# taz.de -- Kuratieren auf der documenta15: Mit Zensur hat das nichts zu tun | |
> Ob Ruangrupa oder Kader Attia, Kurator:innen der großen Kunstschauen | |
> 2022 verhalten sich verantwortungslos gegenüber Künstler:innen und | |
> Publikum. | |
Bild: Sieht etwas trocken aus, wenn die Kunst wegen kuratorischer Verantwortung… | |
„Schafft die Kuratoren ab!“ Ganz unrecht hatte der Kunstwissenschaftler | |
Stefan Heidenreich nicht, als er vor ein paar Jahren diesen populistischen | |
Schlachtruf ausstieß. | |
Der Unmut war groß, so wie sich die selbstverliebten und machtbewussten | |
Kurator:innen zu den eigentlichen Künstler:innen im internationalen | |
Kunstbetrieb aufgeschwungen hatten. | |
Ruangrupas Arbeit mit Kollektiven in Kassel geht einen Schritt in Richtung | |
einer „Demokratisierung“, mit der Heidenreich diese Kaste ersetzen wollte. | |
Dem schwebte freilich das normale Publikum vor – wobei man sich lieber | |
nicht vorstellen möchte, wie die Sammlungen von Museen, wie Ausstellungen | |
und Biennalen aussähen, würden sie in die Hände von Laien gelegt. | |
Die Vorgänge bei der documenta und der Berlin-Biennale könnten jetzt aber | |
schneller auf eine Kurator:innen-Dämmerung hinauslaufen, als dem | |
Kunstbetrieb lieb ist. Mancher Zungenschlag der hitzigen documenta-Debatte | |
klang verdächtig nach dem Trump-Motto: „Lock them up!“ | |
Daran sind die Kurator:innen allerdings auch selbst schuld. Denn ihre | |
organisierte Unverantwortlichkeit ausgerechnet bei zwei deutschen | |
Vorzeige-Kunstschauen macht die Frage nach ihren Aufgaben dringlich. | |
## Kurator:innen mit Haltung | |
„Undemokratisch, autoritär und korrupt“, wie Heidenreich in seiner | |
Philippika gewütet hatte, waren ruangrupa nicht, sie setzten ja auf das | |
Gruppendynamische. Aber die Liste ihrer handwerklichen Fehler war schon im | |
Vorfeld der documenta lang. | |
[1][So dermaßen lax hätten die charmanten Lumbung-Plauderer nicht auf die | |
Antisemitismus-Diskussion reagieren dürfen.] Dazu kam das Versäumnis, das | |
in der Folge des Schneeball-Systems der Einladungen in die Kasseler | |
Reisscheune Gespülte zu prüfen und ruangrupas Scheu, schnell und direkt mit | |
der Öffentlichkeit zu kommunizieren. | |
[2][Exemplarisch ist auch der Fall der 12. Berlin-Biennale.] Sehen wir | |
einmal davon ab, dass sich die Kolonialismuskritik von Kurator Kader Attia | |
fast nur am Westen abarbeitet und die Verbrechen der postkolonialen Regime | |
im Irak oder dem Iran eher ausblendet. | |
Mit patriarchalem, unduldsamem Gestus wischten er und der Künstler | |
Jean-Jacques Lebel dieser Tage auch die Kritik irakischer Künstler:innen | |
hinweg, die Folterbilder von Abu Ghraib zu zeigen, ohne die Betroffenen zu | |
fragen. Drastische Mittel seien nötig, so die beiden, um die Verbrechen von | |
Imperialismus und Kolonialismus aufzuarbeiten. | |
Man muss vielleicht nicht auf die abgehungerte Idee Hans Ulrich Obrists | |
zurückfallen, Kurator:innen sollten einer Ausstellung „nicht den | |
eigenen Stempel aufdrücken“, sondern zwischen Künstler und Publikum | |
„vermitteln“. Natürlich wünscht man sich Kurator:innen mit Haltung. | |
Es ist aber auch keine Lösung, wenn sich – meist männliche – Kuratoren ü… | |
moralische Skrupel hinweg als Vollstrecker einer Art Zwangspädagogik | |
verstehen. Curare, der Wortstamm ihrer Berufsbezeichnung, kommt bekanntlich | |
von pflegen. | |
Natürlich gibt es trotz dieser Fälle Beispiele geglückten Kuratierens: die | |
Venedig-Biennale und [3][die Manifesta in Prishtina] etwa. Dennoch | |
markieren Berlin und Kassel eine Zäsur. | |
## Nicht alles durchwinken | |
Einfach Köpfe rollen zu lassen [4][wie diejenigen der | |
Ex-documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann,] dürfte bei der | |
Bewältigung dieser Probleme so wenig weiterhelfen wie die Kuratoren | |
generell abzuschaffen. | |
Schon allein deswegen, weil der Urheber dieses fragwürdigen Slogans sie mit | |
dem Hinweis auf die Vorzüge des kollektiven Kuratierens begründet hatte, | |
das jetzt in Kassel an Grenzen gestoßen ist. | |
Der ingeniöse Großkurator à la Werner Schmalenbach oder Harald Szeemann mag | |
out sein. Antiautoritäres Ausstellungsmachen kann aber auch nicht einfach | |
heißen, alles durchzuwinken, was gute Freund:innen vorschlagen. Mit | |
Zensur hat das nichts zu tun. Jeder Kurator, jede Kuratorin noch des | |
kleinsten Kunstvereins muss sich das überlegen. | |
Wenn es also etwas braucht, dann ist es eine Debatte über die Ethik des | |
Kuratierens: Wer darf was wann wo zeigen und mit welchen Mitteln? Müsste es | |
nicht die Kernaufgabe der inflationär gewordenen „Curatorial Studies“ sein, | |
die Kriterien dafür zu schärfen, statt immer nur ihren diffusen Berufsstand | |
weiter zu vermehren? | |
26 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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