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# taz.de -- Stadtplanung unter Diktator Franco: Eine neue Realität schaffen
> Politik in Stein und Beton: Der Band „Städtebau als Kreuzzug Francos“
> schildert „Wiederaufbau und Erneuerung unter der Diktatur in Spanien
> 1938–1959“.
Bild: Das „Tal der Gefallenen“: Bis 2019 ruhten hier die Überreste Francos
Das 153 Meter hohe Stahlbetonkreuz in den Bergen nördlich von Madrid
überragt einfach alles. Es ist die Stein gewordene Erinnerung an Diktator
Francisco Franco.
Auch wenn die Überreste des „Generalísimo“ [1][im Herbst 2019 von dort auf
einen kleinen Friedhof der Hauptstadt umgebettet wurden,] ist die
darunterliegende 260 Meter lange, von 14.000 Zwangsarbeitern in den Fels
getriebene Kathedrale das Symbol der knapp 40-jährigen Diktatur und
Kultstätte für Ewig- und Neugestrige. 30.000 Gefallene beider Seiten des
Bürgerkrieges liegen in Galerien beerdigt. Es war Francos makabre Art der
„Aussöhnung“.
Das Valle de los Caídos – Tal der Gefallenen – ist nicht das einzige
Bauwerk, das in Spanien an die Gewaltherrschaft von 1939 bis 1975 erinnert.
Vor allem in den frühen Jahren der Diktatur drückten die Faschisten
Spaniens Städten und Dörfern ihren Stempel auf. Es war die systematische
Umgestaltung der Hauptstadt Madrid und der Mittelmeermetropole Barcelona
durch die Sieger des Bürgerkriegs (1936 bis 1939).
Und es sind die im Zeichen des Wiederaufbaus entstandenen Wohngebiete,
Infrastrukturen und Dörfer überall im Land. Meist wurden sie unter der
Regie der faschistischen Organisation Falange und des Innenministeriums
geplant und gebaut – der „Estado Nuevo“ – der neue Staat der Franquisten
als städtebauliches Projekt.
Wie weit dieser Eingriff ging, untersuchte jetzt eine Gruppe von
Städteplanern, Architekten und Sozialwissenschaftlern um den Professor für
Raumforschung an der Bauhaus-Universität Weimar, Max Welch Guerra, und
seinen Kollegen, den Professor für Planungs- und Architektursoziologie an
der Technischen Universität zu Berlin, Harald Bodenschatz. Ihr mit
Hunderten von Fotos illustriertes Buch „Städtebau als Kreuzzug Francos“
nimmt sich der Zeit von 1938 bis 1959 an.
## Phase des Wiederaufbaus oft ignoriert
„Der Wiederaufbau nach dem Spanischen Bürgerkrieg wird von der
internationalen Städtebaugeschichtsschreibung unterschätzt, ja meist
ignoriert“, schreiben sie. Ihr Werk versucht, diese Lücke zu füllen. Die
Autoren vervollständigen die Architekturbetrachtung der Diktaturen auf der
Iberischen Halbinsel, indem sie an ein früheres Werk zum Städtebau unter
António de Oliveira Salazar im benachbarten Portugal anknüpfen.
Dem Autorenteam geht es darum zu klären und zu erklären, „welche
gesellschaftspolitische Strategie des Franquismus sich aus dessen
Städtebaupolitik erkennen“ lässt. Sie verstehen dabei „Städtebau nicht n…
als entworfene und gebaute städtebauliche Form“.
Es gehe vielmehr um einen politisch und soziologisch analytischen Blick auf
„die Verhältnisse, die dieses Produkt ermöglicht haben, dann die Prozesse,
die zu diesem Produkt geführt haben, und schließlich die materielle Wirkung
und die Botschaft, die die städtebauliche Form impliziert“. Das Ganze wird
in einen historischen Bezug zu den anderen Diktaturen jener Jahre – neben
Portugals Salazar die von Hitler, aber auch von Stalin – gestellt.
## Städtebau hatte für Faschisten Priorität
Für die faschistischen Putschisten gegen die Zweite Spanische Republik
stand der Städtebau in der Nachkriegszeit ganz oben auf der
Prioritätenliste, wohl gleich nach der Repression gegen die „Roten“, wie
sie Demokraten und Linke nannten. Deshalb begann der Wiederaufbau bereits
1938, ein Jahr vor Kriegsende, in den Gebieten, die früh schon unter
Herrschaft der faschistischen Truppen gerieten.
Zum Kriegsende waren 192 Ortschaften zu mindestens 60 Prozent zerstört. Sie
erhielten Vorrang beim Wiederaufbau der Wohngebiete, Industrie und
Landwirtschaft, begleitet von einer Propaganda des Wiederaufbaus in
Tageszeitungen und Fachzeitschriften.
Es ging darum, „Schäden zu überwinden, die diejenigen Dörfer und Städte
erlitten haben, die blutige Schauplätze des heiligen und siegreichen
Kreuzzugs der Befreiung oder unabweisbare Zeugen der barbarischen und
grausamen Verbitterung der Horden waren, die, durch Russland angeleitet,
ihren Hass zeigten gegen alles, was eine reale Darstellung der
grundsätzlichen und jahrhundertealten Prinzipien des christlichen und
spanischen Geistes ist“, so Ramón Serrano Súñer.
Der Generalsekretär der Falange und spätere Innen- und Außenminister war
lange für den Städtebau der Nachkriegszeit verantwortlich. Ihm ging es
nicht ums Rekonstruieren, sondern ums Gestalten, um die Schaffung einer
neuen Realität – um den „Estado Nuevo“ auf Gemeindeebene. In Zeiten der
Wohnungsnot sollte der Wiederaufbau und Wohnungsbau Loyalität schaffen und
schuf diese oft auch.
## Modernes Schaufenster des Staats
Das Buch untersucht ausführlich die Umgestaltung Madrids zur Stadt der
franquistischen Macht und Barcelonas zum modernen Schaufenster des
faschistischen Staats. Dort mischen sich vom Architekturstil [2][des
Klosters und Palastes El Escorial aus dem 16. Jahrhundert,] der Blütezeit
des spanischen Imperiums, beeinflusste Fassaden mit moderner Funktion. In
Madrid zeugen viele Gebäude der Universität Complutense ebenso davon wie
Regierungs- und Verwaltungsgebäude, etwa das Luftfahrtministerium.
Zwar habe der Putsch zum Ziel gehabt, die „Herrschaftsverhältnisse aus der
Zeit vor der Republik“ wieder zu etablieren, aber „die Funktion des
Städtebaus bestand nicht darin, das Alte einfach wiederherzustellen“, heißt
es im Buch. Es ging „um ein Entwicklungsprojekt, das die alten Zustände
überwinden und den spanischen Kapitalismus aktualisieren sollte“.
Selbst der Wiederaufbau ideologisch aufgeladener Orte, wie das völlig
zerstörte Brunete unweit Madrids oder Belchite in Aragonien, folgte –
ebenso wie das dritte Vorzeigebeispiel des franquistischen Städtebaus, das
baskische Gernika – einer Mischung aus Tradition und neuer Moderne.
In Gernika wurden viele baskische Bauelemente bewahrt – anstatt wie in
Brunete und Belchite sich eines traditionellen kastilischen Baustils zu
bedienen. Aber die Infrastruktur folgte neuen, zeitgenössischen
Vorstellungen.
## Wiederaufbau Gernikas als Propaganda-Aktion
Dass Gernika auf die mythenbeladene Liste der bevorzugten
Wiederaufbauprojekte gelangte, war eine Propaganda-Aktion allerersten
Ranges. [3][Die Stadt an der Landstraße nach Bilbao wurde 1937 von der
deutschen Legion Condor mit Luftangriffen völlig dem Erdboden
gleichgemacht.]
Pablo Picassos Gemälde zeugt vom Horror jenes Markttages, der ganz normal
begann und mit Tausenden zivilen Toten endete. Gernika wurde nach Ende des
Krieges für das neue Regime zum „Ort der Schande des Feindes“.
Die franquistische Propaganda traute sich nicht, die Vernichtung der
symbolträchtigen, den Basken heiligen Stadt als das darzustellen, was sie
war – ein Straffeldzug gegen die nach mehr Eigenständigkeit strebende
Region und ein groß angelegter Feldversuch der deutschen Luftwaffe für
Flächenbombardements am Vorabend des Zweiten Weltkriegs.
Stattdessen ließen die Franquisten die Nachricht verbreiten, die „Roten“
hätten die Stadt in Brand gesteckt. Diese „Schande des Feindes“
rechtfertigte den bevorzugten Wiederaufbau.
Die städtebauliche Vergangenheit, von der das Buch berichtet, ist auch
außerhalb der Orte, die dem neuen Staat als Mythos dienten, nicht wirklich
vergangen. Bis heute benutzen die Spanier Krankenhäuser aus jener Zeit oder
gehen in Fußballstadien, die unter der Diktatur errichtet wurden – so etwa
das von Real Madrid, aber auch das des Erzrivalen Atlético de Madrid, das
erst vor wenigen Monaten einem neuen gigantischen Städtebauprojekt weichen
musste.
## Francos Spanien als Entwicklungsdiktatur
Das Spanien der frühen Franco-Jahre ist für die Autoren eine
Entwicklungsdiktatur, die mit einer äußerst harten Repression einherging.
Unter den öffentlichen Bauprojekten gab es auch zahlreiche Haftanstalten
und Gefangenenlager. Das bekannteste Beispiel ist wohl das Madrider
Provinzgefängnis in Carabanchel, mit dem viele Oppositionelle Bekanntschaft
machen sollten.
Im Jahr 2008, 32 Jahre nach dem Tod des Diktators, wurde es einfach
abgerissen. Die Forderung ehemaliger Insassen nach Erhalt des Gebäudes und
der Einrichtung einer Gedenkstätte wurde von der damaligen
sozialdemokratischen Regierung ignoriert. Zu lukrativ waren die 16 Hektar
für die Bauindustrie.
Anders als der Nationalsozialismus in Deutschland mit seinen monumentalen
Bauten ging es den Städteplanern Francos auch um das Kleine, um den
ländlichen Raum. Die Autorengruppe untersucht ausführlich die 301
sogenannten Neudörfer, die in den Jahren 1943 bis 1971 entstanden und
130.000 Kolonialisten mit ihren Familien aufnahmen und zur Erschließung
neuer Ländereien für die Landwirtschaft beitrugen.
Diese Orte folgen alle einem Plan, der die öffentlichen Gebäude in den
Mittelpunkt rückt, überschattet von nur einem Gebäude, der Kirche –
architektonisches Symbol dessen, was Nationalkatholizismus heißt.
## Viele Wohnblocks von damals erhalten
Auch dort, wo der Krieg nicht alles verwüstete, leben viele Spanier bis
heute in Siedlungen und Wohnblocks, die unter der Diktatur für alle
sozialen Schichten entstanden. Bis vor wenigen Jahren liefen sie Tag für
Tag an einer Tafel vorbei, auf der neben dem Joch und Pfeilen – dem Wappen
der Falange – zu lesen war, dass sie hier dank des „Nationalen
Wohnbauinstituts“ leben.
Dann verschwanden die Tafeln dank des „Gesetzes zur Historischen
Erinnerung“, das franquistische Symbole aus der Öffentlichkeit verbannte,
aus den Treppenhäusern.
Ein Ersatz, um die Geschichte zu erklären, wurde nicht angebracht. So
verschwand mit dem Wappen der Falange oft leider auch das Wissen um die
Vergangenheit der Gebäude – und damit die eigene – selbst.
8 Aug 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Reiner Wandler
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