| # taz.de -- Hannes Köhler über seinen Roman „Götterfunken“: „Er versch… | |
| > Hannes Köhlers „Götterfunken“ handelt von Anarchisten. Und spielt auf | |
| > verschiedenen Zeitebenen zwischen Barcelona, Toulouse und Frankfurt. | |
| Bild: Am Ende der Franco-Diktatur 1976 in Barcelona: Polizei knüppelt Demonstr… | |
| Ein sonniger Nachmittag in Barcelona auf der Terrasse der Bar Funicular im | |
| Eixample-Viertel. Die Bar wirkt auf den ersten Blick schmucklos, hat aber | |
| eine bewegte Geschichte, wie Hannes Köhler berichtet. Der Berliner | |
| Schriftsteller mit familiärer Verbindung nach Barcelona hat sie als | |
| Hintergrund in seinen dritten Roman „Götterfunken“ (Ullstein Verlag) | |
| eingewebt. Er erzählt dabei von drei Anarchisten aus verschiedenen Zeiten | |
| zwischen Barcelona, Toulouse und Frankfurt am Main. | |
| taz: Herr Köhler, wo befinden wir uns gerade, was macht die Bar Funicular | |
| so besonders? | |
| Hannes Köhler: Die Bar war die Stammkneipe von Salvador Puig Antich, einem | |
| bekannten katalanischen Anarchisten und Aktivisten der anarchistischen | |
| Gruppe MIL [Movimiento Ibérico de Liberación, Iberische Freiheitsbewegung]. | |
| Die MIL war Anfang der siebziger Jahre für mehrere Banküberfalle und | |
| kleinere Attentate in Katalonien und Südfrankreich verantwortlich. Und | |
| hier, in dieser Bar, hat er im September 1973 sein letztes Bier in Freiheit | |
| getrunken, bevor er von der Polizei verhaftet wurde. | |
| In Ihrem Roman „Götterfunken“ geht es um eine Gruppe Anarchisten, Salvador | |
| Puig Antich selbst wird namentlich erwähnt … | |
| Puig Antich spielt eine Rolle. Dazu muss man wissen, dass er nicht nur | |
| verhaftet, sondern relativ schnell verurteilt und hingerichtet wurde, | |
| zusammen mit einem Deutschen als Letzter während des Franco-Regimes im März | |
| 1974. Für die Anarchisten in meinem Roman ist er entsprechend das Beispiel | |
| für das, was im schlimmsten Fall passieren kann, wenn man sich dem | |
| franquistischen Staat widersetzt. | |
| Ihr Roman spielt auf mehreren Zeitebenen und in mehreren Ländern. Der | |
| Hauptteil ist im Barcelona der Jahre 1974 und 1975 angesiedelt. Wie war die | |
| Stadt zu jener Zeit? | |
| Wir haben heute ein sehr buntes und lebendiges Bild von Barcelona. Aber man | |
| muss sich die Stadt in den siebziger Jahren komplett anders vorstellen: | |
| eine extrem graue Stadt unter einer gleißenden Sonne. Trotz der | |
| Franco-Diktatur gab es eine Alternativkultur und einen relativ lebendigen | |
| Anarchismus. Aber [1][Spanien und auch Katalonien waren immer noch sehr | |
| konservativ] und enorm von der katholischen Kirche geprägt. Die Zeitzeugen, | |
| die ich für die Recherche interviewte, beschrieben es als Zeit im | |
| Wartezustand. Mitte der Siebziger liegt Diktator Franco im Sterben. [2][Die | |
| baskische ETA hat] seinen designierten Nachfolger Luis Carrero Blanco bei | |
| einem Attentat getötet. Alle fragen sich: Was wird nach Francos Tod | |
| passieren? Die Anarchisten in meinem Roman kämpfen in dem Bewusstsein, dass | |
| das Regime auf sehr wackligen Beinen steht. | |
| Anarchismus hat in Barcelona und in Spanien eine lange Tradition. Wie kommt | |
| das? | |
| Grob gesagt könnte man in Europa eine Trennlinie ziehen zwischen Nord und | |
| Süd; im Süden dominierten in der Linken zu Beginn des 20. Jahrhunderts die | |
| Anarchisten, während sich der Norden dem Marxismus zuwandte. Der Spanische | |
| Bürgerkrieg 1936–39 gilt als Wendepunkt, weil innerhalb der Linken, auch | |
| durch das Eingreifen der Sowjetunion, die Marxisten die Macht übernehmen | |
| konnten. Der Anarchismus wird in Spanien anders gesehen als in Deutschland, | |
| wo Anarchisten als Bombenleger oder Mörder gelten. Er ist hier ein | |
| Anarchosyndikalismus – kommunal, basisdemokratisch und gewerkschaftlich | |
| verankert. Frankreich hatte eine Scharnierfunktion inne, Südfrankreich in | |
| der Gegend um Toulouse und Teile Italiens waren ebenfalls anarchistisch | |
| geprägte Regionen. | |
| Einer Ihrer drei Protagonisten, der Franzose Germain, ist in Toulouse | |
| aktiv, bis er sich den katalanischen Anarchisten anschließt. | |
| Toulouse war eine Hochburg des Anarchismus und galt zugleich als | |
| Rückzugsort; die Anarchisten konnten sich relativ frei über die Pyrenäen | |
| zwischen Südfrankreich und Spanien bewegen. Germains Gruppe in Frankreich | |
| hilft den katalanischen Anarchisten, beliefert sie mit Waffen. Nach einer | |
| solchen Waffenlieferung bleibt er in Barcelona, um aktiv mitzuwirken. | |
| „Götterfunken“ spielt auch in Frankfurt und Kopenhagen. Der Titel ist zudem | |
| an Beethovens „Ode an die Freude“ und somit die offizielle Hymne Europas | |
| angelehnt. Was hat Sie gereizt, einen solchen europäischen Roman zu | |
| schreiben? | |
| Meine Partnerin stammt aus Barcelona. Durch sie und ihre Familie habe ich | |
| Menschen kennengelernt, die im anarchistischen Widerstand aktiv waren. Ihre | |
| Geschichten über den politischen Kampf in der Diktatur sind unglaublich | |
| interessant. Am Anarchismus speziell hat mich die internationale Komponente | |
| gereizt. Ich bin regelmäßig in Barcelona und spreche mit den Menschen hier. | |
| Der spanische Blick auf Europa ist anders. Etwa auch im Hinblick auf die | |
| wirtschaftliche und politische Macht von Deutschland oder Frankreich. | |
| Ihr Roman ist auch auf verschiedene Zeitebenen angesiedelt. In der | |
| Gegenwart ist Ihre Romanfigur Toni mit katalanischen Nationalisten | |
| konfrontiert. Es ist nicht derselbe anarchische Geist des Widerstands der | |
| siebziger Jahre. Warum haben Sie diese Konstruktion gewählt? | |
| Die Unabhängigkeit Kataloniens ist in Barcelona immer noch ein unglaublich | |
| wichtiges Thema. Ich finde es sehr spannend, wie sich der katalanische | |
| Nationalismus in weiten Teilen selbst als links definiert, gleichzeitig | |
| aber sehr nationalistisch ist; und dass darin von den Akteuren | |
| offensichtlich kein Widerspruch gesehen wird. Mich irritiert das. Es ist | |
| sonderbar, wie in dieser nationalen Bewegung bestimmte Symbole und Ideen | |
| des Widerstands als Kampf gegen ein „Unterdrückungssystem“, also gegen | |
| Spanien, inszeniert werden. Das empfinde ich als absurd, zumindest wenn man | |
| sich den Widerstand gegen eine tatsächliche Diktatur wie den Franquismus in | |
| den siebziger Jahren anschaut. Außerdem hat mich die Frage interessiert, | |
| wie jemand, der diesen Kampf gegen die Diktatur geführt hat und linken | |
| Widerstand immer als international definiert hat, mit solchen Positionen | |
| heute umgeht. | |
| Ihre drei Protagonisten lernen wir in den Siebzigern kennen und dann dort, | |
| wo sie sich vierzig Jahre später im Leben befinden. Germain, der Franzose, | |
| ist Politiker geworden, ein linker zwar, aber doch | |
| institutionalisiert. Der Deutsche, Jürgen, hat eine Softwarefirma. | |
| Nur der Dritte, der Spanier Toni, scheint sich treu geblieben zu sein und | |
| betreibt eine kleine Bodega in Barcelona. Aber auch bei ihm kaufen | |
| inzwischen vor allem Touristen und Hipster ein. Was ist von den früheren | |
| Idealen noch übrig, haben sie sie verraten? | |
| Die Frage lautet eher: Was ist der logische Weg für die Figuren? Ich hatte | |
| nicht das Bedürfnis, über Menschen zu schreiben, die, weil sie Karriere | |
| gemacht haben, sozusagen ihre politischen Ideale verleugnen. Toni ist in | |
| den Siebzigern derjenige, der ins Gefängnis kommt, und diese Erfahrung muss | |
| Folgen haben für seine Selbstwahrnehmung und sein Leben. Deswegen sieht er | |
| sich als Abgehängter, als Verlierer, obwohl er es gar nicht mehr ist. In | |
| der Gegenwart ist sein Problem, dass er mit seinem Erfolg klarkommen muss. | |
| Wie geht man damit um, wenn man sich immer als linker Außenseiter | |
| wahrgenommen hat, aber plötzlich Geld macht? Der Franzose wiederum hat | |
| einen sehr schrägen Werdegang und kommt schließlich im Jahr 2017 in der | |
| französischen Regierung an, aber nur, weil ihn eine alte Freundin ins | |
| Kultusministerium holt. Das heißt, er ist in einer Establishmentposition | |
| gelandet, ohne sie wirklich gesucht zu haben. Jürgen, der Deutsche, ist das | |
| große Fragezeichen im Roman. Er verschwindet nach dem Attentat der Gruppe | |
| spurlos. Seine Gefährten wissen nicht, was mit ihm passiert ist, ob er | |
| fliehen musste oder verhaftet wurde. | |
| Vierzig Jahre später taucht er auf einer Hochzeit wieder auf … | |
| Jürgen leitet eine Softwarefirma und hat den klassischen kapitalistischen | |
| Erfolgsweg gefunden. Die Frage, wie es dazu gekommen ist, spielt eine | |
| wichtige Rolle. Von außen gesehen ist er ein Kapitalist, der sehr | |
| erfolgreich ist, aber auch dieser Weg ist kein stromlinienförmiger. Am Ende | |
| des Romans äußert Jürgen – er ist eine von sieben Erzählstimmen – seine | |
| ganz eigene Sicht auf seine Radikalität und auf die Dinge, die ihm | |
| widerfahren sind. Es bleibt den Leserinnen und Lesern überlassen, ob sie | |
| ihm glauben möchten. | |
| Jürgen lebt in Frankfurt am Main, mehrere Szenen spielen im Nordend. Warum | |
| haben Sie ausgerechnet diese Stadt als Setting ausgesucht? | |
| Wenn man aus Sicht des politischen Aktivismus der siebziger Jahre überlegt, | |
| ist Frankfurt natürlich eine der zentralen Städte, in der die RAF aktiv | |
| war. Mich hat aber mehr die Hausbesetzerszene interessiert. In ihr haben | |
| sich Leute wiedergefunden, die aus dem Anarchismus kamen, weil dort die | |
| Idee einer konkreten Demokratie und eines konkreten Aufbaus von Strukturen | |
| von unten nach oben sehr dominant war. Im Hintergrund, auch wenn es im | |
| Roman selbst keine große Rolle spielt, schwingen auch Proteste wie am | |
| Flughafen gegen den Bau der Startbahn West mit. Für mich war klar, dass für | |
| jemanden, der aus Spanien kommt und dem die Idee des kommunal und | |
| gewerkschaftlich geprägten Anarchismus gefällt, Frankfurt am Main die | |
| logische Adresse ist. Deswegen ist folgerichtig, dass Jürgen in Frankfurt | |
| landet und sich dieser Szene anschließt, weil das innerhalb der politischen | |
| Linken in Deutschland die Position ist, der er sich am ehesten verbunden | |
| fühlt. Frankfurt ist eine Stadt mit einer langen Geschichte, wenn es um | |
| linken Aktivismus geht. | |
| 9 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Isabella Caldart | |
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