# taz.de -- Kulturförderung in Berlin: Gefahr für den pluralen Diskurs | |
> Das Kulturzentrum Oyoun in Berlin-Neukölln soll nicht mehr gefördert | |
> werden. Der Senat cancelt die Finanzierung – ein antidemokratischer | |
> Trend. | |
Bild: Gerade umstritten: das Oyoun, die ehemalige Werkstatt der Kulturen | |
BERLIN taz | Das Oyoun ist ein Ort, der weit über Berlin hinaus strahlt. In | |
migrantischen, postkolonial orientierten und queerfeministischen Kreisen | |
ist das Kulturzentrum bekannt und beliebt als Ort für minoritäre, kritische | |
und interdisziplinäre Perspektiven, die in allen möglichen Ausdrucksformen | |
dargeboten werden. Internationale Künstler*innen treffen hier auf ein | |
internationales und vielseitiges Publikum. Weil es nicht viele solcher Orte | |
gibt, nicht einmal in der auf ihre Multikulturalität so stolzen Hauptstadt, | |
fördert der Senat das Haus, früher bekannt als „Werkstatt der Kulturen“, | |
seit 2020 mit jährlich einer knappen Million Euro. | |
Doch plötzlich ist alles anders: Das Oyoun hat sich geweigert, dem Wunsch | |
der Kulturverwaltung zu entsprechen und eine Veranstaltung des Vereins | |
„Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ abzusagen. Der | |
Verein ist Teil einer internationalen Bewegung linker Jüdinnen und Juden – | |
bekannt ist etwa die „Jewish Voice for Peace“, die Israels | |
Palästina-Politik scharf kritisiert und dafür auch harte Worte wie | |
„Apartheid-System“ benutzt. Das hört man in Deutschland nicht so gerne, | |
seit dem [1][Angriff der Hamas am 7. Oktober] weniger denn je. | |
Und so erklärte die Kulturverwaltung die Zusammenarbeit mit dem Oyoun, | |
[2][das sich gegen die politische Einmischung verwahrte], für beendet. | |
Offenen oder auch „versteckten“ Antisemitismus wolle man nicht fördern, | |
[3][erklärte Kultursenator Joe Chialo (CDU)]. | |
Nun muss man der Jüdischen Stimme nicht in allem folgen, vor allem nicht | |
ihrer Unterstützung der Boykott-Kampagne gegen Israel (BDS) – es gibt gute | |
Gründe, BDS antisemitisch zu nennen. Doch sollte man anerkennen, dass die | |
Positionen der Jüdischen Stimme, so marginal sie in der jüdischen Community | |
hierzulande sein mögen, international durchaus relevant sind. Auch in | |
Israel sind scharfe Begriffe wie „Apartheid“ im Kontext mit der Politik der | |
Regierung in Gebrauch. | |
Umgekehrt wird der Vorwurf des Antisemitismus wohl nirgendwo so schnell | |
erhoben wie in Deutschland. Das ist zwar verständlich, schließlich leben | |
wir im Land der Täter. Aber sollte man alle Stimmen, die nicht der | |
offiziellen Staatsräson der bedingungslosen Unterstützung von Israels | |
Regierung folgen, unter Bann stellen? | |
## Die Absagen häufen sich | |
Genau das passiert zur Zeit. Die Meldungen von Absagen an Künstler*innen | |
häufen sich gerade derart, dass man von einer neuen Hexenjagd sprechen | |
könnte. Offenbar reicht es schon, [4][irgendwann einen BDS-Aufruf | |
unterzeichnet] oder sich angeblich [5][nicht genug vom Hamas-Terror | |
distanziert zu haben], um im Mainstream untendurch zu sein. | |
In diesem Zusammenhang steht auch das „Canceln“ der Oyoun-Förderung durch | |
den Senat für eine gefährliche Neigung der bürgerlichen | |
Mehrheitsgesellschaft, den pluralen Diskurs zu unterbinden. Besonders | |
nachdenklich sollte dabei stimmen, dass es ausgerechnet Jüd*innen und | |
Migrant*innen sind, die in einer Art neuem McCarthyism mundtot gemacht | |
werden. Aber warum eigentlich muss jede*r hierzulande die „deutsche | |
Befindlichkeit“ in Sachen Antisemitismus teilen? Warum nicht andere | |
Sichtweisen zulassen beziehungsweise mit ihnen diskutieren, um ein | |
differenzierteres Bild zu bekommen? | |
Das Oyoun ist ein Ort, wo solche Diskurse möglich sind – die Politik sollte | |
solche Orte fördern, statt sie abzuservieren. | |
1 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /-Hamas-Angriff-auf-Israel-/!5965955 | |
[2] /Kulturpolitik-im-Nahost-Konflikt/!5968435 | |
[3] /Kulturfoerderung-gecancelt/!5972860 | |
[4] /Debatte-um-Peter-Weiss-Preis-an-Otoo/!5976985 | |
[5] /Abwege-des-Aktivismus-in-der-Kunst/!5971023 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Stadtland | |
wochentaz | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Antisemitismus-Vorwurf | |
Kulturzentrum | |
Berlin | |
Antisemitismus-Vorwurf | |
Antisemitismus | |
Antisemitismus | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Antisemitismus | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Kultur in Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kulturzentrum Oyoun in Neukölln: „Politische“ Insolvenz befürchtet | |
Das Kulturzentrum wartet verzweifelt auf zugesagte Lotto-Gelder und | |
vermutet politischen Druck hinter der Verzögerung. Die Lottostiftung | |
verneint das. | |
Antisemitismus-Debatte: Oyoun gegen „Tagesspiegel“ 2:0 | |
Zum zweiten Mal gewinnt das Kulturzentrum ein Gerichtsverfahren um seinen | |
angeblichen Antisemitismus. | |
Debatte um Kulturförderung: Oyoun zeigt die Zähne | |
Das Kulturzentrum weist neue Vorwürfe zurück. Es verklagt die | |
Kulturverwaltung wegen Ende der Förderung und macht Festival mit der | |
„Jüdischen Stimme“. | |
Bekenntnisse zum Nahost-Krieg: Deutschland, schalt dich ab! | |
Viele verspüren Druck, sich zu Israel oder Palästina zu bekennen. Doch die | |
Angst, falsch verortet zu werden, ist oft größer als die Sorge um das Leid | |
Betroffener. | |
Prozess wegen Antisemitismus: Schläge für Kritik an Gepöbel | |
Nach einer tätlichen Auseinandersetzung in einer Kneipe steht ein Bremer | |
vor Gericht. Der Auslöser sollen antisemitische Äußerungen gewesen sein. | |
Kulturförderung gecancelt: Das Oyoun wehrt sich | |
Weil es nach Antisemitismus-Vorwürfen keine Förderung mehr vom Senat | |
bekommen soll, bereitet sich das Kulturzentrum auf einen Rechtsstreit vor. | |
Kulturpolitik im Nahost-Konflikt: (K)ein Raum für Diskurs | |
Der Berliner Senat droht, dem Kulturzentrum Oyoun die Förderung zu | |
streichen, weil es propalästinensischen Gruppen Räume zur Verfügung stellt. | |
Nachfolger der „Werkstatt der Kulturen“: Der misslungene Neustart | |
Die „Werkstatt der Kulturen“ gibt es nicht mehr, am Samstag startet der | |
Nachfolger „Oyoun“. Doch es gibt schwere Vorwürfe gegen die Betreiberinnen. |