „uncommitted“], 13 Prozent der Wahlbeteiligten. „Die Solidarität hat mich | |
| völlig umgehauen“, sagt Matta. Bei den Vorwahlen in Minnesota eine Woche | |
| später stimmten dann sogar 19 Prozent der demokratischen Basis gegen Biden. | |
| Spätestens seit diesem Moment ist klar, dass die Opposition zur | |
| US-Nahostpolitik ein Gewicht hat, das die Wahl entscheiden könnte. | |
| Aus „Listen to Michigan“ ist mittlerweile eine landesweite Bewegung, das | |
| Uncommitted National Movement, erwachsen. Matta und ihre | |
| Mitstreiter:innen haben Aufmerksamkeit gewonnen. Im November scheinen | |
| sie dennoch nur verlieren zu können. „Wir wollen nicht Trump. Wir wollen | |
| aber auch nicht mit unseren Steuergeldern diesen Krieg finanzieren“, sagt | |
| der 29-jährige Ali Hallal, der ebenfalls in der Bewegung aktiv ist. „Viele | |
| von uns haben schon länger das Gefühl, nicht mehr wirklich in einer | |
| Demokratie zu leben.“ | |
| ## Michigan ist ein wichtiger Swing State | |
| Es gehört zur Ironie des langen, zähen Präsidentschaftswahlkampfs in den | |
| USA, dass am Ende nur wenige Orte wirklich wichtig sind. In diesem Jahr | |
| sind es sieben Bundesstaaten, die entsprechend ihrer Bevölkerungsgröße | |
| Gewicht haben und zugleich im Ausgang offen sind, die „Swing States“: | |
| Nevada, Arizona, Georgia, North Carolina, Pennsylvania, Wisconsin und | |
| Michigan. | |
| Michigan steht besonders im Fokus. 2016 konnte Trump den Staat im Mittleren | |
| Westen mit gerade mal 10.000 Stimmen Vorsprung (0,23 Prozent) gewinnen; es | |
| war das knappste Ergebnis aller Bundesstaaten. Vor vier Jahren holte sich | |
| dann Biden den Staat und damit auch den Gesamtsieg. In aktuellen Umfragen | |
| führt Trump nun wieder knapp. | |
| Doch Michigan ist nicht nur zahlenmäßig von enormer Bedeutung, sondern | |
| auch, weil sich hier wesentliche Probleme und Herausforderungen der | |
| Demokratischen Partei verdichten. Zum einen wenden sich zunehmend viele | |
| Menschen mit Migrationshintergrund und nun sogar junge Linke von ihr ab, | |
| wie etwa Mara Matta. | |
| Zum anderen muss die Partei dringend in suburbanen Regionen überzeugen, die | |
| überwiegend weiß, konservativ und „working class“ sind, dort also, wo die | |
| Demokrat:innen bereits seit Jahrzehnten einen enormen | |
| Wähler:innenschwund verzeichnen. | |
| Joe Biden braucht Michigan, vor allem die Vorstädte. In den Vorstädten, wo | |
| über die Hälfte der US-amerikanischen Bevölkerung lebt, entscheidet sich | |
| diese Wahl. | |
| ## Dearborn ist die Geburtstädte von Ford | |
| Dearborn ist nicht irgendeine Vorstadt. In Dearborn wurde 1863 Henry Ford | |
| geboren, der mit seinem Autounternehmen eine Episode des modernen | |
| Kapitalismus in Gang setzte, die sich zwar längst im Niedergang befindet, | |
| aber die USA ökonomisch und kulturell immer noch prägt: den Fordismus. | |
| Ford ließ in seiner Heimat in den 1920er Jahren die damals größte Fabrik | |
| der Welt, den Ford River Rouge Complex, bauen. 120.000 Arbeiter:innen | |
| waren hier zu Spitzenzeiten beschäftigt. Die Fließbandfertigung machte Ford | |
| zu einem der weltweit reichsten Männer. Im Rouge Complex wird bis heute | |
| produziert, wenn auch deutlich weniger. | |
| Doch Fordismus meinte nie nur die Massenherstellung von Fahrzeugen, sondern | |
| immer auch eine Art von Gesellschaft, die bestimmte Normen, Sehnsüchte und | |
| Qualen manifestiert: Massenkonsum, den Traum vom Vorstadtleben mit Garage | |
| und Garten, das Primat der Kernfamilie, eine klare Trennung von häuslicher | |
| Sphäre und Arbeitsplatz: „middle class dreams“. | |
| Die rasant wachsende Zahl von Fabrikjobs war auch der Grund, warum ab den | |
| Zwanzigern mehr und mehr arabische Immigrant:innen nach Dearborn zogen. | |
| Zunächst aus dem Libanon, später aus dem Irak, dem Jemen und Palästina. | |
| Heute haben 55 Prozent der rund 110.000 Einwohner:innen arabische | |
| Wurzeln. Im Norden der Stadt ragt das Islamic Center of America, die größte | |
| Moschee der USA, heraus. | |
| Dearborn sei ein Ort mit „riesiger Gastfreundschaft“, erzählt Mara Matta. | |
| Gleichzeitig will sie ihre Heimat nicht glorifizieren, spricht von einer | |
| „sozial konservativen“ Stadt. Seit sie ihrer christlich-orthodoxen Familie | |
| vor einigen Jahren sagte, dass sie queer sei, ist der Kontakt stark | |
| reduziert. „Heute ist orthodoxes Ostern“, erzählt sie. „Früher waren wi… | |
| immer alle zusammen.“ | |
| ## Die Protestbewegung wird massiv bekämpft | |
| Für viele Menschen in Dearborn ist der Krieg in Gaza nichts Fernes, sondern | |
| wegen der Angst um Familienmitglieder und einer Identifizierung mit der | |
| palästinensischen Bevölkerung eine nahe Katastrophe. So beschreibt es auch | |
| Adam Abusalah, 23 Jahre alt, der aus einer palästinensischen Familie kommt | |
| und die Segregation im Westjordanland von eigenen Besuchen kennt. | |
| Während Abusalah 2020 noch für Biden Straßenwahlkampf machte, als | |
| „Hardcore-Demokrat“, wie er selbst sagt, will er im November seine Stimme | |
| keinem der beiden Spitzenkandidaten geben. „Ich werde niemanden wählen, der | |
| den Genozid an meinen Leuten finanziert“, so Abusalah. Es sei eine | |
| Gewissensentscheidung. | |
| „Es geht um Gaza, nicht um uns“, sagt die 19-jährige Assmaa E., die | |
| ebenfalls in Dearborn geboren wurde und Biden nicht wählen wird. Sie | |
| studiert an der University of Michigan in Ann Arbor, wo sie seit Ende April | |
| [4][Teil eines Protestcamps] war, das von der Polizei geräumt wurde. Die | |
| Student:innen fordern, dass ihre Uni die Geschäfte mit Firmen und | |
| Institutionen abbricht, die von Israels Krieg profitieren. Assmaa E. sagt, | |
| dass sie in der aktuellen Bewegung Gehör bekomme, was für sie als „linke | |
| Muslima“ keine Selbstverständlichkeit sei. Ihren vollen Namen möchte sie | |
| aus Angst vor Repressionen nicht nennen. | |
| Republikanische Politiker:innen und rechte Medien wie Fox News haben | |
| sich in den letzten Monaten geradezu obsessiv auf die Proteste | |
| eingeschossen, sprechen von einer „Pro-Hamas-Bewegung“ und [5][werfen | |
| Zehntausenden Demonstrant:innen pauschal „Judenhass“ vor]. | |
| Während es durchaus Fälle antisemitischer Äußerungen von Student:innen | |
| gibt, ist die reaktionäre Kampagne, die hier am Werk ist, unübersehbar. | |
| Selten wurde in den vergangenen Jahrzehnten eine soziale Bewegung in den | |
| USA so massiv bekämpft. Verantwortung für dieses Klima tragen auch Kräfte | |
| der politischen Mitte. | |
| „Sie wissen nicht viel über die Geschichte des Nahen Ostens oder, offen | |
| gesagt, über die Geschichte in vielen Regionen der Welt, auch in unserem | |
| eigenen Land“, sagte die ehemalige Außenministerin und frühere | |
| Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton kürzlich über die „jungen | |
| Leute“. | |
| ## „Amerikas Hauptstadt des Dschihad“ | |
| Es sind solche Aussagen, die deutlich machen, dass derzeit nicht nur | |
| verschiedene Haltungen zu einem Thema aufeinanderstoßen, sondern zwei | |
| grundverschiedene Sichtweisen der politischen Gegenwart. Im Clash | |
| [6][zwischen Palästinabewegung und Establishment] zeigt sich ein | |
| Generationenkonflikt, der lange Zeit verdrängt wurde. | |
| Auf der einen Seite steht jemand wie Clinton, die 2002 als US-Senatorin | |
| ihre Zustimmung zum Irakkrieg gab, der mit vermeintlichen irakischen | |
| Massenvernichtungswaffen begründet wurde, die es nicht gab, und der eine | |
| halbe Million Menschen das Leben kostete und den Nahen Osten ins Chaos | |
| stürzte; eine 76-jährige Berufspolitikerin, die 2016 auch wegen ihres | |
| ignoranten, abgehobenen Wahlkampfs gegen einen Reality-TV-Star verlor und | |
| die nun einer ganzen Generation Ahnungslosigkeit unterstellt. | |
| Auf der anderen Seite ist da jemand wie Mara Matta, die zu jung ist, um | |
| sich an die Terroranschläge vom 11. September 2001 zu erinnern, aber weiß, | |
| dass ihre Eltern in Dearborn damals aufhörten, in der Öffentlichkeit | |
| Arabisch zu sprechen. Von der „privilegierten Position“, die linken | |
| Aktivist:innen oft unterstellt wird, hat Matta als queere, | |
| arabisch-amerikanische Frau ohne finanziellen Rückhalt ihr Leben lang | |
| nichts gespürt. Wenn sich Leute wie sie nun von der Demokratischen Partei | |
| abwenden, kann man das auch als generelle Abrechnung mit dem politischen | |
| System in den USA verstehen. | |
| So wie nach dem 11. September 2001 werden muslimische und arabische | |
| Amerikaner:innen derzeit wieder unter Generalverdacht gestellt. Das | |
| Wall Street Journal bezeichnete Dearborn im Februar als „Amerikas | |
| Hauptstadt des Dschihad“, was dazu führte, dass Moscheen und Schulen ihre | |
| Sicherheitsvorkehrungen verschärfen mussten. | |
| Dem demokratischen Bürgermeister Abdullah Hammoud zufolge kam es zu einer | |
| „alarmierenden Zunahme von bigotter und islamfeindlicher Rhetorik im | |
| Internet“. In einem Gastbeitrag für die New York Times schrieb Hammoud, | |
| dass sich seine Stadt von der US-Regierung betrogen fühle. Während Biden | |
| die Unterstützung der arabisch-amerikanischen Bevölkerung einfordere, | |
| „verkauft er gleichzeitig genau die Bomben, die Benjamin Netanjahus Militär | |
| auf unsere Familien und Freunde abwirft“. | |
| Joe Bidens Politik hat sich in den vergangenen Monaten [7][substanziell | |
| kaum verändert]; die politische Stimmung in den USA schon. Hammoud und die | |
| Einwohner:innen Dearborns sind mit ihren Forderungen nicht mehr allein. | |
| Laut aktuellen Umfragen will ein Großteil der US-amerikanischen Bevölkerung | |
| eine permanente Waffenruhe in Gaza und dass die US-Regierung entsprechend | |
| umschwenkt. | |
| Wie viele Menschen Biden im November aus diesem Grund tatsächlich ihre | |
| Stimme versagen werden, ist unklar. Bei manchen Demokrat:innen scheint | |
| die Schuldfrage allerdings schon beantwortet. US-Senator John Fetterman | |
| sagte neulich, dass Progressive, die bei der Wahl zu Hause blieben, | |
| Verantwortung für die „Tragödie“ einer zweiten Amtszeit Trumps trügen. D… | |
| erinnert an Hillary Clinton, die nach ihrer Niederlage 2016 allen die | |
| Schuld gab, nur nicht sich selbst. | |
| ## Wie lässt sich Trumps Sieg verhindern? | |
| Man kann die Entscheidung Linker, Biden nicht zu wählen, für falsch und | |
| kontraproduktiv halten. Man kann sich wundern, dass die Unterschiede zu | |
| Trump, was etwa Gewerkschaftsrechte, Klimaschutz und Demokratieverständnis | |
| betrifft, nicht als wesentlich genug betrachtet werden. Man könnte | |
| allerdings auch fragen, wie es überhaupt sein kann, dass dieses Rennen | |
| offen ist, angesichts dessen, dass Trump, gegen den diverse | |
| Gerichtsverfahren laufen, in so vieler Hinsicht ein schwacher Kandidat ist. | |
| Was sagt das über Biden und die Demokrat:innen aus? Und wie wollen sie | |
| verhindern, dass Trump ins Weiße Haus zurückkehrt? | |
| Carl Marlinga sollte ein paar Antworten haben. Der 77-jährige Demokrat | |
| möchte für den zehnten Wahlbezirk von Michigan ins US-Repräsentantenhaus | |
| einziehen. Er muss dafür im November Amtsinhaber John James schlagen, einen | |
| jungen Schwarzen Republikaner, der Trump unterstützt. | |
| Anders als die Aktivist:innen in Dearborn ist Marlinga optimistisch, | |
| dass es eine erfolgreiche Wahl wird – für Biden, die Partei und ihn selbst. | |
| „Trump zerfällt vor unseren Augen“, sagt er. Biden dagegen habe bei der | |
| Rede zur Lage der Nation im März bewiesen, dass er „voller Energie“ sei. | |
| Marlinga, der zwei Jahrzehnte lang als Staatsanwalt arbeitete und zuletzt | |
| Bezirksrichter war, glaubt, dass sich die Leute am Ende für die Demokratie | |
| und gegen den Extremismus der Republikaner:innen entscheiden werden. | |
| Ein Donnerstagvormittag Anfang Mai. Marlinga hat eine Runde von | |
| demokratischen Lokalpolitikerinnen und Parteiunterstützern versammelt, um | |
| über die politische Lage zu diskutieren. Sie sitzen im Pizzarestaurant | |
| Buddy’s, zwanzig Kilometer nördlich von Detroit. Ringsherum breite Straßen | |
| mit oberirdischen Stromleitungen, Fastfoodfilialen und Tankstellen. | |
| Ziemlich genau so, wie man sich das suburbane Amerika vorstellt. | |
| Zu Beginn stellt Marlinga sein Programm vor: [8][Abtreibungsrechte], | |
| Klimamaßnahmen, neue grüne Jobs und der Schutz der Demokratie seien die | |
| Prioritäten. Doch es geht schnell um andere Fragen, Grundsätzlicheres, | |
| darum, wie man Menschen überhaupt erreicht und in die politischen Prozesse | |
| holt. | |
| „Ich erlebe die Leute zurzeit als politisch enorm engagiert“, sagt Michael | |
| Radtke, der im Gemeinderat der nahe gelegenen Stadt Sterling Heights sitzt. | |
| Den schlechten Umfragewerten für Biden und die Demokrat:innen will | |
| Radtke nicht viel Bedeutung zuschreiben. Ähnlich zuversichtlich ist auch | |
| Neil Oza, ein junger Community-Organizer, der betont, dass die | |
| Demokrat:innen der republikanischen Panikmache eine „positive | |
| Erzählung“ gegenüberstellen sollten. | |
| Der Einzige an diesem Tisch, der mahnt, ist Ed Bruley, langjähriger | |
| Regionalvorsitzender der Demokratischen Partei. „Selbst Leute, denen es | |
| finanziell gut geht, sind verunsichert“, so Bruley. Inflation und Pandemie | |
| hätten ihre Spuren hinterlassen. Abstiegsängste der Mittelschicht könnten | |
| ein entscheidender Wahlfaktor sein, womöglich zugunsten Trumps. | |
| ## Macomb County ist ein Indikator für strukturelle Verschiebungen | |
| Was auch immer in diesem Teil von Michigan im November passieren wird, wird | |
| bei den Spitzen der beiden Parteien Beachtung finden. Die Region | |
| nordöstlich von Detroit, Macomb County, gilt seit einigen Jahrzehnten als | |
| eine Art Indikator für strukturelle Verschiebungen, die das ganze Land | |
| betreffen. | |
| Macomb County war im 20. Jahrhundert über lange Zeit in demokratischer | |
| Hand. Im Jahr 1964 gewann der Präsidentschaftskandidat Lyndon B. Johnson | |
| hier mit herausragenden 74 Prozent. Die demokratische Basis bildeten damals | |
| die weißen Arbeiter:innen, von denen viele ihr Geld in der Autoindustrie | |
| verdienten. | |
| Nur acht Jahre nach Johnsons Sieg wählte die Mehrheit in Macomb County | |
| allerdings den Republikaner Richard Nixon, später auch Ronald Reagan. | |
| Beiden war es gelungen, rassistische Ressentiments infolge der Schwarzen | |
| Bürgerrechtsbewegung und den Frust über ökonomische Instabilität im Zuge | |
| der Deindustrialisierung für sich zu nutzen. Der demokratische | |
| Wahlkampfstratege Alan Greenberg prägte dafür den Begriff der „Reagan | |
| Democrats“. | |
| In diesem Jahrhundert gingen die Wahlen in Macomb County oft knapp aus. | |
| Nachdem Barack Obama in den Jahren 2008 und 2012 gewonnen hatte, ging Trump | |
| 2016 und 2020 als Sieger hervor. Sollten sich die Demokrat:innen in | |
| diesem Jahr Macomb County zurückholen, wäre das ein enormer Erfolg, | |
| womöglich sogar Indiz für einen neuen blauen Aufschwung in den Vorstädten. | |
| Die Frage ist, ob Marlinga, ein Mann tief im Rentenalter, der bei seiner | |
| ersten Kandidatur für den US-Kongress vor zwei Jahren scheiterte, dafür der | |
| richtige Kandidat ist. | |
| Wenn Carl Marlinga über sich und Politik spricht, dann erinnert das immer | |
| wieder an Biden: der Glaube an das gute Amerika. Die Betonung von | |
| Stabilität. Auch das Gefühl, berufen zu sein. „Ich möchte nicht, dass das | |
| Land von Rechtsextremen übernommen wird“, sagt Marlinga. „Ich spüre eine | |
| moralische Verpflichtung, zu kandidieren.“ Hat er Verständnis für die Leute | |
| in Dearborn, für die Bewegung gegen Bidens Nahostpolitik? „Ich verstehe die | |
| Skepsis und das Zögern“, sagt Marlinga. Geholfen wäre damit aber vor allem | |
| Trump, bekanntlich ein Gegner von Immigration. „Ich hoffe, dass unsere | |
| muslimischen Brüder und Schwestern verstehen, dass dieser Typ ihr Feind und | |
| ein Feind der Vereinigten Staaten ist.“ | |
| Es sind gut gemeinte Worte. Und Carl Marlinga und die überzeugten | |
| Demokrat:innen haben auch recht: Es gibt nun einmal nur diese zwei | |
| Kandidaten. Doch das ist immer mehr Wähler:innen nicht genug. | |
| 25 Jun 2024 | |
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