# taz.de -- US-Präsidentschaftswahlkampf: Es bräuchte ein Wunder | |
> Das erste TV-Duell wurde für die US-Demokrat:innen zur Katastrophe. | |
> Ihr Kandidat Joe Biden wirkte uralt. Könnte er doch noch ersetzt werden? | |
Bild: 1:0 für Donald Trump. Und dafür musste er bei der ersten Fernsehdebatte… | |
Ja, es gab schon US-Präsidentschaftskandidaten, die in der ersten | |
TV-Debatte eine schlechte Figur gemacht haben und am Ende trotzdem die Wahl | |
gewannen. Barack Obama etwa [1][verlor 2012 mit einer uninspirierten und | |
fahrigen Debattenperformance] recht deutlich das erste von drei | |
Fernsehduellen gegen seinen Herausforderer Mitt Romney. | |
Aber das brachte niemanden dazu, zu bezweifeln, dass Obama fit für das | |
Präsidentenamt wäre. Es war kein guter Debattenabend für ihn, mehr nicht. | |
Ganz anders jetzt. Der 81-jährige Joe Biden hat die Demokratische Partei | |
und seine eigene Wiederwahlkampagne bei der ersten Debatte mit Donald Trump | |
in der Nacht von Donnerstag auf Freitag in eine Katastrophe gestürzt. | |
Bidens Wahlkampfteam selbst hatte gefordert, diese erste Debatte so früh | |
abzuhalten wie nie zuvor. Fast zwei Monate vor dem Demokratischen | |
Nominierungsparteitag – und nur wenige Wochen nach der [2][Verurteilung | |
Donalds Trumps durch ein New Yorker Geschworenengericht] – sollte Biden mit | |
einem energischen Auftritt den Schwung in den Wahlkampf bringen, der der | |
Kampagne bis jetzt völlig fehlt. Er sollte die Verunsicherung | |
demokratischer Wähler*innen und der eigenen Partei über sein Alter | |
zerstreuen und zeigen, dass er Trump erneut besiegen kann. | |
Das ging nach hinten los. Biden verlor viele Male den Faden, schaute | |
hilflos ins Leere, schloss die Augen, brachte Sätze nicht zu Ende. Seine | |
Stimme war leiser denn je und er schaffte es nicht, die vielen | |
Steilvorlagen zu verwandeln, die ihm ein konstant die Fakten verdrehender | |
Trump servierte. | |
## Panik bricht aus | |
Eine Woche Debattenvorbereitung – und nicht einmal das zweiminütige | |
Schlusswort brachte Joe Biden kohärent zustande. Eine Vollkatastrophe. | |
Anstatt die Zweifel der Wähler*innen auszuräumen, zeigte Biden vor aller | |
Augen live, dass er tatsächlich für das Amt zu alt ist. Jon King von CNN | |
beschrieb die Stimmung, die er während der Debatte im Austausch mit | |
Demokrat*innen wahrgenommen hatte, mit einem einzigen Wort: Panik. | |
In den sozialen Netzwerken und – wenn man den US-Medien glauben darf – auch | |
in der Demokratischen Partei setzten schon während der Übertragung | |
Diskussionen ein, ob und wie es noch möglich wäre, Biden als Kandidaten zu | |
ersetzen. Aber das ist nicht einfach. Gerade erst vor drei Wochen sind die | |
letzten Demokratischen Vorwahlen zu Ende gegangen. Bei denen hatte Biden | |
keine ernsthaften Gegenkandidaten – und jetzt ist er derjenige, der in | |
einem demokratischen Prozess zum Kandidaten seiner Partei bestimmt wurde. | |
Das kann kein Parteivorstand einfach so übergehen. | |
Einen Kurswechsel bewirken könnte nur Joe Biden selbst. Er könnte jederzeit | |
aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt von der Kandidatur erklären – | |
und obwohl das nicht einmal fünf Monate vor der Wahl eine selten erlebte | |
Herausforderung wäre, würde doch eine Welle der Erleichterung durch die | |
Demokrat*innen gehen. | |
Allerdings ist unwahrscheinlich, dass Biden auch nur erwägt, diesen Schritt | |
zu gehen. Dass er in diesem Punkt beratungsresistent ist, hat er schon | |
unter Beweis gestellt, als er im vergangenen Jahr erklärte, zur Wiederwahl | |
anzutreten. Auch damals schon hatte in allen Umfragen eine Mehrheit auch | |
der demokratischen Wähler*innen klar gesagt, er sei zu alt und möge | |
bitte Platz machen. Biden erklärte das damals für Unsinn, man solle ihn | |
doch anschauen! Und nach der Debatte am Donnerstagabend sagte er, es sei | |
doch ganz gut gelaufen. Mit der Meinung war er allerdings allein. | |
## Jill Biden könnte es richten | |
Heute wie damals, sagen Biden-Kenner, wäre es vermutlich nur seine Frau | |
Jill, die ihn dazu überreden könnte, von der Kandidatur zurückzutreten. Die | |
aber scheint daran gar nicht zu denken. Und noch tritt auch niemand aus den | |
einflussreicheren Reihen der Demokrat*innen hervor. Gavin Newsom, der | |
demokratische Gouverneur von Kalifornien, den viele als einen möglichen | |
Ersatz sehen würden, stellte sich nach der Debatte öffentlich hinter Joe | |
Biden: Nein, das sei keine gute Performance gewesen – aber welche Partei | |
würde bitteschön ihren Kandidaten wegen eines einzigen schlechten Auftritts | |
absägen? | |
Sollte Biden von der Kandidatur zurücktreten, läge es beim Demokratischen | |
Parteitag Mitte August in Chicago, jemand anderen zu krönen. Von den 4.000 | |
Delegierten hatte Biden bei den Vorwahlen 95 Prozent gewonnen, etliche von | |
ihnen sind von der Biden-Kampagne persönlich ausgesucht. Joe Biden selbst | |
könnte durch die Unterstützung eines bestimmten Namens großen Einfluss auf | |
den Auswahlprozess haben. | |
## Wer sind die Alternativen? | |
Bleibt das Problem Kamala Harris. Die in dreieinhalb Jahren überraschend | |
farblos gebliebene Vizepräsidentin steht derzeit wiederum als Nummer zwei | |
auf dem Ticket – aber ihre Popularitätswerte sind sogar noch schlechter als | |
Bidens. Das Gefühl, angesichts des rasant alternden Bidens ohnehin eher | |
über eine Präsidentin Harris abzustimmen – die ihn sofort ersetzen würde, | |
sollte ihm etwas zustoßen –, ist auf demokratischer Seite bislang eher als | |
Handicap diskutiert worden. Sie jetzt auf Nummer eins zu setzen, löst das | |
Problem nicht. | |
Auch andere Namen werden ventiliert, neben Gavin Newsom auch Gretchen | |
Whitmer, Gouverneurin von Michigan, oder J.B. Pritzker, Gouverneur von | |
Illinois. Alle drei haben allerdings das Problem mangelnder Bekanntheit auf | |
nationaler Ebene, und das ist in so wenigen Monaten kaum aufzuholen. | |
Das hätte ein anderer Name, der immer und immer wieder in sozialen Medien | |
auftaucht, nicht: [3][Michelle Obama], die noch immer populäre Ehefrau des | |
früheren Präsidenten. Sie allerdings hat sich schon mehrfach geäußert und | |
gesagt, dass sie nicht zur Verfügung steht. | |
Die Demokrat*innen müssen sich entscheiden, und das schnell. Denn | |
wollen sie Biden ersetzen, können sie damit eigentlich sogar kaum bis zu | |
ihrem Parteitag warten. In einigen wichtigen Bundesstaaten endet die | |
Einschreibefrist für Kandidaten schon Anfang August. | |
Und so ist das wahrscheinlichste Szenario, dass Joe Biden doch der Kandidat | |
bleibt. Aber stand Biden vor der Debatte in Atlanta angesichts | |
gleichbleibend schlechter Umfragewerte bereits vor einer großen | |
Herausforderung, im November noch einmal gewählt zu werden, ist die Sache | |
nun komplizierter geworden. Jetzt braucht er ein Wunder. | |
28 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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