# taz.de -- Liberaleres Abtreibungsrecht: Keine Reform von Paragraf 218 | |
> Eine Teillegalisierung von Abtreibungen wird es nicht geben. Der | |
> Rechtsausschuss des Bundestages debattierte am Montag – ohne Ergebnis. | |
Bild: Aktivistinnen im Dezember 2024 in Berlin: Die dreistündige öffentliche … | |
BERLIN taz | Eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts wird in Deutschland | |
vor der Bundestagswahl nicht mehr kommen. Die öffentliche Anhörung des | |
Rechtsausschusses dazu endete am Montagabend, ohne dass eine weitere | |
Sitzung angesetzt wurde. Diese wäre nötig gewesen, um das Gesetz noch am | |
Dienstag im Plenum zur Abstimmung zu bringen. | |
Diskutiert wurde [1][ein Gesetzentwurf von Abgeordneten der SPD, Grünen und | |
Linken], der Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren und den Paragrafen | |
218 weitgehend abschaffen will. CDU und FDP lehnten den Entwurf ab. | |
Insbesondere [2][bei der FDP] war im Vorfeld unklar gewesen, wie sie sich | |
positionieren würde. Die Fraktion gilt in der Frage der | |
Abtreibungsliberalisierung als [3][gespalten]. Ein von der FDP berufener | |
Sachverständiger betonte demnach die Notwendigkeit der Reform, während eine | |
andere Sachverständige den Entwurf als verfassungswidrig erachtete. Schon | |
vor der Anhörung war allerdings bekannt geworden, dass die FDP-Abgeordneten | |
eine Sondersitzung zur Abstimmung über den Gruppenantrag nicht unterstützen | |
würden. | |
Die Initatorinnen Ulle Schauws (Grüne) und Carmen Wegge (SPD) zeigten | |
sich enttäuscht. In einer gemeinsamen Erklärung kritisierten sie: „Dass | |
Union und FDP nicht gewillt sind, übliche parlamentarische Vorgänge zu | |
ermöglichen, ist der parlamentarischen Praxis unseres hohen Hauses nicht | |
würdig und ein fatales Signal für unsere Demokratie.“ Der von 328 | |
Abgeordneten unterzeichnete Gruppenantrag zeige eine ausgewogene, moderate | |
und konsensfähige Lösung auf. | |
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Abbrüche künftig in den ersten drei | |
Monaten einer Schwangerschaft rechtmäßig sind. Krankenkassen sollen die | |
Kosten übernehmen. Die Beratungspflicht bliebe bestehen, allerdings ohne | |
die derzeit geltende Wartepflicht von drei Tagen zwischen Beratung und | |
Abtreibung. Regelungen für Abbrüche nach drei Monaten sollen aus dem | |
Strafgesetzbuch ins Schwangerschaftskonfliktgesetz verlagert werden. | |
Paragraf 218 würde nur noch den Schutz vor nicht selbstbestimmten Abbrüchen | |
regeln. | |
## Kontroverse Anhörung | |
Die dreistündige Anhörung verlief kontrovers, selbst unter Fachleuten der | |
gleichen Disziplin. Einige hielten den Entwurf mit Verweis auf den Schutz | |
ungeborenen Lebens als verfassungswidrig, andere sahen ihn als | |
grundgesetzkonform. Auch die Versorgungslage ungewollt Schwangerer in | |
Deutschland war ein zentrales Thema. | |
Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf betonte, der Entwurf sei aus | |
ihrer Sicht grundgesetzkonform. „Er trägt den Grundrechten der Schwangeren | |
Rechnung, vor allem dem Persönlichkeitsrecht für einen Abbruch in der | |
Frühphase.“ In dieser Zeit trete das Lebensrecht des Embryos hinter dem | |
Recht der Schwangeren zurück, denn bis zur Lebensfähigkeit sei der Embryo | |
existentiell vom Organismus der Schwangeren abhängig. Brosius-Gersdorf war | |
Mitglied der von der Ampelregierung eingesetzten Kommission zur Neuregelung | |
des Schwangerschaftsabbruchs. | |
Arbeitsrechtler und Ethikratsmitglied Gregor Thüsing, Sachverständiger der | |
Union, bezweifelte die Verfassungsmäßigkeit. Er verwies auf frühere | |
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Brosius-Gersdorf hielt | |
mehrmals dagegen: Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts stünden dem | |
Gesetzgeber nicht im Wege. | |
## Stigmatisierung könnte reduziert werden | |
Auch die Lebensrealitäten ungewollt Schwangerer spielten in der Anhörung | |
eine Rolle. „Durch den Gesetzentwurf könnte Stigmatisierung für Schwangere | |
und Ärzt:innen reduziert werden“, sagte Wissenschaftlerin Rona Torenz, | |
die zu den Erfahrungen ungewollt Schwangerer forscht. Eine | |
Entkriminalisierung würde Hürden abbauen. Gynäkologe Matthias David | |
widersprach: Er und seine Kolleg:innen seien nicht von Stigmatisierung | |
betroffen, auch eine verschlechterte Versorgungssituation in manchen | |
Gebieten sei nicht erkennbar. | |
Auf die Frage nach dem Stand der Debatte sagte die Vorsitzende des | |
Deutschen Fraunerates, Beate von Miquel: „Wir diskutieren seit über 150 | |
Jahren über den Paragraf 218. Wichtige und wertvolle Debatten sind geführt | |
worden, Argumente sind auf ausgetauscht, die Fakten liegen auf dem Tisch – | |
ich denke wirklich wir können abstimmen.“ Hervorhob sie insbesondere die | |
Rechte der Frauen in der DDR, die ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch | |
hatten, bis dieses 1993 eingeschränkt wurde. | |
Neben den sachlichen Auseinandersetzungen fielen immer wieder | |
Sachverständige der AfD auf. So sprach der Sachverständige Kristijan | |
Aufiero von der Anti-Abtreibungsorganisation ProFemina beispielsweise von | |
„linksextremistischen Organisationen“, die die Liberalisierung des | |
Abtreibungsrechts befürworteten. Ein auf der Zuschauertribüne sitzender | |
Medienvertreter mit Nähe zur [4][Lebensschutzbewegung] musste mehrfach zur | |
Ordnung gerufen werden. | |
„Die AfD hat mit ihren populistischen Instrumentalisierungen gezeigt, dass | |
es ihr nicht um eine sachlich-rechtliche Debatte geht, sondern darum, ihre | |
rückwärtsgewandte Ideologie gegen alle Frauen in diesem Land | |
durchzusetzen“, sagte Clara Bünger (Linke) nach der Anhörung. Auch Ulle | |
Schauws kritisierte gegenüber der taz, die Äußerungen der von der | |
Gegenseite berufenen Sachverständigen seien teilweise schwer auszuhalten | |
gewesen. Anstatt evidenzbasiert zu argumentieren, sei ausschließlich von | |
Einzelbeispielen gesprochen worden. | |
Schauws sieht den Entwurf dennoch nicht als gescheitert: „Dass wir bis an | |
diese Stelle gekommen sind, ist eine bemerkenswerte Leistung.“ Sie verwies | |
auf den breiten Rückhalt in der Zivilgesellschaft. Umfragen zufolge | |
befürworten rund 80 Prozent der Menschen in Deutschland eine | |
Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Bereits vor der Anhörung | |
hatten zivilgesellschaftliche Organisationen am Montagnachmittag einen | |
Eil-Appell mit über 300.000 Unterschriften an Frauenministerin Lisa Paus | |
übergeben. | |
11 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Amelie Sittenauer | |
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