| # taz.de -- Kulturkampf in Spaniens Hauptstadt: „Es sterbe die Intelligenz!“ | |
| > In Madrid regiert eine rechtslastige Stadtregierung. Sie sorgt dafür, | |
| > dass demokratische und republikanische Denkmäler demontiert und zerstört | |
| > werden. | |
| Bild: Femen gegen Faschismus: Protest gegen die totalitäre Rechte in Madrid am… | |
| „Hauptstadt der extremen Rechten“, nannte El Plural unlängst Madrid. Die | |
| Online-Zeitung beschäftigte sich mit dem Umgang des seit zwei Jahren | |
| regierenden Bürgermeisters Madrids José Luis Martínez-Almeida mit der | |
| spanischen Vergangenheit. | |
| Der Politiker aus den Reihen der konservativen Partido Popular (PP), der | |
| mit der Unterstützung der rechtsliberalen Ciudadanos und den Stimmen der | |
| rechtsextremen Vox die Geschicke der spanischen Hauptstadt lenkt, schickte | |
| vergangenen Herbst städtische Angestellte mit Hammer und Meißel los, um | |
| eine Tafel zu Ehren des ehemaligen Premierministers der spanischen | |
| Republik, des Sozialisten und Gewerkschafters Francisco Largo Caballero | |
| (1869–1946) zu entfernen. Zurück blieben Trümmer. | |
| Den Steintafeln mit 3.000 Namen von standrechtlich Erschossenen aus den | |
| ersten Jahren der Franco-Diktatur, die eine Gedenkstätte auf dem | |
| hauptstädtischen Friedhof zieren sollten, erging es ähnlich. Verse des | |
| Dichters Miguel Hernández, der in einem faschistischen Gefängnis verstarb, | |
| wurden ebenfalls entfernt. | |
| Es ist eine 180-Grad-Wende in der Politik des Erinnerns. Almeidas | |
| Vorgängerin, die linksalternative [1][Manuela Carmena nutzte das Gesetz zum | |
| historischen Erinnern] aus dem Jahr 2007, um 52 Straßen, die Namen von | |
| Persönlichkeiten oder Institutionen der Diktatur trugen, gegen | |
| demokratische auszutauschen. Kläger dagegen bekamen teilweise recht. | |
| ## Faschistische Straßennamen | |
| Almeida nutzt das Urteil jetzt, um sechs Straßen wieder ihre alten, | |
| franquistischen Namen zurückzugeben. So wird etwa die Straße „Barco | |
| Sinaia“, benannt nach dem Schiff, das am Ende des spanischen Bürgerkriegs | |
| republikanische Flüchtlinge ins Exil nach Mexiko brachte, künftig wieder | |
| „Crucero Baleares“ heißen. Der Kreuzer bombardierte 1937 die | |
| Zivilbevölkerung in Málaga. | |
| Und die Straße, die nach der Lehrerin Justa Freire, pädagogische | |
| Erneuererin aus den Jahren der Republik, benannt wurde, trägt erneut den | |
| Namen des faschistischen Generals Millán Astray. Dieser wurde durch den Ruf | |
| „Es sterbe die Intelligenz! Es lebe der Tod“ während eines Vortrags des | |
| Philosophen Miguel de Unamuno an der Universität in Salamanca bekannt. | |
| „Namen schaffen Bewusstsein“, sagt die Historikern María del Mar del Pozo. | |
| „Jeder weiß, wie seine Schule oder die Straße hieß, in der er oder sie | |
| aufgewachsen ist. Es macht einen Unterschied, ob sie den Namen einer | |
| Lehrerin oder den eines faschistischen Generals trägt“, so die Professorin | |
| von der Universität Alcalá. Sie ist Autorin mehrerer Studien und Bücher | |
| über die pädagogische Reformbewegung in den Jahren der frühen Republik. | |
| „Justa Freire glaubte fest daran, dass der Zugang zu Bildung die soziale | |
| Lage der Kinder aus armen Verhältnissen verbessern könne.“ | |
| Und was macht Bürgermeister Almeida? Er will jetzt gar eine sechs Meter | |
| hohe Soldatenstatue errichten lassen. [2][Sie soll an die Spanischen Legion | |
| erinnern.] 1920 als Fremdenlegion gegründet, gelangte die Legión Española | |
| vor allem durch Kriegsverbrechen in Nordafrika und während des spanischen | |
| Bürgerkrieges zu Berühmtheit. Das Denkmal soll ausgerechnet auf dem Platz | |
| vor dem Königlichen Palast in Madrid stehen. Dort also, wo Diktator | |
| Francisco Franco (1892–1975) gerne seine Ansprachen an die Massen hielt. | |
| ## Wappen am Ministerium | |
| [3][Die Symbole der Diktatur sind in der Hauptstadt heute nach wie vor sehr | |
| präsent.] Am Verteidigungsministerium prangen die Wappen der Diktatur. Auf | |
| dem Uni-Campus steht eine Büste des Ministers, der die demokratischen | |
| Akademiker verfolgen ließ. In einem der städtischen Parks steht ein Denkmal | |
| für die Putschisten von 1936. Und den Eingang der Stadt vom Nordwesten her | |
| ziert ein Triumphbogen zu Ehren des Sieges der Faschisten über die | |
| Demokratie im Jahre 1939. | |
| „Der Regierungspalast ist nur wenige Meter entfernt. Alle Regierungschefs, | |
| egal welcher Couleur, fuhren dort täglich vorbei. Gestört hat es scheinbar | |
| keinen“, beschwert sich Emilio Silva, Vorsitzender und Gründer der | |
| Vereinigung zur Wiedererlangung der historischen Erinnerung (ARMH). Er | |
| streitet seit Jahren für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Opfer | |
| der Diktatur. Für ihn ist die Politik von Bürgermeister Almeida „eine | |
| neuerliche Erniedrigung der damaligen Opfer“. Die Überreste von 100.000 von | |
| ihnen liegen bis heute in Spanien irgendwo in anonymen Massengräbern | |
| verscharrt. | |
| Almeida führt, so Silva, einen „Krieg um die Deutung der Geschichte und um | |
| den Begriffe der Freiheit“ fort, den die Rechte vor Jahren bereits unter | |
| dem einstigen spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar begann. | |
| „Die PP hat Bürgerkrieg und Diktatur nie verurteilt. Anders als in | |
| Deutschland hat die spanische Rechte nie ganz mit dem faschistischen Erbe, | |
| dem Franquismus gebrochen“, meint auch Clara Ramas San Miguel. Für die | |
| Philosophieprofessorin von der hauptstädtischen Universität Complutense hat | |
| die PP zwei Seelen: „Eine staatstragende, die regiert und verwaltet, und | |
| eine ideologische“. Mit der neuen Generation rund um den jungen Parteichef | |
| Pablo Casado sei die ideologische Rechte am Drücker. | |
| ## Generation Schlussstrich | |
| Casado diskreditiert den Antifaschismus mit Behauptungen wie: „Links sein | |
| kann nicht modern sein. Sie sind Ewiggestrige, die den ganzen Tag von | |
| Großvaters Krieg und von den Massengräbern von was weiß ich wem reden.“ | |
| Almeida ist einer seiner engsten Vertrauten, Sprecher des Parteivorstandes. | |
| „Die rechtsextreme Vox treibt die PP vor sich her“, sagt Professorin Ramas. | |
| Die PP dominierte jahrzehntelang das gesamte rechte Spektrum. Dann brach | |
| Vox die Hegemonie vom rechten Rand her auf. Die von Ex-PPlern gegründete | |
| Partei wurde bei den letzten spanischen Parlamentswahlen 2019 auf Anhieb | |
| drittstärkste Kraft. | |
| Für Vox steht neben der nationalen Einheit Spaniens die Ablehnung der | |
| „Genderdiktatur“ ganz oben auf der Liste ihrer Themen. Feminismus ist das | |
| Feindbild schlechthin. „Almeida ist auf die Unterstützung von Vox im | |
| Rathaus angewiesen. Deshalb geht er immer wieder auf deren Forderungen | |
| ein“, sagt Ramas. So etwa, als die Rechtsextremen die Entfernung einer | |
| großflächigen feministischen Wandmalerei verlangten. | |
| Es zeigt herausragende Persönlichkeiten wie Rosa Parks, Angela Davis, | |
| Rigoberta Menchu, Emma Goldman oder Frida Kahlo. Almeida nahm schließlich | |
| von dem Vorhaben Abstand. Das Gemälde blieb, wurde aber kurz darauf | |
| geschändet. Den Frauen wurden Fadenkreuze auf die Stirn gesprüht. | |
| ## Kulturelle Hegemonie | |
| „Almeida versucht, der Linken die Interpretation der Geschichte der letzten | |
| 100 Jahre in Spanien streitig zu machen, sie neu zu definieren“, sagt | |
| Guillermo Fernández. Die Strategie des Bürgermeisters sei eine der | |
| extremen Rechten weltweit, erklärt der Dozent an der Madrider Universität | |
| Carlos III. „Die Rechte beklagt, dass die Linke eine vermeintliche | |
| kulturelle Hegemonie besitze“, sagt Fernández, der über die europäische | |
| radikale Rechte forscht. | |
| „Deshalb gestalten sie den politischen Kampf nicht nur in Parlamenten, oder | |
| auf den Straßen und in sozialen Bewegungen. Sie kämpfen auch um die Kultur | |
| und die Weltbilder.“ Der „metapolitische Kampf“ richte sich gegen die | |
| vermeintliche intellektuelle Vorherrschaft des fortschrittlichen Lagers, | |
| gegen eine demokratisch orientierte Erinnerungspolitik, gegen Feminismus | |
| und gegen eine Toleranz für verschiedene Lebensformen. | |
| Jorge Lago, Verleger und Politikdozent an der gleichen Universität wie | |
| Fernández, benennt noch einen weiteren Aspekt. „Almeida spielt mit der | |
| Linken. In dem die Linke gezwungen wird, Symbole und Name aus der | |
| Vergangenheit zu verteidigen, erscheint sie linker als sie ist. Die Linke | |
| verliert so die Initiative, sie reagiert nur noch“, so Lago. „Das | |
| hinterlässt bei vielen den Eindruck: Die Linke handelt nicht aus einem | |
| gesunden Menschenverstand der Gegenwart, sondern sie ist parteiisch und | |
| nostalgisch und kümmert sich nur um rückwärtsgewandte Themen und um | |
| bestimmte Minderheiten.“ | |
| Selbst die sozialdemokratische PSOE, die wirtschaftspolitisch längst so | |
| neoliberal sei wie die PP, werde in diesen Debatten um Vergangenheit und | |
| Werte zur Linken alten Stiles deklariert. Während sich die PP gleichzeitig | |
| als Partei der Zukunft inszeniert, die sich auf gutes Verwalten und | |
| erfolgreiche Wirtschaftspolitik verstehe. „Eine intelligente Strategie. Die | |
| Rechte drängt die Linke dorthin, wo sie nur verlieren kann“, schlussfolgert | |
| der Spezialist für politische Diskurse. | |
| 1 Oct 2021 | |
| ## LINKS | |
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| ## AUTOREN | |
| Reiner Wandler | |
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