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# taz.de -- Demokratien in Händen der Alten: Nicht mehr zeitgemäß
> Die Demokratien haben mächtige Probleme. Ließen sie sich retten, wenn
> nicht nur alte Männer ihre Geschicke lenken würden?
Bild: Wird auch nicht jünger: der amerikanische Präsident Joe Biden
Es war eine schwere Woche für Demokraten, was auch immer mit diesem Wort
genau gemeint ist, und es werden noch viele weitere schwere Wochen, Monate,
Jahre kommen. Wir stehen ja erst am Anfang eines wuchtigen Epochenwandels,
und die Frage, was Demokratie ist, wird sich dann anders stellen als heute.
Aber was ist heute überhaupt Demokratie? Wer meint was, wenn er oder sie
dieses Wort benutzt, das ja in sich so viele Möglichkeiten und Widersprüche
birgt, dass es schwierig ist, diese Varianten auf einen Nenner, auf einen
Begriff zu reduzieren? Ist es ein Set von Idealen? Ist es eine Prozedur,
eine Praxis, um Macht zu gewinnen und auszuüben? Wie zeitgemäß sind die
gegenwärtigen Formen der Demokratie wirklich? Und welche Gesellschaft,
welche Wirklichkeit bildet sich durch die demokratische Maske hindurch ab?
Die vergangenen Tage jedenfalls haben gezeigt, dass sich hinter dieser
Maske eine Art stiller Coup ereignet: [1][Die Alten sind dabei, die Macht
zu übernehmen], und sie haben damit eine bestimmte Form demokratischer
Praxis etabliert, die in vielem genau gegen die Notwendigkeiten zielt, die
eine veränderte Zukunft verlangt. Besonders schockierend deutlich wurde das
gerade im Fernsehduell der beiden Kandidaten für die US-Präsidentschaft,
Joe Biden, 81, und Donald Trump, 78, zwei Machtgreise mit je
unterschiedlich demokratischen Defiziten.
Bei Trump, dem gerade der [2][amerikanische Oberste Gerichtshof] [3][eine
Art Turbobeschleuniger autoritärer Gelüste ermöglicht hat], indem er die
Macht des Präsidenten weitgehend über das Recht stellte, ein weiterer
stiller oder nicht so stiller Coup in dieser wüsten Zeit – bei Donald Trump
also sind diese Defizite allzu deutlich. Bei [4][Joe Biden] hingegen, das
muss man nach seiner desaströsen Performance sagen, sind diese Defizite
deutlich mit seinem Alter verbunden und dem Widerwillen, sich
einzugestehen, was die Welt gesehen hat: Er sollte wohl nicht mal mehr ein
Auto fahren in seinem Zustand.
## Wo sind die Demokraten mit Verstand?
Und schon gar nicht sollte er ein Land regieren, im Grunde egal, welches.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wie konnte eine Frau wie Nancy
Pelosi bis ins greise Alter von 82 Jahren die Demokratische Partei in den
USA führen? Wie konnte es sein, dass [5][Ruth Bader Ginsberg] sich
weigerte, als Richterin des Obersten Gerichtshofs zurückzutreten, und im
Alter von 87 Jahren im Amt starb, was den Machtmissbrauch des gegenwärtigen
Gerichts erst mitermöglichte? Und wie kann es sein, dass die Demokratische
Partei heute nicht in der Lage ist, eine Kandidatin oder einen Kandidaten
zu stellen, die im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten ist?
Demokratie ist ja kein Spiel, wie Golfen, über das sich die beiden Greise
tatsächlich auch stritten in dieser Debatte für die Geschichtsbücher einer
alternden Demokratie – bevor der weniger kindische Donald Trump Joe Biden
ermahnte, doch bitte wieder sachlich zu werden. Und Demokratie ist auch
keine Privatsache für Familien oder Dynastien wie die Trumps, dessen
Schwiegertochter die Republikanische Partei kontrolliert, oder die Bidens,
wo es nun auf Jill ankommt, Bidens Ehefrau, ob er zurückzieht (total
unwahrscheinlich) oder nicht (total gefährlich, total unverantwortlich).
## Die Alten sind im Vorteil
Was macht man also mit störrischen Alten, sorry für die harten Worte? Oder
anders gesagt, und ernst gemeint: Wie schützt man die Demokratie vor den
Alten? Denn auch in Frankreich hat sich gezeigt, dass bei all den
Spaltungen, die gegenwärtig die Gesellschaften durchziehen, die des Alters
doch eine der wirkmächtigsten ist – 48 Prozent zwischen 18 und 24 Jahren
stimmte für die linke Nouveau Front Populaire, dagegen nur 18 Prozent der
mehr als 70-jährigen. Aber die Wahlbeteiligung dieser Altersgruppe war eben
am höchsten.
Die Alten sind damit zweimal bevorteilt: Sie wachsen in einer alternden
Gesellschaft als Bevölkerungsgruppe immer weiter, werden also immer mehr;
und sie sind in einer Form von Demokratie aktiver, die für viele junge
Wählerinnen und Wähler einfach nicht mehr funktioniert. Weil sie nicht mehr
in die Zeit passt, weil sie nicht das liefert, was sie verspricht,
Gerechtigkeit und Chancengleichheit etwa, weil die Karten, so scheint es
ihnen, gezinkt sind.
Es greift deshalb in jedem Fall zu kurz, sich darüber zu mokieren, dass die
Jungen nun nicht mal ihre demokratische Chance nutzen würden. Denn aus gar
nicht unplausiblen Gründen glauben sie eben nicht daran, dass Wahlen etwas
bewirken – etwa, weil die Kandidaten so alt sind. Viel wichtiger wäre es,
wirkliche Veränderungen der demokratischen Praxis zu ermöglichen, damit
diese durchlässiger wird für alle Altersgruppen und sich die Gesellschaft
in ihrer Diversität und Vielfalt auch in der politischen Praxis abbildet,
die ja doch dem Namen nach repräsentativ sein sollte.
## Interessen einklagen
Zu solchen Veränderungen gehören dann Karrierewege und innere Logik von
Parteien genauso wie Veränderungen im Wahlrecht, etwa eine höhere
Gewichtung der Stimmen junger Menschen. Dazu gehören Gesetze mit
Verfallsdatum genauso wie eine Art von Politikplanung, die wesentliche
Grundsatzfragen einer Gesellschaft, also Altern, Wohnen, Migration, Klima,
aus dem Hickhack der Parteien nimmt und andere Wege aufzeigt, zu
gemeinschaftlichen Lösungen zu kommen.
In der Zwischenzeit bleiben andere Möglichkeiten, um die Interessen der
Zukunft im Wortsinn einzuklagen – die „Zukunftsklage“ etwa, die Greenpeace
gerade gegen die Bundesregierung gestartet hat, ist eine deutliche
Verschiebung der demokratischen Praxis, und sehr sinnvoll angesichts der
politischen Lähmung von Parlament und Regierung, Legislative und Exekutive
also. In diesem Moment wird die Judikative wichtiger, die Gerichte also
Korrektiv. Oder aber, wie in den USA, leider zum oligarchischen und
gerontokratischen Putschinstrument.
3 Jul 2024
## LINKS
[1] /Biden-Soeder-und-Trump/!6017807
[2] /US-Gerichtshof-urteilt-zu-Trump/!6021282
[3] /Oberster-Gerichtshof/!6021265
[4] /Erinnerungsprobleme-des-US-Praesidenten/!5988594
[5] /Tod-der-US-Richterin-Ruth-Bader-Ginsburg/!5711442
## AUTOREN
Georg Diez
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