# taz.de -- Nachfolger der „Werkstatt der Kulturen“: Der misslungene Neusta… | |
> Die „Werkstatt der Kulturen“ gibt es nicht mehr, am Samstag startet der | |
> Nachfolger „Oyoun“. Doch es gibt schwere Vorwürfe gegen die | |
> Betreiberinnen. | |
Bild: Eine Veranstaltung der Werkstatt der Kulturen in der benachbarten Hasenhe… | |
Für nicht weiße Berliner*innen war die Werkstatt der Kulturen in der | |
Neuköllner Wissmannstraße ein wichtiger Ort. Ein Haus, in dem Kultur aus | |
aller Welt auf teilweise sehr hohem Niveau stattfand, ein Haus, das | |
gleichzeitig ein Treffpunkt für verschiedenste Gruppen und Vereine war. | |
Diesen Ort gibt es so nicht mehr. Nach einem von der Politik erzwungenen | |
Wechsel musste die langjährige Chefin Philippa Ebéné gehen. | |
Seit 1. Januar leitet der Träger Kultur Neudenken (KND) die weit über | |
Berlin bekannte postkolonial-migrantisch ausgerichtete Kulturstätte. Diesen | |
Samstag soll die Neueröffnung unter dem Namen Oyoun (arabisch für Blicke | |
oder Augen) gefeiert werden – wenn nicht wegen Corona noch anders | |
entschieden wird. Doch auch so steht der Neustart unter keinem guten Stern. | |
Von Beginn an lief es nicht gut für das zunächst fünfköpfige | |
Frauenkollektiv KND. Schon Anfang Februar hatte es sich derart zerstritten, | |
dass drei der Frauen ausstiegen. In einer Anfang dieser Woche | |
veröffentlichten Erklärung erheben sie schwere Vorwürfe gegen ihre beiden | |
ehemaligen Kolleginnen. | |
Der eine betrifft die Tatsache, dass mehrere langjährige Mitarbeiter*innen | |
der Werkstatt von KND nicht übernommen wurden. Dabei sei dies fest | |
vereinbart gewesen, ebenso wie „die Anerkennung des Erbes der Werkstatt der | |
Kulturen sowie der Arbeit von Philippa Ebéné“, schreiben die drei | |
Aussteigerinnen Tmnit Zere, Nathalie Mba Bikoro und Saskia Köbschall in | |
ihrem Statement. | |
## Betriebsübergang oder nicht | |
Tatsächlich war zwischen altem und neuem Träger ein so genannter | |
Betriebsübergang vereinbart worden, wie aus mehreren Dokumenten hervorgeht, | |
die der taz vorliegen. Ein solcher Übergang sieht die Übernahme unbefristet | |
eingestellter Mitarbeiter*innen vor. Dass diese Vereinbarung gilt, hatte | |
Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert mehrfach bekräftigt. Die verbliebene | |
Geschäftsführerin von KND, Louna Sbou, dagegen sagte der taz, ob es sich | |
bei dem ganzen Verfahren um einen Betriebsübergang handele, werde von ihren | |
Anwälten „hinterfragt“. | |
Die Frage der taz, wie die Kulturverwaltung zu diesen widersprüchlichen | |
Aussagen stehe und was man zu der Nicht-Übernahme von Mitarbeiter*innen | |
sage, hat Lederers Verwaltung – wie weitere Fragen – bislang nicht | |
beantwortet. „Die Entwicklung in Sachen Coronavirus beziehungsweise | |
Coronaprävention binden hier derzeit alle Kräfte“, entschuldigte sich | |
Lederers Sprecher Daniel Bartsch am Mittwoch per Mail. | |
Nach taz-Informationen hat Staatssekretär Wöhlert aber den neuen Träger | |
aufgefordert, die betroffenen Mitarbeiter*innen mit unbefristeten | |
Arbeitsverträgen zu übernehmen. Dies geschah jedoch nicht. Statt dessen | |
wurde diesen inzwischen offenbar sogar gekündigt, mehrere gehen dagegen | |
juristisch vor. | |
Schwer wiegt auch ein weiterer Vorwurf, den die drei dem verbliebenen Duo | |
Louna Sbou und Nina Martin machen. Es geht um zwei Großprojekte, mit denen | |
Oyoun seinen Anspruch bekräftigen wollte, in die Fußstapfen seiner | |
Vorgängerin zu treten. Die Projekte „Decolonize the Green: Natur, Umwelt | |
und koloniale Kontinuitäten“ und „Freistaat Barackia: 150 Jahre | |
dekolonialer Urbanismus, Solidaritäten und Neu-Berliner Utopien“ seien | |
maßgeblich von Nathalie Bikoro und ihr entwickelt worden, sagte Saskia | |
Köbschall der taz. „Wir arbeiten daran schon sehr lange, Decolonize ist | |
auch mit meiner Doktorarbeit verbunden.“ Daher war nach ihrem Rückzug mit | |
Oyoun vereinbart worden, dass die Frauen ihre Projekte mitnehmen würden. | |
## Streit um Projekte | |
Dennoch habe die Geschäftsführung kürzlich die vom Hauptstadtkultur-Fonds | |
zugesagte Finanzierung von „Barackia“ abgesagt, so Köbschall – was das | |
Projekt samt jahrelanger Arbeit zunichte gemacht habe und zudem „auch | |
peinlich ist, da an dem Projekt fünf Spielstätten in Berlin, darunter das | |
HAU und das ZK/U, das Zentrum für Kunst und Urbanistik, teilnehmen | |
wollten“. Für das andere Projekt habe Oyoun „mit nur leichten Änderungen | |
und zwei anderen Kuratorinnen“ Förderung beantragt: „Dies geschah ohne | |
unser Wissen oder vorherige Genehmigung als Autorinnen des ursprünglichen | |
Projektvorschlags.“ | |
Ob man juristisch dagegen vorgehe, sei ungewiss, so Köbschall, „denn das | |
ist mit hohen Kosten verbunden“. Nachdem eine der Ersatz-Kuratorinnen | |
zurückgezogen habe, weil es sich aus deren Sicht um ein „Plagiat“ handele, | |
hoffe sie aber, dass Oyoun den Förderantrag wieder zurückziehe. Danach | |
sieht es momentan nicht aus. Sbou erwiderte auf taz-Anfrage, dass der | |
Plagiatsvorwurf „gravierend und ehrverletzend“ sei – und „von Dritten | |
geprüft und insgesamt widerlegt wurde“. | |
Angesichts dieser Entwicklung erneuern zahlreiche Vereine und | |
Organisationen, die die Werkstatt teilweise seit Jahrzehnten genutzt haben, | |
ihre Forderung gegenüber der Kulturverwaltung, ein „transparentes, faires | |
und partizipatives Verfahren unter Einbeziehung verschiedener Akteur*innen | |
der Stadt“ zu starten, um die Zukunft des Ortes zu sichern. Daran müsste | |
auch eine „diversitätskompetente, intersektional aufgestellte | |
Expert*innengruppe“ beteiligt werden, fordert etwa der Verein Eoto, ein | |
rassismuskritisches Bildungs- und Empowerment-Projekt für Schwarze | |
Menschen. | |
Ähnlich äußerte sich Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in | |
Deutschland (ISD) gegenüber der taz: „Wir erwarten, dass es eine neue | |
Debatte darüber gibt, ob das derzeitige Team bleiben kann.“ Im Moment sei | |
es für ihn fraglich, ob „dies noch ein Ort für migrantische und Schwarze | |
Menschen und Organisationen ist“. | |
## Neuausschreibung stieß auf Unverständnis | |
Die Hintergründe des Konflikts liegen lange zurück. Bereits 2015 war der | |
Werkstatt von der damals zuständigen Integrationssenatorin Dilek Kolat | |
(heute Kalayci, SPD) die Zuständigkeit für den Karneval der Kulturen | |
entzogen worden, der seit 1996 von dort aus organisiert worden war. Im | |
Koalitionsvertrag hatte R2G dann vereinbart, dass die Werkstatt aus der | |
Zuständigkeit der Integrations- in die der Kulturverwaltung übergehen | |
würde. Ein Vorgehen, das allen Beteiligten sinnvoll erschien, da sich die | |
Werkstatt unter Ebéne zu einem auch international rennomierten Kultur- und | |
Veranstaltungsort gemausert hatte. | |
[1][Auf allgemeines Unverständnis stieß dagegen die Entscheidung], die | |
Trägerschaft für die Werkstatt neu auszuschreiben, was ebenfalls in der | |
Koalition vereinbart worden war. Viele fanden dies nicht nur überflüssig, | |
sondern einen Affront gegen Ebéné und ihr Team. So erklärte der | |
Migrationsrat im Juni 2019 in einem [2][Offenen Brief an Lederer], den 300 | |
Menschen und Organisationen unterschrieben hatten: In der Ausschreibung der | |
Trägerschaft „erkennen wir eine hegemoniale Überheblichkeit, die bestehende | |
Arbeit ignoriert und zivilgesellschaftliche Bemühungen missachtet. Kämen | |
Sie auf die Idee, die Volksbühne auszuschreiben als: ‚Ausschreibung | |
Kulturstandort Linienstraße 227/Mitte‘?“ | |
Doch es blieb dabei, die Ausschreibung fand statt, am Ende wurde das | |
Fünf-Frauen-Team ausgewählt. Das Konzept, „das künstlerische Exzellenz im | |
Bereich migrantischer, diasporischer, dekolonialer, queer*feministischer | |
und klassenkritischer Perspektiven bietet und gleichzeitig einen Treff- und | |
Ankerpunkt für nachbarschaftliche Initiativen und Communities ermöglicht“, | |
[3][sei das, was man sich wünsche, so Lederer]. Viel bekannt war nicht über | |
die Frauen, außer dass zwei von ihnen – die nun verbliebenen Sbou und | |
Martin – das sogenannte „Anti-Café be’kech“ im Wedding betrieben. | |
Als das Kollektiv dann im Februar auseinander brach, war dies für die | |
Kulturverwaltung kein Grund einzugreifen. „Vom Wechsel innerhalb der | |
Gesellschafterstruktur bleibt der Wert des Konzeptes unberührt“, erklärte | |
Lederers Sprecher auf taz-Anfrage. | |
## „Rassistischer Klassiker“ | |
Dagegen gingen interessierte Organisationen und Vereine erneut auf die | |
Barrikaden und wiederholten die Forderung nach einer die Communities | |
einbindenden Strategie für die Werkstatt. „Die aktuelle Situation | |
verdeutlicht, dass der Senat nicht erfolgreich allein darüber entscheiden | |
kann und sollte, wer die Werkstatt der Kulturen leitet und was darin | |
geschieht“, erklärte der Migrationsrat. | |
Auch Künstler sind entsetzt. Der Oude-Musiker Alaa Zoulten, der zwei | |
erfolgreiche Konzertreihen für die alte Werkstatt kuratierte, hat, wie er | |
der taz sagte, nie verstanden, „was da passiert ist“. „Meine | |
Musikerkollegen waren immer sehr zufrieden, alles lief super, das war ein | |
einmaliger Ort für alle Kulturen“. Der Kurator, Saxophonist und Komponist | |
Fuasi Abdul-Khaliq, der seit Jahrzehnten zur „Werkstatt-Community“ gehört, | |
machte seinem Ärger in einem Brief an Lederer Luft, [4][der auf Facebook | |
veröffentlicht wurde]. „I fail to see anything positive coming from this | |
hostile take-over“, schreibt er („Ich kann nichts positives in dieser | |
feindlichen Übernahme sehen“). Mit der Werkstatt sei eine einzigartige | |
Institution für „communities of colour“ in Berlin verloren gegangen, dabei | |
müsste es davon eigentlich mehr geben – nicht weniger. Aber dafür habe | |
Lederer offenbar kein Verständnis. | |
[5][Adefra, eine Organisation Schwarzer Feministinnen, kritisierte], die | |
Leitung „einfach einer anderen Schwarzen Person/Person of Color bzw. einem | |
neuen wirtschaftlichen Kollektiv zu übertragen, unterstreicht die | |
Austauschbarkeit und Token-Funktion von BPoCs [Black and People of Colour, | |
Anm.d.Red.] in Führungspositionen und gilt als ›rassistischer Klassiker‹�… | |
Tatsächlich lässt das Vorgehen der Verwaltung in Sachen Werkstatt Zweifel | |
aufkommen, wie ernst es Kultursenator Lederer mit seinem „postkolonialen“ | |
Ansatz ist. „Das trägt er als Bekenntnis ständig vor sich her, hinterlegt | |
ist es aber nicht“, sagt Koray Yilmaz-Günay, Geschäftsführer des | |
Migrationsrats. Auch nicht finanziell: Die Werkstatt werde ja mit rund | |
einer Million Euro jährlich nur „marginal“ unterstützt, setze man dies in | |
Relation zu Kultureinrichtungen vergleichbarer Größe. „Dieses Desinteresse | |
ist traurig, weil der Ort für migrantische Communitys und Kulturschaffende | |
einer der wenigen wirklich zugänglichen ist“, so Yilmaz-Günay. | |
Della von der ISD kann die Kritik nachvollziehen. Obwohl die ISD sowie die | |
Organisationen Eoto und Berlin Postkolonial beim [6][Projekt | |
„Postkoloniales Erinnern in der Stadt“] mit Lederer „vertrauensvoll“ | |
zusammenarbeiteten, „ist es schon sehr widersprüchlich, wenn von | |
Dekolonisierung gesprochen wird und gleichzeitig diasporische Akteurinnen | |
ihre Jobs verlieren“, sagt er mit Bezug auf Ebéné sowie auf Soraya Gomis, | |
die im vorigen Jahr von ihrem Posten als Antidiskriminierungsbeauftragte | |
der Senatsbildungsverwaltung zurückgetreten war – offenkundig, weil ihr die | |
Unterstützung vom Senat fehlte. | |
Della fordert nun mit Blick auf die Werkstatt und darüber hinaus: | |
„Strukturen müssen so geändert werden, dass die Teilhabe von diasporischen | |
Menschen sichergestellt ist.“ | |
13 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Streit-um-Werkstatt-der-Kulturen/!5602315/ | |
[2] http://www.migrationsrat.de/offener-brief-zivilgesellschaftlicher-akteure-z… | |
[3] https://www.berlin.de/sen/kulteu/aktuelles/pressemitteilungen/2019/pressemi… | |
[4] https://www.facebook.com/fightfor.werkstattderkulturen/posts/19267440205776… | |
[5] http://www.adefra.com/index.php/blog/84-stellungnahme-zum-umgang-mit-philip… | |
[6] /Berliner-Kolonialgeschichte/!5656442/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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